München
Das Leben ein Roman

In München gastierte der norwegische Schriftsteller Karl Ove Knausgard mit dem letzten Band seiner Autobiografie

28.05.2017 | Stand 02.12.2020, 18:03 Uhr

München (DK) Das Buch "Kämpfen" beginnt mit einem Fototermin. Der Autor beschreibt, wie er die schwedische Küste entlangfährt, um von einem befreundeten Fotografen Porträtfotos von sich machen zu lassen - für die Klappentexte seines demnächst erscheinenden ersten Romans.

Dass Karl Ove Knausgard bei seiner Lesereise in München, wo er acht Jahre später den sechsten und letzten Band seiner Roman-Hexalogie vorstellt, fast an der Eingangskontrolle zum Vortragssaal gescheitert wäre, könnte an diesen Fotos liegen. Der ewig einsame, zottige, langhaarig zerfurchte Schmerzensmann der Autorenfotos kam hier sichtlich verjüngt an: ein gepflegter, kurzhaariger Dandy mit akkurat gestutztem Vollbart inmitten einer ganzen Entourage von Verlagsmitarbeitern und Fotografen.

Natürlich ließ sich das Missverständnis umgehend klären, aber unwillkürlich wünscht man sich, man könne im nächsten Roman nachlesen, wie Knausgard die kurze, banale Situation der Irritation erlebt, wie er sie zerfasert, analysiert, seine persönlichsten Ängste und Unzulänglichkeiten nach außen kehrt, denn das ist es, was den Autoren kennzeichnet. Wenn wenig später die Leiterin des Literaturhauses Tanja Graf das in Deutschland gerade neu erschienene Buch des Schriftstellers vorstellt als "das aufregendste und meistdiskutierte literarische Werk unserer Zeit", dann stimmt das dennoch, und genau darin liegt der Zauber: Hier schreibt jemand so ausführlich, schutzlos und intim es nur geht, über Alltagsdinge, was man eigentlich im Zeitalter ungezählter Bloggs und anderer virtueller Hirnverschmutzer nur schrecklich finden kann. Ungezählte Butterbrote, Zigaretten, Bier, Tee werden konsumiert. Doch Knausgard saugt damit eine Millionen-Leserschaft in das Zentrum seines Lebens, unwiderstehlich und beinhart, ja er erzeugt einen Harry-Potter-Effekt unter den zum Nichtlesen förmlich geborenen Männern um die 40. Am Anfang seiner Erfolgsgeschichte stand die Entdeckung eines Tricks, der den Autor aus einer fünfjährigen Schreibblockade befreite: der Thrill, welcher darin liegt, ein Geheimnis zu verraten. Nach dieser Energie wurde er süchtig, schrieb mit schlechtem Gewissen, wurde immer radikaler, verriet seine Familie, sein Land, sich selbst, schrieb über sein Grauen als Familienvater, über Breivik und Hitler, Suff und Sex, den Alkoholtod seines eigenen Vaters, die bipolaren Abgründe der Ehefrau - und gewann damit ein Leben als erfolgreicher Autor, ein Millionenpublikum. Wenn er das als faustischen Pakt mit dem Teufel sieht, wer mag es ihm verdenken?

Im letzten Band der im Original provokant "Min kamp" - "Mein Kampf" betitelten Sammlung fallen Erzählzeit und erzählte Zeit fast zusammen, das Sujet hat den Autor eingeholt. Der Erfolg rollt an, die Familie begehrt auf gegen den Verrat intimer Details, er liest exzessiv Hitler und Celan, die Ehe kriselt.

Hier in München, wo der moderierende Journalist der "Süddeutschen Zeitung" Alex Rühle abwechselnd den Autoren interviewt und der Schauspieler Shenja Lacher aus "Kämpfen" liest, ist die deutsche Übersetzung druckfrisch. Für KnausgÃ¥rd liegt die Arbeit an dem Band fast sechs Jahre zurück. Sein Leben ging weiter, die Ehe war zu Ende, die Kinder wuchsen heran und er schrieb weiter - ihnen gewidmete Bücher, Essays über Amerika, dazu kamen Interviews, erschien sein Werk in Übersetzungen, folgten Lesereisen. Das autobigrafische Schreiben ist noch immer sein Segen und Fluch.

Mit Fotos hört diese Lesung auf, im Säulengang der Universität in München, wo die Bronzekopie des Speerträgers von Polyklet ergeben zusieht, wie sich lange Schlangen von Autogrammjägern vor Karl Ove KnausgÃ¥rd bilden. Geduldig, mit Bier und Stift bewaffnet, jedem Leser routiniert ein Lächeln schenkend, arbeitet der Norweger die Wartenden ab, unter dem Blitzlichtgewitter seiner intimsten Kenner, seiner Leser.

 

Die sechs Bände von Knausgards Romanbiografie liegen unter den Titeln "Sterben", "Lieben", "Spielen", "Leben", "Träumen" und "Kämpfen" bei Luchterhand vor, Band 1 bis 4 auch als Taschenbuch im btb Verlag.