Schwäbisch Hall
Das Kulturimperium des Reinhold Würth

Kulturleben wäre ohne das Engagement des Milliardärs deutlich ärmer

12.06.2019 | Stand 02.12.2020, 13:45 Uhr
Das Carmen-Würth-Forum wurde 2017 eröffnet und wird derzeit um ein Museum und ein Kongresszentrum erweitert. −Foto: Arslan

Er zählt zu den reichsten Europäern und besitzt eine Kunstsammlung mit 18000 Exponaten, 15 Kunsthallen und sogar ein eigenes Orchester. Das Kulturleben in der Region Schwäbisch Hall wäre ohne das Engagement des Milliardärs Reinhold Würth deutlich ärmer.

Schwäbisch Hall (DK) Große Konzerne verleihen Städten einen besonderen kulturellen Glanz. So hat Wolfsburg VW als wichtigen Kultursponsor, Leverkusen den Chemiekonzern Bayer, Ingolstadt hat Audi. Und Schwäbisch Hall ist stolz auf die Firma Würth. Aber hier liegen die Verhältnisse anders, der Vergleich hinkt. Und zwar nicht nur deshalb, weil die schwäbische Firma von Weltrang mit ihren rund 78000 Mitarbeitern mehr als alle genannten Konzerne für die Kultur tut; sondern weil hier das Engagement auf den Schultern letztlich eines Mannes ruht: auf denen des Firmeninhabers Reinhold Würth (84). "Das ist doch ganz klar", sagt Würth gegenüber unserer Zeitung, "bei Audi oder anderen Aktiengesellschaften würden die Aktionäre sich auflehnen, wenn die Firma Geld in eine Konzerthalle investieren würde."


Würth sieht das anders und investiert wie kaum ein anderer Europäer in Kunsthallen, Kunstwerke, Konzert- und Veranstaltungssäle. Seine Sammlung umfasst inzwischen mehr als 18000 Exponate und ist eine der größten in Europa. Aber die kulturellen Aktivitäten des Unternehmers sind inzwischen so weitverzweigt, dass es Außenstehenden kaum mehr gelingt, Übersicht zu gewinnen. Allein 45 festangestellte Mitarbeiter beschäftigen sich ausschließlich damit, das Kultur-Imperium mit seinen 15 Kunsthallen in neun verschiedenen Ländern zu managen und zu betreiben. Der Vorteil von Würths Kulturengagement liegt in der Kontinuität. Nicht einer der schnell wechselnden Vorstandsvorsitzenden einer Aktiengesellschaft bestimmt das kulturelle Profil des Unternehmens, sondern der Inhaber selbst, und das seit Jahrzehnten.

Angefangen hat alles vor langer Zeit und zunächst in kleinem Maßstab. Wie ja überhaupt das 1945 gegründete Unternehmen, das Reinhold Würth 1954 von seinem Vater übernahm, fast vom Nullpunkt an aufstieg. Damals arbeiteten zwei Angestellte für das Schrauben-Handelsunternehmen. Erste kleine Ausstellungen und Konzerte präsentierte die Firma bereits in den 70er- und 80er-Jahren. 1985 entschied Würth, ein erstes Museum zu errichten, in Künzelsau im Zusammenhang mit dem Bau eines neuen Verwaltungsgebäudes, das seit 1991 in Betrieb ist. So sind Kunsthalle und Bürokomplexe ständig miteinander verzahnt. Das gerade gehört zur Unternehmensphilosophie im Hause Würth. Ausstellungszone und Arbeitsbereich sind kaum voneinander getrennt, Mitarbeiter gehen, wenn sie ihre Büros aufsuchen, an den Kunstwerken vorbei. Reinhold Würth glaubt an den belebenden und inspirierenden Charakter von Kultur. "Die Kunst ist genauso für die Mitarbeiter da", sagt Sylvia Weber, die seit Jahren für das Kulturprogramm der Firma verantwortlich ist. Aber nicht nur für die, sondern eigentlich für alle. So zahlt grundsätzlich niemand Eintritt für die Ausstellungen.


Die vielleicht wichtigste Kunsthalle im Würth-Imperium wurde 2001 in Schwäbisch Hall eröffnet, Architekt war Henning Larsen. Das Kulturzentrum liegt an einem der malerischsten Orte der Stadt. Vom Museumshof aus kann man zwischen Kunstobjekten auf die Altstadt blicken. Inzwischen gehört es zum guten Ton, dass sich Hochzeitsgesellschaften auf diesem Platz ablichten lassen. Die Ausstellungen dort haben in der Regel weit über 150 000 Besucher - ein enormer Wert für die Stadt mit ihren knapp 40 000 Einwohnern.

