"Das ist eine andere Welt, da muss alles perfekt sein"

14.08.2008 | Stand 03.12.2020, 5:41 Uhr

Eingetaucht in warmes Licht posiert Claudia Dechant im Regensburger Tonstudio medienwirksam neben einem Elvis-Presley-Pappaufsteller und vor den goldenen Schallplatten ihres Produzenten Günther Behrle. Die 20-Jährige plant eine Karriere als Schlagersängerin. - Foto: Zell

Winkl (DK) Die 20-jährige Claudia Dechant aus dem Hemauer Ortsteil Winkl strebt eine Karriere als Schlagersängerin an. Demnächst erscheint ihre erste CD. Produzent ist Günther Behrle. Aus seiner Feder stammt der Millionen-Hit "Patrona Bavariae", der 1988 den Grand Prix der Volksmusik gewann.

Es ist dunkel, eigentlich stockfinstere Nacht, als sie den Umschlag in den Briefkasten wirft. Sie will nicht gesehen werden, hat all ihren Mut zusammengenommen. Der Traum von der Musikkarriere liegt in diesem unscheinbaren Kuvert. Ein paar Zeilen. Ein paar Bilder. Viel Herzblut. Große Hoffnungen.

Die junge Frau heißt Claudia Dechant, kommt aus dem beschaulichen Winkl und ist zu diesem Zeitpunkt 19 Jahre alt. Der Briefkasten gehört Günther Behrle, einem der bekanntesten und erfolgreichsten Produzenten deutscher Schlager, der in Regensburg sein Flamingo-Tonstudio betreibt.

Behrle kennt sie alle. Und für viele hat er geschrieben. In den 1960er und 1970er Jahren für Peter Alexander (Irgendwo brennt für jeden ein Licht), für Bata Illic (Ich möcht’ der Knopf an Deiner Bluse sein), für Chris Roberts (Barbara) oder Mireille Mathieu (Santa Maria). In den 1980ern widmete er sich mehr der volkstümlichen Musik und landete mit "Patrona Bavariae" einen Millionen-Hit. Gesungen vom "Original Naabtal Duo" gewann das Lied 1988 den Grand Prix der Volksmusik.

Eingetütete Hoffnungen

Doch würde dieser Umschlag, eingeworfen von einer unbekannten, aber hoffnungsvollen jungen Frau, den berühmten Komponisten, Texter und Produzenten überhaupt erreichen? Wird er ihn persönlich öffnen, die Zeilen selbst lesen? Oder entsorgt irgendein Assistent, vielleicht eine übereifrige Sekretärin die auf DIN-A4-Größe eingetüteten Hoffnungen im Papierkorb

Nein, Behrle öffnet den Umschlag. Höchstpersönlich. Dabei wäre er eigentlich in den Vereinigten Staaten gewesen. Den US Tennis-Open wollte er als Zuschauer beiwohnen; doch eine Verletzung plagte ihn, weshalb er lieber zu Hause blieb. Und so holte er die den Umschlag von Claudia mit der grünen Mappe drin aus dem Briefkasten. "Sie war mit viel Hingabe und aufwendig gemacht", erinnert sich die heute 20-Jährige. Sie hätte allerdings nicht gedacht, dass sie jemals eine Rückmeldung von Behrle erhalten wird, sagt sie.

Doch es kam anders. "Wenn jemand mit so viel Liebe ein regelrechtes Album macht, das macht einen großen Eindruck", sagt Behrle. Er wollte jedenfalls wissen, wer hinter dieser musikalischen Blindbewerbung steckte. Lud Claudia ein. Und schnell sei ihm klar gewesen: "Das ist genau die, die ich brauche, um ,Das kleine Kreuz am Straßenrand’ zu singen."

