"Das ist keine Micky-Maus-Veranstaltung"

03.07.2008 | Stand 03.12.2020, 5:47 Uhr

Fast echt: Models eines Kostümverleihs präsentieren im Auftrag der Stadt als spätmittelalterliche Berühmtheiten in zeitgerechtem Ornat (v. l.) Herzog Stephan der Kneißel aus Landshut, Tabäa Visconti, Kaiser Ludwig der Bayer und Herzog Ludwig VII. (Der Gebartete). - Fotos: Stadt Ingolstadt

Ingolstadt (DK) Es ist nicht das erste Mittelalterspektakel in der Stadt, aber es soll das erste mit scharfem historischen Profil werden. Das Ingolstädter Herzogsfest von 11. bis 13. Juli rund um das Neue Schloss huldigt dem späten Mittelalter, als das Teilherzogtum Ingolstadt in nennenswerter Blüte stand, etwa von 1400 und 1450. Historiker beäugen derlei Veranstaltungen meist mit Skepsis.

In welchem Kostüm dürfen wir Sie auf dem Herzogsfest bewundern, Herr Engert?

Gabriel Engert: Da bin ich noch etwas unschlüssig. Ich werde mit einem schlichten Kostüm gewandet sein, wie es früher die einfachen Leute getragen haben. Das heißt ein Hemd und eine Kniebundhose. Wegen der Schuhe bin ich mit dem Herrn Bauch noch in der Diskussion.

Geht das so, Herr Bauch?

Markus Bauch: Das ist soweit korrekt. Gut, das mit den Kniebundhosen war ein kleines bisschen später, in der Renaissance. Aber ich glaube, wir werden für den Herrn Engert noch eine Hose finden.

Frage an den Historiker: Bis jetzt irgendwelche Einwände, Herr Dittmar?

Christian Dittmar: Nein. Wir werden dann schon sehen, in welchen Gewändern die beiden Herren auftreten. Ich werde übrigens als Businenbläser mitwirken, da sind die Kostüme schon vorgegeben.

Was hätte ein Kulturreferent des späten 15. Jahrhunderts getragen?

Dittmar: Es gibt in Ingolstadt authentische Abbildungen aus der Zeit um 1500. Da sind die Ratsherren und Bürgermeister zu sehen. Der Herr Engert als Kulturreferent gehört natürlich in die gehobene Schicht unserer Stadtbediensteten. Er könnte sich in dem Buch ein tolles Kostüm abschauen.

Die Veranstalter haben eine Kleiderordnung erlassen. Was muss das Volk beachten?

Engert: Das Volk soll, soweit irgend machbar, in passender historischer Kleidung zu dem Fest kommen, weil die Atmosphäre nicht nur davon lebt, dass die Darsteller, Marktbeschicker und offiziellen Vertreter in Kostümen auftreten, sondern auch die Besucher. Die zeitliche Orientierung ist das Spätmittelalter. Ob in Gewändern der Oberschicht oder der einfachen Leute ist zweitrangig. Hauptsache, es passt.

Bauch: Das Wichtige bei der Zeit der Gotik ist, dass die Schnitte sehr schlank und eng anliegend sind. Die Stoffe waren einfach gehalten, meist aus Leinen. Die Obrigkeit hat sich dazu Brokat geleistet oder auch Samt und Seide. Wenn man authentisch auftreten möchte, ist es wichtig, keine Renaissancegewänder zu tragen, denn die waren bereits sehr ausladend und farbenprächtig.

Engert: Da ist von der Epoche ja auch später. Da ist ein Bruch drin. Wir wollen die Ingolstädter Herzogszeit in den Mittelpunkt stellen. Die war ungefähr von 1400 bis 1450. Daher sollte man sich klar am Spätmittelalterlichen orientieren.

Herr Dittmar, welche Aspekte und Ereignisse der Ingolstädter Geschichte würden Sie gern auf dem Herzogsfest gewürdigt sehen?

Dittmar: Ich habe ein kleines Problem mit den Kriterien für den Begriff Herzogszeit. Er ist nicht klar definiert. Im Grunde geht das ja bis in die Zeit, als Bayern Kurfürstentum wurde. Also 1623. In die Herzogszeit, wenn man sie allgemein begreift, fällt durchaus auch noch die Zeit der Renaissance. Aus dem Titel "Herzogsfest" geht nicht genau hervor, ob wir uns wirklich auf die Zeit beschränken wollen, als Ingolstadt ein eigenständiges Herzogtum war.

Engert: Es heißt Ingolstädter Herzogsfest und bezieht sich auf die Ingolstädter Herzöge, also auf die Zeit, in der Ingolstadt Profil gewonnen hat.

Sind standesbewusste Historiker Spielverderber?

Engert: Im Gegenteil. Ohne standesbewusste Historiker würde das völlig abgleiten, in den Disneyland-artigen Versuch, irgendwas Historisches zu beleben. Das ist ja nicht das Ziel. Das Ziel ist, etwas nacherlebbar zu machen, das historisch eine Qualität hat. Insofern sind Historiker wichtig.

Bauch: Wir haben Historiker ernsthaft mit eingebunden, zum Beispiel Kurt Scheuerer vom Stadtmuseum. Er hat uns einige Tipps gegeben. Wir haben mit ihm alte Münzen und Grabplatten angeschaut, um zum Beispiel zu sehen, welche Kopfbedeckungen die Herzöge getragen haben.

Die Zahl der historischen Feste und Märkte ist sehr groß. Womit wird sich das Ingolstädter Fest aus der Masse hervorheben?