Die Ausstellungen werden meist mit Werken der Sammlung Würth bespielt - und die ist absolute Weltklasse. Gesammelt hat Würth oft Werke von Künstlern seiner Generation, so unter anderem von Alfred Hrdlicka, Robert Jacobsen, Henry Moore, Hans Arp, Horst Antes und Christo. Aber auch Werke von Max Beckmann, Max Ernst, Ernst Ludwig Kirchner, Pablo Picasso, Emil Nolde und Edvard Munch gehören zur Sammlung genauso wie ein Bestand Alter Meister. Die wohl wichtigste Anschaffung war 2011 der Kauf von Hans Holbeins "Schutzmantelmadonna".

2017 wurde ein weiterer Meilenstein des Würth-Kulturimperiums eröffnet: das Carmen-Würth-Forum nach Plänen des berühmten Architekten David Chipperfield, das außer einer riesigen Mehrzweckhalle auch einen holzgetäfelten Konzertsaal enthält. Dazu wurde ein Orchester gegründet, das derzeit 22 Mitglieder zählt, aber regelmäßig mit freien Musikern verstärkt wird für die rund 20 stets ausverkauften Konzerte pro Jahr. Das Programm im Würth-Forum ist erstrangig, Künstler wie Anna Netrebko, Anne Sophie Mutter, Patricia Kopatchinskaja, sind bereits aufgetreten.

Aber warum engagiert sich Reinhold Würth überhaupt für die Kultur? Sylvia Weber muss nicht lange überlegen. "Reinhold Würth glaubt an den Grundsatz in unserem Grundgesetz, dass Eigentum verpflichtet." Seinem Unternehmen, das sein Geld mit dem Handel von Schrauben und Befestigungen verdient, verleiht dieses Engagement einen besonderen Glanz.

Noch bis 15. September.
Claus Detjen: Der Patriarch in seiner Verantwortung. Reinhold Würth - Gespräche mit dem Unternehmer und Mäzen. FAZ Buch, 24,90 Euro.

RETROSPEKTIVFE SIEGFRIED ANZINGER


Das Museum Würth in Künzelsau zeigt derzeit ein Retrospektive des österreichischen Malers Siegfried Anzinger - eine für den Konzern typische Schau. Denn auch hier greift man (wie bei den meisten Ausstellungen) zum großen Teil auf eigene Bestände zurück. Rund ein Drittel der ausgestellten Werke entstammen der eigenen Sammlung, 148 Exponate befinden sich derzeit im Besitz der Firma. Österreichische Kunst steht übrigens im Zentrum der Sammlung Würth, in keiner anderen Privatsammlung außerhalb des Alpenlandes finden sich so viele Werke des Alpenlandes.

In der Ausstellung mit dem Titel "Blick zurück und nach vorn" wird besonders deutlich, wie sich das Werk des 66-jährigen Österreichers verändert hat. Als er seine ersten Bilder präsentierte, wurde er sofort als Neuer Wilder gehandelt und 1982 zur Documenta 7 eingeladen. Der figurativen Malerei blieb er treu, dennoch hat sich sehr viel weiterentwickelt. Während in den ersten Ölbildern der ureigene Charakter des verwendeten Materials den Gegenstand bestimmte, wurden im Laufe der Jahre die zeichnerischen Aspekte bestimmender. So scheint die große Figur in "Der Mondgeher" unterzugehen im triefend Farbenrausch der Ölfarbe. Die späteren Werke zeigen oft biblische Figuren, mit Humor und sind scheinbar lässig hin gekritzelt.

Noch bis 13. Oktober.

EIN PARISER MUSEUM ZU GAST


Fast schon ein Coup ist der Kunsthalle Würth Schwäbisch Hall mit ihrer Paris Ausstellung gelungen. Denn für einige Monate kann sie die besten Arbeiten des Musée d'Art modern de la Ville de Paris beherbergen - der Zeitraum, der benötigt wird, das Museum in Paris zu sanieren.

Der besondere Reiz der Schau ist, dass die rund 200 Werke eine spannende Übersicht über die Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts bietet - allerdings unter französischer Perspektive, die nicht unbedingt übereinstimmt mit dem Bild, das wir uns in Deutschland von der Moderne machen.
Die Schau setzt etwa 1900 ein, zu sehen sind Werke von Pablo Picasso und Henri Matisse. Ein sehr umfangreicher Bereich der Schau ist dem Kubismus gewidmet. Später bestimmt die École de Paris die Kunstszene mit Künstlern wie Amedeo Modigliani und Marc Chagall.

Breiten Raum nimmt auch der Nouveau Réalisme ein, der in Frankreich eine ähnliche Rolle spielte wie in den USA die Popart und maßgeblich zur Entwicklung der Objektkunst und Aktionskunst beitrug. Zu sehen sind etwa Werke von Yves Klein und George Segal. An dieser Stelle wird aber auch deutlich, wie Paris in den 1960er-Jahren allmählich seine kunsthistorische Vorreiterrolle an die USA abgab.