Ingolstadt
"Das Stück hält uns den Spiegel vor"

Das Salzburger Landestheater gastiert mit "Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny" in Ingolstadt Ein Gespräch mit Tenor Franz Supper

06.06.2017 | Stand 02.12.2020, 17:59 Uhr

Sie kommen aus Alaska und wollen in Mahagonny vor allem Spaß haben: Jim Mahoney (Franz Supper, links), Jack (Paul Curievici), Sparbüchsenbill (Elliott Carlton Hines) und Alaskawolfjoe (Raimundas Juzuitis). - Foto: Löffelberger

Ingolstadt (DK) "Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny" erzählt die Geschichte einer Stadt, in der alles erlaubt ist, solange man Geld hat, in der es aber umgekehrt das größte Verbrechen ist, kein Geld zu haben. Die Oper gehört zu den wichtigsten Werken Bert Brechts (Musik: Kurt Weill) und entfachte bei der Uraufführung 1930 in Leipzig einen Theaterskandal, sodass in der Folge einige Bühnen ihre Aufführungsverträge auflösten, andere die Oper nach nur wenigen Vorstellungen wieder absetzten.

Erst in den 50er-Jahren kam es zum großen "Mahagonny"-Comeback. Längst zählt die Oper zu einer der spannendsten des 20. Jahrhunderts - thematisiert sie doch die Auswüchse von Kapitalismus, übermäßiger Freizeit und ungebremstem Konsum und stellt Fragen wie: Wie wollen wir leben? Oder: Wie bin ich Mensch? Das Landestheater Salzburg gastiert mit der Inszenierung von Jacopo Spirei ab 8. Juni in Ingolstadt. Die Rolle des Jim Mahoney wird der österreichische Tenor Franz Supper singen.

 

Herr Supper, Sie sind in der Rolle des Jim Mahoney zu erleben. Was ist das für einer? Können Sie ihn kurz beschreiben?

Franz Supper: Jim ist ein Holzfäller, der mit seinen drei Kameraden von Alaska in diese neu gegründete Stadt Mahagonny kommt. Hier wollen sie sich amüsieren. Denn sie haben Geld - und wer Geld hat, kann sich alles leisten. Jim ist ein bodenständiger Typ. Aber bei einem Boxkampf verliert er all sein Geld - und das ist sein Todesurteil.

 

Was hat Sie an der Rolle gereizt?

Supper: Zunächst mal die musikalische Herausforderung. Die Orchestrierung geht oft ziemlich schräg mit der Gesangslinie, das macht es sehr interessant. Und natürlich ist es eine tolle Rolle.
 

"Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny" war ja eines der größten Skandalstücke der Weimarer Republik und zunächst ein Flop. Warum wurde es schließlich doch ein Erfolg - und warum muss man es heute noch unbedingt spielen?

Supper: Das Stück ist zeitlos. Der Satz "Geld regiert die Welt" gilt ja immer noch. Aber die Gesellschaft lässt sich eben ungern den Spiegel vorhalten. Und genau das tut das Stück. Hören Sie sich die Nachrichten an: Klimakatastrophen, schwindende Ressourcen, Kriege, Flüchtlingsströme, Arbeitslosigkeit. Nach den Nachrichten kommt die Börse, werden trotz allem steigende Aktienkurse vermeldet. Wir wissen alle, was auf uns zukommt, aber anscheinend sind wir nicht fähig zu begreifen. Und dieses Stück zielt genau darauf ab.

 

Was macht die Musik so besonders?

Supper: Es ist alles drin: Jazz, Pop, Klassik. Kurt Weill hat ganz bewusst Zitate aus der klassischen Musik oft in ironischer Form verwendet. Bachsche Fugen klingen genauso an wie Passions- und Schrammelmusik, Shanty, Tarantella oder Blues.

 

Haben Sie einen Lieblingssong?

Supper: Ich mag alle. Es sind ja lauter Ohrwürmer: "Auf nach Mahagonny", "Alabama-Song", "Wie man sich bettet". Und dann zieht sich dieser Refrain durch die gesamte Oper: "Erstens, vergesst nicht, kommt das Fressen, zweitens kommt die Liebe dran, drittens das Boxen nicht vergessen, viertens Saufen, solang man kann. Vor allem aber achtet scharf, dass man hier alles dürfen darf." Es ist ein interessantes Stück, das das Publikum zum Mitdenken animiert. Aber man muss sich darauf einlassen.

 

Sie zählen zu den Publikumslieblingen im Salzburger Landestheater. Stimmt es, dass Sie ursprünglich mal Spengler gelernt haben?

Supper: Ich glaube ja, dass das Leben aus Zufällen besteht. Ich war schon Anfang 20, als mich ein befreundeter Arzt singen hörte und motivierte weiterzumachen. Das tat ich dann auch. Zunächst während des Berufs. Ich habe neun Jahre als Spengler gearbeitet, bevor ich die Gesangsausbildung in Wien begann und schließlich mein Debüt an der Wiener Kammeroper feierte. Der Sängerberuf ist ein wunderbarer Beruf.

 

Sie haben auch mal als Friedhofsänger Ihr Geld verdient. Was ist denn das?

Supper: Nach einem halben Jahr Studium in Wien habe ich an der Staatsoper für den Extrachor vorgesungen. Und da hörte mich ein Mann, der mich gleich als Friedhofsänger verpflichten wollte. Die Sänger - meist Quartette oder Doppelquartette - werden aus der Wiener Staatsoper und der Volksoper rekrutiert und singen bei Beerdigungen, in der Aussegnungshalle, in der Kirche oder am Grab. Da gibt es eine riesengroße Literatur. Etwa drei, vier Jahre lang habe ich das gemacht. Und das ist für einen Studenten nicht nur ein gutes Zubrot, sondern ich erinnere mich auch an viele interessante Begegnungen. Einmal waren es sogar neun Begräbnisse an einem Tag - von 9 bis 14 Uhr. Am Zentralfriedhof geht das ja wie am Fließband.

 

Ihre schönste Rolle bisher?

Supper: Eigentlich ist die Rolle, die ich gerade singe, immer die wichtigste. Ich funktioniere nur mit 100 Prozent - egal wie groß die Rolle ist. Aber natürlich gibt es wichtige Rollen, die schon große Vorbilder gesungen haben - wie Florestan im "Fidelio", der Max in Ernst Kreneks "Jonny spielt auf" oder auch der Max im "Freischütz". Ansonsten halte ich es mit Plácido Domingo, der mal befragt nach seinen Lieblingsrollen geantwortet hat: Privat sei er gern glücklich, aber auf der Bühne genieße er es, andere Gefühle ausleben zu können.

 

Die Fragen stellte Anja Witzke.

Das Landestheater Salzburg gastiert mit "Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny" am 8., 10. und 11. Juni am Stadttheater Ingolstadt. Kartentelefon: (08 41) 30 54 72 00.

 

 

ZUR PERSON

Franz Supper wurde 1957 im Burgenland geboren und erlernte nach dem frühen Tod seines Vaters zunächst den Spenglerberuf. Erst 23-jährig begann er ein Gesangsstudium am Joseph-Haydn-Konservatorium in Eisenstadt bei Heinrich Schneider. Danach setzte er seine Ausbildung an der Wiener Hochschule für Musik und darstellende Kunst fort. Nach seinem Debüt an der Wiener Kammeroper wurde er ans Salzburger Landestheater engagiert. Im September wird er dort die Titelrolle in Jacques Offenbachs fantastischer Oper "Hoffmanns Erzählungen" singen.