Obermässing
Das Telefon steht kaum noch still

Friseure wie die "Pink Ladies" in Obermässing und Kunden fiebern nach elf Wochen der Wiedereröffnung am 1. März entgegen

19.02.2021 | Stand 23.09.2023, 17:06 Uhr
Leerer Salon, keine Kunden: Dieses Bild gehört für die Chefin der Pink Ladies, Christina Decker, ab 1. März der Vergangenheit an. −Foto: Luff

Obermässing - Der Countdown läuft: Eine gute Woche noch, dann kann die Matte weg.

Zahllose Menschen dürften dann aufatmen, wenn sie sich in den Spiegel schauen. Nach fast elf Wochen Zwangsschließung dürfen Friseursalons ab Montag, 1. März, wieder öffnen. Keinen Tag zu früh, findet Christina Decker, die Chefin der "Pink Ladies" in Obermässing. Mit dieser Ansicht steht sie offenbar nicht alleine, denn seit das Öffnungsdatum bekanntgegeben ist, steht das Telefon kaum noch still. Auch über Facebook und WhatsApp kommen die Bitten um einen Termin. Dennoch: Bis die junge Unternehmerin, als ehemalige Obermässinger Faschingsprinzessin eigentlich eine fröhliche Frau, ihr Lächeln zurückfindet, dürfte es noch eine Weile dauern.

"Es wird höchste Eisenbahn", sagt Decker zur angekündigten Öffnung. Nicht nur, damit ihre Kunden mit einem Haarschnitt ihre "Würde" zurückerhalten - so pathetisch hat sich Ministerpräsident Markus Söder ausgedrückt -, sondern weil die lange Zeit des Lockdowns gerade zahlreiche Friseure als Kleinunternehmer in einen wahren Überlebenskampf gestürzt habe. In einer Facebook-Gruppe stehe sie in Kontakt mit Kollegen, erzählt Christina Decker: "Da gibt es etliche, die psychisch am Ende sind. " Wer von der Insolvenz bedroht ist oder diesen Schritt bereits eingeleitet hat, geht nicht mehr entspannt durchs Leben.

Ganz so weit ist es bei ihr noch nicht gekommen, "ich bin froh, dass es bei mir nicht um die Existenz geht", sagt Decker. Das liege aber beileibe nicht an der versprochenen staatlichen Unterstützung - sondern an ihrer familiären Situation. Ihr Mann verdiene, die Bundeswehr sei ein sicherer Arbeitgeber. Und in der Familie habe man auch schon angeboten, im Notfall auszuhelfen. "Wenn man allein ist, hat man verloren. "

Das Gebäude, in dem die "Pink Ladies" ihre Dienste anbieten, hat Christina Decker im Dezember 2014 zur Hälfte gekauft, privat habe das Paar - Söhnchen Max ist erst im Januar zur Welt gekommen - ein Haus gebaut. Raten könne man aussetzen, zum Teil auch Versicherungen fürs Geschäft, sagt Decker. Über einen längeren Zeitraum werde es aber trotzdem schwierig.

Vor allem, wenn es mit großartig angekündigten Hilfen so gar nichts wird. Im ersten Lockdown hatte sie 5000 Euro beantragt. "9000 wären mir zugestanden", erzählt sie. "Aber ich war von Anfang an skeptisch. " Deshalb wollte Decker nicht die gesamte Summe ausschöpfen. Zu Recht, wie sich zeigen sollte. Das Geld musste sie nämlich letztlich zurückzahlen. "Wir haben Vollgas gegeben", erinnert sie sich. Sechs Tage die Woche, zwölf Stunden am Tag - "und das hochschwanger". Hätten sie und ihre drei Mitarbeiterinnen es ein wenig ruhiger angehen lassen, hätte der Salon von Hilfen profitiert. "Da geht echt die Motivation verloren. "

Im Augenblick sieht es nicht besser aus. Die versprochenen "schnellen und unbürokratischen Hilfen" hätten Friseure überhaupt erst Ende der zweiten Februarwoche beantragen können, wer Ende des Jahres zu viel verdient hat, schaut bei den jetzigen Überbrückungshilfen in die Röhre. Auf rund 30000 Euro beziffert Christina Decker die Summe, die ihr wegen der beiden Lockdowns fehlen. "So einen Puffer hat man nicht", sagt sie. Das Absurde daran: "Eigentlich läuft das Geschäft sehr gut. "

Wovon auch ihre Mitarbeiterinnen zuletzt nichts gemerkt haben. Sowohl die Volllzeit-, als auch die Teilzeitkraft befinden sich zurzeit noch in Kurzarbeit, eine geringfügig Beschäftigte "kriegt nichts", stellt die Chefin ebenso nüchtern wie bedauernd fest. Auch sie hätten "Gott sei Dank Männer, die Geld verdienen, ich bin froh, dass es bei niemandem an die Existenz geht. "