Dann geht alles ganz schnell. Am 21. Mai dieses Jahres steht Claudia in München beim deutschen Vorentscheid zum Grand Prix der Volksmusik auf der Bühne. Rund 3,8 Millionen Zuschauer verfolgen die Show an den Fernsehschirmen; Claudia landet auf Rang fünf. Doch nur die ersten vier sind für den eigentlichen Entscheid qualifiziert. Claudia ist enttäuscht. "Sie war wie ein Häufchen Elend und hat vor sich hingemotzt", berichtet Behrle. Doch er selbst bewertet das ganz anders: Auf Anhieb Platz fünf, das sei ein "Riesenerfolg". Und das habe die Claudia inzwischen auch eingesehen.

Die junge Frau hat auch gesehen, wie die Musikbranche läuft. "Das ist eine andere Welt", sagt sie, "da muss alles perfekt sein." Zwar sei der Auftritt im Voll-Playback gewesen, die Stimme kommt also vom Band und man muss gar nicht laut singen – was aber umso schwerer ist, ergänzt Behrle, weil man die Lippen zum Gesang synchron bewege müsse. "Und man muss immer in die Kamera schauen, die gerade Rotlicht hat", ergänzt Claudia.

Karriere und Studium

Ruhig sitzt sie im Besprechungszimmer von Günther Behrle. Die beiden duzen sich und lachen viel. Claudia ist ganz in Weiß gekleidet, das kennt man aus Hochglanz-Magazinen. Hier basteln die beiden an der Karriere von Claudia. "Sie braucht jetzt Fernseh-Auftritte", weiß Behrle. Und seine Kontakte helfen dabei. Vor ein paar Wochen hatte sein Schützling beim "Kahn der guten Laune" (MDR) seinen zweiten TV-Auftritt, kürzlich stand eine Aufzeichnung im Bayerischen Wald an. Die Single "Das kleine Kreuz am Straßenrand" hat Behrle inzwischen an 400 Radio-Stationen geschickt.

"Ich bin sehr glücklich", sagt Claudia im Gespräch mit dem DONAUKURIER. Denn auch beruflich läuft es gut für die junge Frau aus dem Hemauer Ortsteil. Seit Juli hat sie ihr Fachabitur in der Tasche; ab Oktober will sie studieren. Ihr Wunsch-Studiengang sei musik- und bewegungsorientierte Sozialpädagogik. "Ich wollte schon immer alles mit Musik verbinden."

Unter Umständen klappt es diesen Sommer noch nicht mit der Uni; denn Claudia hat erfahren, dass für diese Fächer in Regensburg nur 15 Studienplätze vergeben werden. Doch sie hat einen Plan B: "Falls ich dieses Semester noch nicht genommen werde, will ich ein halbes Jahr in der Behindertenwerkstätte im Pater-Rupert-Mayer-Zentrum arbeiten."

Aber auch musikalisch soll es weitergehen. Ein zwölf Lieder umfassendes Album ist so gut wie fertigproduziert und wird demnächst auf den Markt kommen. Neben eigenen Liedern aus Behrles Feder singt Claudia auch ein paar bekannte Schlager. Zum Beispiel Juliane Werdings "Am Tag, als Conny Kramer starb". Behrle ist sich sicher: "Claudia singt das besser als das Original." Er prophezeit ihr ohnehin eine große Zukunft. Und er unterstützt sie nach Kräften.

"Kein Bumm-Bumm"

Die Lieder, die Claudia singt, hat ihr Behrle auf den Leib geschneidert. "Ich schreibe die Lieder immer so, dass sie zur Person des Künstlers passen und eine Einheit darstellen", sagt er. Die Ideen kämen ihm überall, im Garten ebenso wie beim Autofahren.

Behrle textet auf deutsch, denn er weiß: "Der Markt will deutsche Lieder." Er kennt sein Publikum, "und das möchte kein Bumm-Bumm, sondern Lieder, die zu Herzen gehen". Der Erfolg gibt ihm Recht. An den Wänden seiner Flamingo-Studios hängen unzählige goldene Schallplatten. Claudias Augen glitzern mit den Trophäen um die Wette, wenn sie davorsteht. Und Behrle legt den Arm um sie, lächelt und sagt: "Eine solche wirst du auch bald bekommen."