Lampertshofen (SZ) Da wollte einer genau wissen, welche Geschichte die alten Gebäude auf dem Gelände der MBDA haben und machte sich auf Spurensuche.
Anstatt sich von der Tatsache abschrecken zu lassen, dass eigentlich niemand vor Ort irgendetwas Konkretes wusste, spornte dies eher den Ehrgeiz des ehemaligen MBDA-Mitarbeiters Wolfgang Haas an. Gut ein Jahr forschte er, trug Informationen und Zeichnungen zusammen und präsentierte am Freitagabend die Ergebnisse in einem Vortrag bei den Familien- und Heimatforschern aus dem Schrobenhausener Land in Lampertshofen.
Zu Beginn des Abends begrüßten Vereinsmitglieder Josef Huber und Barbara Rödig die Gäste und schnell wurde klar, wie sehr Haas mit seinem Thema den Nerv der Region getroffen hatte: Auf sieben Vorträge blickte der Verein im Jahr 2017 zurück, die stärkste Zuhörerzahl dabei wurde mit 63 erreicht. Zum Vortrag "Hiag und Paraxol" erschienen am Freitag an die 140 Personen - in Gesprächen war zu erkennen, dass zahlreiche Mitarbeiter und Ehemalige der MBDA gekommen waren. Nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass einige der Paraxol-Gebäude noch heute vor allem als Lager genutzt werden.
Aber was waren denn nun eigentlich Hiag und Paraxol? Der Unternehmenszweck war streng geheim, sogar als Staatsgeheimnis eingestuft. Offiziell wurde erklärt, es handele sich um eine Holzmehlanlage. Viele Gerüchte ranken sich bis heute darum, vermutet wurden und werden Produktion von Giftgas, Treibstoff für V1 oder V2-Raketen bis hin zu obskuren Wunderwaffen. Richtig ist, dass es sich tatsächlich um eine Chemiefertigung handelte, die aber - zum Glück für Schrobenhausen - weit weniger gefährlich war. Zur Zeit der Aufrüstung 1935 existierten 200 verschiedene Sprengstoffmischungen, in 50 davon war der Bestandteil Pentaerythrit-Tetranitrat enthalten. Im Jahr 1936 beauftragte das Oberkommando des Heeres der nationalsozialistischen Regierung die Firma Degussa mit der Herstellung des Vorproduktes Pentaerythrit. 1938 war Baubeginn im Hagenauer Forst. Als 100-prozentige Tochter der Degussa wurde als Bauherr die Firma Hiag geschaffen, die tatsächlich nur während der Bauperiode existent war. Für 12,3 Millionen Reichsmark entstanden die Anlagen zur Fertigung der Chemikalie. Die Produktion lief ab 1. Oktober 1942 unter dem Namen der eigens dafür gegründeten Paraxol GmbH, immerhin 210 Mitarbeiter waren dort beschäftigt. Gemeinsam mit drei weiteren Werken in Deutschland sollte so eine Produktionskapazität von 1100 Tonnen Pentaerythrit pro Monat erreicht werden. Dabei war die Anlage in Schrobenhausen die modernste mit der höchsten Produktreinheit und dem besten Wirkungsgrad. Hergestellt wurde nach einem besonderen Verfahren, dass es zu diesem Zeitpunkt nur in Deutschland gab. Zum Beispiel hatten alle Rohrleitungen eine Dampfspülung und dieses "ausgeklügelte System", wie Haas erklärte, sorgte für besonders geringen Reinigungsaufwand der gesamten Anlage und eben für die hohe Produktreinheit.
Im Hagenauer Forst wurde außerdem Formaldehyd hergestellt - ein Vormaterial für das eigentliche Produkt Pentaerythrit und im Gegensatz dazu nicht ganz ungefährlich. Während das Hauptprodukt ungiftig und nicht entzündlich ist - es wird bis heute für Kunstharze, Lacke, Kosmetik und Medikamente verwendet - entsteht Formaldehyd durch die katalytische Verbrennung von Methanol, dem giftigsten Alkohol. "Ein Stamperl reicht", gab Haas zu bedenken, "und Sie sitzen auf der Wolke". Bei der Fertigung von Chemikalien stellt sich natürlich unweigerlich die Frage nach der Umweltbilanz, doch da konnte der Referent beruhigen: "Es gibt keinerlei Gefährdung, keinerlei Rückstände." Die Rohstoffe für das Pentaerythrit sind chemisch gesehen reine Kohlenwasserstoffe, die sich extrem rasch und vor allem rückstandfrei abbauen. Zum Glück habe es in Schrobenhausen keine chemische Nitrierung gegeben; diese findet statt bei dem Prozess, in dem aus Pentaerythrit der Sprengstoff-Baustein Pentaerythrit-Terranitrat entsteht, das hätte sich in der Umweltbilanz deutlich negativ ausgewirkt.
Und so sind in Schrobenhausen nur wenige, eher ungefährliche Denkmäler dieser Firmengeschichte übriggeblieben, wie etwa Gebäude und Steinzeugleitungen, die von der MBDA genutzt werden. Im April 1945 besetzten zunächst die Amerikaner das Werk, verließen es aber wieder, als klar war, dass es sich nicht um ein KZ oder Ähnliches handelte. Im Herbst 1947 erfolgte die Demontage der kompletten Fertigungsanlagen. Diese wurden in Toulouse als Reparationsleistung wieder aufgebaut, und dort bis 1980 weiter betrieben.
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