Straßburg
Das Internet am Scheideweg

Abstimmung am Dienstag: Artikel 13 der geplanten EU-Urheberrechtsreform stößt auf viel Kritik - Europaweite Proteste geplant

20.03.2019 | Stand 23.09.2023, 6:18 Uhr
Hunderte Menschen protestierten am 2. März in Berlin gegen die Reform des europäischen Urheberrechts. Für Samstag sind erneut Proteste in ganz Europa angekündigt. −Foto: Soeder/dpa

Straßburg (DK) Die EU will mit einer Reform des Urheberrechts Internet-Plattformen wie Youtube oder Facebook verpflichten, Urheber stärker zu schützen. In der Umsetzung bedeutet das: Sie müssten Inhalte mit einer Art Filter überprüfen, bevor Nutzer sie hochladen können. Am Dienstag, 26. März, stimmt das EU-Parlament über die umstrittene Gesetzesänderung ab. Kritik kommt von vielen Seiten: Netzaktivisten fürchten Zensur, außerdem warnen sie davor, dass Internetkultur verloren ginge.

Es geht zum Beispiel um sogenannte Memes (ausgesprochen "Miems") - Internetnutzer veröffentlichen Bilder, Videos, Blogs oder Texte, die sich wie ein Lauffeuer ausbreiten, tausendfach geteilt werden, kurz: "viral gehen". Sie sind beispielsweise mit lustigen Sprüchen versehen oder spielen auf gesellschaftliche oder politische Phänomene an.

In den vergangenen 10 bis 15 Jahren hat sich diese Form der Kommunikation zu einer mächtigen Internet-Subkultur entwickelt. Ursprünglich stammt der englische Begriff Meme aus dem Griechischen. Mimeisthai bedeutet nachahmen - gemeint ist die Verbreitung von gewissen Inhalten, beispielsweise über Kommunikation. Das passiert im Internet jeden Tag millionenfach. Um vermeintlich geschützte Daten im Internet hochzuladen, Bedarf es keiner großen Kenntnisse. Es gibt Hunderte Webseiten, die es Nutzern ermöglichen, solche Bildchen oder Filme zu erstellen - User-generated Content nennen das Experten. Die nutzergenerierten Inhalte landen dann auf Facebook oder Youtube. Doch wer hält die Rechte an all den Fotos und Videoschnipseln, die im Netz kursieren?

An dieser Stelle kommt die EU-Kommission ins Spiel, die Urheber künftig besser schützen möchte. Aus ihrer Sicht ist das bisher gültige Recht nicht mehr zeitgemäß. Es stammt aus dem Jahr 2000 - damals gab es Youtube und Facebook noch nicht. Dafür soll es eine Reform des digitalen Binnenmarkts geben, die die das Urheberrecht neu definiert. Die umstrittenste Änderung dabei ist Artikel 13. Er regelt, dass urheberrechtlich geschützte Werke - wie etwa ein Songtext oder ein Filmausschnitt - nicht auf einer Plattform erscheinen dürfen, wenn deren Betreiber keine Lizenz für diese Beiträge besitzt. Bislang lag die Lizenz-Verantwortung bei den Nutzern, die das Material hochgeladen haben. Ziel der Änderung: Urheber sollen besser geschützt werden und mehr Geld erhalten, wenn ihre Werke auf Plattformen wie Youtube veröffentlicht werden.

Die Konsequenz des umstrittenen Artikels: Plattformen müssten Verträge mit allen Urhebern abschließen. Darin müsste geregelt sein, wie die Werke verwendet werden dürfen und wie viel Geld die Urheber bekommen. Plattformen wie Youtube müssten also anders als bisher für jede Verletzung haften - die Eigentümer der verbreiteten Inhalte könnten die Plattformen auf Schadensersatz verklagen. Bisher mussten sie die Inhalte erst aus dem Netz nehmen, wenn ihnen ein Urheberrechtsverstoß gemeldet wurde.

Bei der Videoplattform Youtube werden etwa 400 Minuten Videomaterial pro Minute hochgeladen, jeden Tag über eine Milliarde Stunden Videos angesehen. Um Urheberrechtsverletzungen zu vermeiden, müssten die Betreiber digitale Schranken installieren - die Rede ist häufig von sogenannten "Upload-Filtern". Ihr Argument: Die Masse an hochgeladenen Daten sei zu groß, um sie adäquat auf Urheberrechtsverstöße zu durchleuchten. Zwar findet sich das Wort Upload-Filter nicht explizit im Gesetzentwurf. Es ist bei genauer Betrachtung aber unbestritten, dass ein solcher Filter das Werkzeug wäre, um Artikel 13 umzusetzen, wie Judith Steinbrecher vom Digitalverband Bitkom erklärt.

Diese Filter stoßen auf starke Kritik der Netzgemeinde: Viele fürchten, die Filter würden aus Selbstschutz der Plattformbetreiber auch Material nicht zulassen, das tatsächlich erlaubt ist. Die Rede ist von Zensur. Ein Filter kann beispielsweise nicht unterscheiden, ob es sich um ein Original oder eine Parodie handelt. Zudem müsste jede Privatperson und jeder Hobby-Youtuber Verträge aushandeln und Lizenzvereinbarungen treffen. Besonders betroffen vom neuen Urheberrecht wären außerdem kleinere Unternehmen, neue Plattformbetreiber und alle Websites mit eigenen Foren. Sie müssten wie die großen Konzerne mit jedem Rechteinhaber Verträge abschließen - ein fast aussichtsloses Unterfangen.

Kritiker sagen: Statt einer Urheberrechtsreform könnte man die erwirtschafteten Gewinne besser verteilen, über Werberecht oder Veränderungen im Steuerrecht. Einige Experten sehen das "Fair Use"-Prinzip aus den USA als gute Lösung. Das gesteht nicht autorisierte Nutzungen von geschütztem Material zu, sofern sie der öffentlichen Bildung und der Anregung geistiger Produktionen dienen.

Auf der anderen Seite stehen die Befürworter der Reform. Zu ihnen gehören unter anderem die Zeitungsverleger. Denn zu dem Gesetzespaket gehört auch eine weitere zentrale Neuerung: Suchmaschinen sollen für das Anzeigen von Artikel-Ausschnitten etwa auf den Google-News-Seiten künftig Geld an die Verlage zahlen. Die Novelle sei eine große Chance für unabhängigen Journalismus in der digitalen Ära, erklärt ein Sprecher. Verlage bekämen erstmals die Chance, mit den großen Plattformen über die Nutzung ihrer Inhalte zu einem fairen Preis zu verhandeln. Die Vielfalt professioneller digitaler Medienangebote werde erhöht. „Dies ist ein guter Tag für die Meinungs- und Pressevielfalt in Europa und der Welt.“

Doch die Gesetzesänderung ist weit fortgeschritten: Alle EU-Länder haben zugestimmt. Deutschland ist damit ebenfalls unter den Unterstützern, obwohl Upload-Filter im Koalitionsvertrag klar ausgeschlossen wurden. Als letzte Instanz muss der Gesetzesentwurf noch vom EU-Parlament in Straßburg abgesegnet werden. Für kommenden Samstag rufen Aktivisten deshalb zu europaweiten Straßenprotesten auf, um die Parlamentarier zur Nein-Stimme zu bewegen. Das Votum findet am Dienstag, 26. März, statt. Angesichts der anstehenden Europawahl im Mai wird die Abstimmung mit großem Interesse verfolgt werden.

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Julian Bird