Bauch: Uns ist die Authentizität besonders sichtig. Das ist keine Micky-Maus-Veranstaltung, die wir da machen. Wir nehmen die Sache wirklich ernst. Wir halten zum Beispiel unsere Gastronomen dazu an, ihre Kühlanlagen zu verkleiden, dass sie Schläuche und Kabel, also alles Neuzeitliche, kaschieren, damit wir wirklich ein historisches Flair bekommen.

Engert: Ich kann das nur unterstreichen. Wenn man sich ähnliche Veranstaltungen anschaut, sieht man ungeheure Unterschiede, gerade bei den scheinbaren Kleinigkeiten. Was unsere beiden letzten Feste ausgezeichnet hat, waren eben die Authentizität und die Qualität. Jetzt kommt noch das Profil dazu, indem wir sagen, wir beschränken uns auf eine bestimmte Zeit.

Im Programm fallen allerdings historische Unstimmigkeiten auf. Zum Beispiel sind Ritter angekündigt, die es im Spätmittelalter kaum mehr gab. Es tritt die Gruppe Coraces Danuvii auf, die wiederum auf das Frühmittelalter spezialisiert ist. Es soll einen Hexengraben geben, aber die Hexenverfolgung ist kein Phänomen des Mittelalters, sondern der Neuzeit. Schließlich: Der Programmpunkt "mittelalterliches Lagerleben" führt in die Irre, weil die Menschen des Mittelalters ja nicht in Lagern lebten. Wie weit sind diese Aspekte dem Publikumsgeschmack geschuldet?

Bauch: Es ist so, dass man Kompromisse eingehen muss – und auch möchte. Die Coraces Danuvii sind eine Gruppe mit Ingolstädter Beteiligung. Es war unsere feste Prämisse, dass wir Ingolstädter bevorzugt integrieren. Und Landsknechtlager haben wir definitiv nicht auf dem Fest, das wäre die Zeit des Dreißigjährigen Kriegs und damit Neuzeit.

Es sind jedoch viele altbekannte Unterhaltungselemente angekündigt, Gaukelei, Zauberei, Feuerspucker und andere bewährte Ankommer. Wo verläuft die Grenze zwischen einem Fest mit historischem Anspruch und einem hollywoodartigen Ritterfasching?

Dittmar: Es ist schwierig, eine Grenze zu ziehen, damit es nicht in ein folkloristisches Spektakel abgleitet. Zum Beispiel der Hexengraben: Hexenverfolgung hat in der Zeit, in der das Fest spielt, in Ingolstadt keine Rolle gespielt, sondern erst nach der Gegenreformation. Da habe ich als Historiker etwas Bedenken, dass dieses ernste und dramatische Thema zum Spektakel degradiert wird. Ich will nicht alles auf die Goldwaage legen, aber man muss grad mit dem Begriff Hexen eben sensibel umgehen.

Engert: Aber mit dem Begriff Hexengraben ist ja kein Ort gemeint, an dem Hexen verbrannt wurden. Das ist einfach eine Ortsbezeichnung im Fest. Die Vorstellung von Hexen gibt es schon in der keltischen Zeit, die geht das ganze Mittelalter durch. Das Spätmittelalter war eine fanatische Zeit mit Geißlern, Selbstkasteiungen aller Art und religiösen Wahnvorstellungen, die man sich gar nicht vorstellen kann.

Bauch: Wir hätten eigentlich auch schreiben können "Esoteriker-Graben", denn es geht da drin tatsächlich um Runen- und Sterndeutung oder um Chakra-Dienstleistungen. Da sind wirkliche Esoteriker am Werk. Die Idee war, diesem Graben einen bewussten Namen zu geben. 2006 war dieser Ort für mich so ziemlich das Highlight der ganzen Veranstaltung.

Engert: Ich will noch was zu der erwähnten folkloristischen Freizeitveranstaltung sagen. Die Grenze ist schwer auszuloten, weil erstens unser Wissen über das Mittelalter seine Grenzen hat. Es ist schwer festzustellen, wie die Verhaltensmuster oder die Kleidung in dieser Zeit waren. Zweitens muss man natürlich auf Erwartungen eingehen, die Besucher haben. Und man muss Gruppen finden, die es machen. So viel Auswahl ist da ja nicht. Natürlich gibt es also den einen oder anderen Kompromiss, aber das historische Profil ist wesentlich schärfer als bei den vorherigen Festen.

Wie haben Sie das Fest vor zwei Jahren empfunden?

Dittmar: Ich war dort. Ich habe nicht im Einzelnen nachgeprüft, was historisch war. Es gibt natürlich schon Quellen, um das Leben im Mittelalter sehr gut nachzuvollziehen. Es ist aber klar, dass das nicht alles so streng genommen werden kann. Gut, es war für mich eben eine Unterhaltung. Mir ist vor allem wichtig, dass man mit so einem Fest das Geschichtsbewusstsein anspornt, damit sich die Bürger mit ihrer historischen Stadt identifizieren. Mein Einwand ist: Es darf nicht ins historisch Falsche abgleiten, denn es setzen sich viele Dinge fest. Chakra und sowas hat im Mittelalter keine Rolle gespielt. Die Legendenbildung geht sehr schnell.

Engert: Ich möchte einiges unterstreichen, was der Herr Dittmar gesagt hat. So etwas muss natürlich auch einen unterhaltsamen Aspekt haben. Wir wollen ja keine pädagogische Veranstaltung, sondern die Leute unterhalten und in ungezwungener Weise mit der Geschichte in Berührung bringen. Ich glaube, das gelingt uns bei diesem Fest.

Bauch: Das glaube ich auch. Ich bin mir sicher, dass für alle Ingolstädter was geboten sein wird. Für uns ist halt wichtig, dass man eine breite Streuung schafft und ganz unverkrampft an die Sache herangeht.