Ingolstadt
"Das kann doch jeder"

Ingolstädter Ausbilderin ermutigt dazu, Erste Hilfe zu leisten - Lehrer bereits als Referendare gefordert

04.04.2019 | Stand 23.09.2023, 6:31 Uhr

Ingolstadt (DK) In Bayern muss jede angehende Lehrkraft im Referendariat einen Erste Hilfe-Kurs absolvieren. Damit soll verhindert werden, dass es Fälle wie den eines jungen Wiesbadeners gibt, der mutmaßlich nicht ausreichend versorgt wurde, als er im Unterricht kollabierte (siehe Kasten). Sein Schicksal ist zugleich Mahnung für alle, im Ernstfall wirklich zu helfen.

Das traurige Schicksal des heute 24 Jahre alten Wiesbadeners zeigt auf, welche Bedeutung das Thema Erste Hilfe hat. Und trotzdem haben viele Menschen Hemmungen, im Notfall selbst aktiv zu werden, aus der unbegründeten Angst heraus, etwas Verkehrtes zu tun. "Man kann eigentlich nur eines falsch machen", hält Iris Zontar, Ausbilderin in Erster Hilfe beim Rot-Kreuz-Kreisverband Ingolstadt dagegen: "Nichtstun. Aber das geht gar nicht. Helfen kann doch jeder. Man muss seine Angst, vielleicht noch mehr kaputtzumachen, überwinden." Sie plädiert dafür, das eigene Wissen regelmäßig mit einem Kurs aufzufrischen, denn bei vielen sei es Jahrzehnte her, dass sie eine solche Ausbildung absolviert haben. "Spätestens alle fünf Jahre sollte das aus meiner Sicht schon sein. Da ändert sich nämlich immer wieder etwas. "
 

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Die erfahrene Ausbilderin gibt auch gleich einige Tipps an die Hand. "Die Ruhe bewahren, denn das überträgt sich auf andere", empfiehlt sie. Der Eigenschutz sei stets oberstes Gebot, "also erst eine Unfallstelle sichern und sich Handschuhe anziehen, falls vorhanden." Wer jetzt sofort zum Handy greift und die Notfallnummer 112 wählt, könne aber nicht viel zur Situation sagen. "Vorher sollte man immer an den Patienten herantreten, sich kurz vorstellen und die Lage sondieren. Danach kann man die Leitstelle informieren, seinen Namen nennen und wo man sich genau befindet. Dort stellen sie dann schon die richtigen W-Fragen: Wer, wann, wo, was, wie. Und erst auflegen, wenn wirklich alles beantwortet ist", sagt Iris Zontar.

Die Lebensfunktionen zu kontrollieren, ist eine der wichtigsten Aufgaben von Ersthelfern, wie sich im Fall des Wiesbadeners auf traurige Weise bestätigt hat. Ist die Atmung normal? Falls nicht, zählt jede Sekunde, die Herzdruckmassage muss sofort beginnen. Fachleute sprechen von der Herz-Lungen-Wiederbelebung. "30 Mal drücken, zwei Mal beatmen, das ist heute der Standard", sagt Iris Zontar. Die Hilfe sei fortzusetzen, bis die Eigenatmung wieder einsetzt oder der Notarzt eintrifft. Für Bewusstlose mit normaler Atmung empfiehlt sie die stabile Seitenlage bei regelmäßiger Kontrolle der Lebensfunktionen.

Wenn blutende Wunden im Spiel sind, kommt dem Ersthelfer ebenfalls große Bedeutung zu, vor allem bei verletzten Arterien. "Das erkennt man am Spritzen, da muss sofort ein Druckverband angelegt werden. Bei kleineren Verletzungen reicht manchmal schon ein Pflaster." Schlaganfälle sind häufiger, als man denkt, "das trifft heutzutage oft schon junge Menschen, erkennbar an einseitiger Gesichtslähmung oder unklarer Aussprache", sagt die Ingolstädter Expertin in Sachen Ersthilfe. Kleidung lockern, nichts zu essen oder zu trinken geben, beruhigen, lauten ihre Empfehlungen. Solche und weitere Tipps kann jeder in einem Kurs bekommen.

Der Unfallschutz und Verletzungsprävention stehen schon in der Ausbildungszeit angehender Lehrkräfte auf dem Stundenplan. Ein besonderer Fokus liegt auf dem Sportunterricht. Lehramtsanwärter müssen verpflichtend innerhalb des ersten Ausbildungshalbjahres einen Erste-Hilfe-Schein vorlegen, der nicht älter als ein Jahr sein darf. "Um diese Kenntnisse in angemessenen Zeitabständen aufzufrischen, werden im Rahmen der Lehrerfortbildung eine Vielzahl von Kursen mit dem Schwerpunkt Unfallschutz und Prävention angeboten", sagt Daniel Otto vom Kultusministerium in München. "Die Inhalte dieses Trainings sind auf die am häufigsten vorkommenden Schülerunfälle zugeschnitten." Doch auch Schulkinder würden ab der 2. und 3. Klasse an das Thema herangeführt, was in Mittel- und Realschulen sowie an Gymnasien seine Fortsetzung finde.

Wer übrigens anderen in einer Notlage nicht beisteht, macht sich laut Strafgesetzbuch der unterlassenen Hilfeleistung schuldig. Andererseits kann niemand belangt werden, der "nach bestem Wissen und Gewissen" geholfen hat, es sei denn, er hat anderen mutwillig oder grob fahrlässig Schaden zugefügt.
 

Horst Richter