Ingolstadt
"Das Thema muss raus aus dem Barocksaal"

Diskussionsrunde im Stadtmuseum erinnert an Pachtner-Mahnmal und richtet Blick nach vorn

29.09.2019 | Stand 23.09.2023, 8:47 Uhr
Die Diskussionsrunde zum Thema "Blick zurück nach vorn" im Barocksaal des Stadtmuseums moderierte Kulturreferent Gabriel Engert (2. v.r.) −Foto: Rössle/Stadt Ingolstadt

Ingolstadt (DK) Seit 20 Jahren gibt es in Ingolstadt das von Dagmar Pachtner gestaltete Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus.

Mit einer Diskussionsveranstaltung im Stadtmuseum erinnerte die Stadt gestern Nachmittag an die Geschichte des Denkmals und versuchte unter dem Titel "Blick zurück nach vorn" das Augenmerk auf "den Umgang der Gesellschaft mit Minderheiten, Migranten etc. " zu richten.

Mit dem Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus, das vor 20 Jahren im Rahmen des Baues der Glacisbrücke realisiert wurde, sei "eine Lücke in der Denkmalskultur dieser Stadt" geschlossen worden, sagte Kulturreferent Gabriel Engert. Er erinnerte an die kontroversen Diskussionen, die dafür nötig waren und dankte ausdrücklich der Initiative, die sich für das Mahnmal stark gemacht hatte, namentlich Gerda Büttner-Biernath, Petra Kleine und Lutz Tietmann. Was von den rund 30 Besuchern - darunter ein halbes Dutzend Schüler des P-Seminars Geschichte des Reuchlin-Gymnasiums - , die an diesem sonnigen Sonntagnachmittag trotz Herbstfest den Weg in den Barocksaal gefunden hatten, mit herzlichem Beifall quittiert wurde.

Stefanie Endlich, Honorarprofessorin für Kunst im Öffentlichen Raum aus Berlin, lobte Dagmar Pachtners dreiteiliges Werk - neben den bekannten mannshohen blauen Stelen im Luitpoldpark umfasst es auch solche in der Innenstadt und am Auwaldsee sowie einen Erinnerungsort im Stadtmuseum mit Lebensbildern der Opfer des Nationalsozialismus - für seine Komplexität und Vielschichtigkeit. So habe Pachtner statt eines Objekts drei Räume für die Auseinandersetzung mit den Opfern geschaffen. Und das Denkmal sei in Kooperation, in "Vernetzung mit der Stadt" entstanden und könne weitergeführt werden. Insofern sei es "zukunftsorientiert, gerade in einer Zeit historischer Mythenbildung". Um das Mahnmal zu verstehen, müsse man wissen, wie es entstanden ist, meinte Gerda Büttner-Biernath und schlug den Bogen von den zeitgeschichtlichen Forschungen von Theodor Straub bis zur Errichtung des Pachtner-Denkmals. In unheimlich vielen Gesprächen habe die Initiative für eine zeitgerechte Umgestaltung des Mahnmals im Luitpoldpark gekämpft und schließlich erreicht, dass die Stadt zu einem Kolloquium eingeladen habe. "Auch Oberbürgermeister Peter Schnell hat sich zwei Tage lang alles angehört", betonte Büttner. Schließlich sei ein Wettbewerb ausgeschrieben worden. "Das war nur möglich, weil man miteinander geredet und sich zugehört hat. Und das ist auch etwas, was ich mir heute wünsche", so die frühere Stadträtin. Ein ganz konkretes Anliegen ist ihr, dass die Stadt die Gedenkfeier für die Reichspogromnacht am 9. November übernimmt, was Gabriel Engert sofort zusagte.

Matthias Schickel vom Historischen Verein sprang für den abgesagten Beitrag von Micha Brumlik über Erinnerungskultur ein. Er referierte über die Gedenkstätte Yad Vashem auf dem Herzlberg bei Jerusalem, die von vier Säulen getragen werde: Dokumentation, Forschung, Gedenken und Pädagogik. "Erinnerung ist immer auch politische Auseinandersetzung", lautete die Quintessenz seines Vortrags.

Die anschließende Gesprächsrunde drehte sich um die Frage, wie man dem Anwachsen von Vorurteilen, ja Hass auf Minderheiten begegnen könnte. "Wenn sich die Leute kennenlernen, treten sie sich anders gegenüber", sagte Integrationsbeauftragte Ingrid Gumplinger. Künstler Ludwig Hauser ging einen Schritt weiter: "Wenn wir das Thema ernst nehmen, müssen wir raus aus dem Barocksaal! "

Sebastian Kügel