Vom zweiten Lockdown ist Decker völlig überrascht worden, "ich hätte niemals damit gerechnet". Vielleicht mit einem noch strengeren Hygienekonzept, das schon. Aber eine solch lange Schließung? "Ganz ehrlich nicht. " Sie habe mitbekommen, das durchaus Kollegen im Frühjahrs-Lockdown sich durch Schwarzarbeit etwas hinzuverdient habe, regelrecht sauer sei sie gewesen. Aber mittlerweile? "Manchen bleibt fast nichts anderes übrig", zeigt sie Verständnis, "man wird doch fast dazu gezwungen. " Ja, auch sie habe solch unmoralische Angebote erhalten. "Aber ich habe jetzt zwei Kinder, das Risiko ist mir viel zu groß. "

Dennoch überlegt sich Christina Decker Strategien, wie es weitergehen könnte, denn nach den jüngsten Erfahrungen befürchtet sie, dass noch ein dritter Lockdown kommt, früher oder später. "Wir sind an einem Online-Shop dran, vielleicht geht da etwas. " Kosmetische Produkte könnten dann auch bei den "Pink Ladies" statt über Amazon gekauft werden, Decker hofft auf lokale Solidarität im Fall der Fälle. Ein Bekannter programmiere den virtuellen Shop - gratis. "So etwas kostet sonst 10000 bis 15000 Euro", sagt Decker dankbar. In der Zeit der Schwangerschaft ist sie überdies auf Gesundheitsprodukte gestoßen. Nahrungsergänzungsmittel, von denen sie überzeugt ist und die sie vielleicht selbst vertreiben will. Ein zweites Standbein wäre das, hier könnte sie von zu Hause aus arbeiten.

Jetzt gibt es aber erst einmal genug zu tun im eigenen Salon. "Ich arbeite erst alle ab, die schon im Dezember geschrieben haben", erzählt Decker. Sie versuche, die Terminvergabe möglichst fair zu gestalten. Mittlerweile haben die "Pink Ladies" einen Telefondienst eingerichtet, mit festen Zeiten, zu denen Kunden anrufen und einen Termin vereinbaren können. Auf Facebook können sich Interessierte informieren. Nur so lässt sich der Andrang einigermaßen in geordnete Bahnen lenken.

Das ist schwieriger als es klingt. Denn für die vier Mädels im Geschäft stehen eigentlich acht Plätze zum Arbeiten zur Verfügung. Zwei sind ohnehin schon weggefallen, da der Abstand zum nächsten Kunden auf dem Stuhl nicht eingehalten wird. "Außerdem dürfen nicht zu viele Menschen in den Raum, das hängt dann wieder von der Quadratmeterzahl ab. " Abstand, Lüftungspausen - bei Minustemperaturen und nassen Haaren erfordert schon das einen Plan - und nicht zuletzt etwaige neue Vorgaben machen den Friseuren das Leben schwer. Was Christina Decker schon jetzt weiß: Die Trennwand zwischen den beiden Waschplätzen, nach dem ersten Lockdown installiert, muss nun von 1,7 auf 2 Meter erhöht werden.

Recht viel mehr ist ihr nicht bekannt, auch von der Friseurinnung fühlt sie sich in dieser schwierigen Zeit im Stich gelassen. Da wolle man zwar Beiträge sehen, "aber man muss sich selbst schlau machen", zeigt sich die junge Friseurmeisterin enttäuscht von den eigenen Leuten. Sie selbst habe bei einer Unterschriftensammlung mitgemacht, um gegen die andauernde Schließung zu protestieren. Auch habe sie überlegt, sich einer Klage anzuschließen. Doch all das: eher Initiativen von einzelnen Berufskollegen, nicht von der Standesvertretung.

Immerhin: Der Zentralverband des Deutschen Friseurhandwerks hat versucht, mit einer Aktion Aufmerksamkeit für die Nöte der Friseure zu schaffen: Bevor das Licht in den Salons endgültig ausgeht, so die Überlegung, sollten diese an verschiedenen Tagen das Licht brennen lassen. Daran aber beteiligten sich die "Pink Ladies" nicht: "In der Stadt ist das bestimmt sinnvoll", sagt Christina Decker. In einem Dorf wie Obermässing aber, vermuteten die Passanten wohl eher Schwarzarbeit, wenn plötzlich den ganzen Tag das Licht brennt. Sagt's und grinst. Da ist es wieder, das Lachen der Faschingsprinzessin. Aber das Gröbste ist ja auch überstanden. Ab. 1. März stehen die "Pink Ladies" wieder im Laden - motiviert bis in die Haarspitzen.

HK

Volker Luff