Neustadt
Das Herz am linken Fleck

Johanna Werner-Muggendorfer war 27 Jahre im Landtag

02.11.2018 | Stand 23.09.2023, 4:51 Uhr
Auf Du und Du mit den Spitzenpolitikern: Johanna Werner-Muggendorfer traf den einstigen bayerischen SPD-Spitzenkandidaten Karl-Heinz Hiersemann (v.l.) und den SPD-Abgeordneten Dietmar Franzke, Bundeskanzler Gerhard Schröder und den früheren CSU-Staatssekretär Gerd Merkl aus Teugn, mit dem sie zum Nutzen des Kreises Kelheim oft zusammenarbeitete. −Foto: Archiv Johanna Werner-Muggendorfer

Neustadt (DK) Soziale Gerechtigkeit: Dieses Thema sieht Johanna Werner-Muggendorfer als treibende Kraft in ihrem politischen Leben. 1991 zog die SPD-Politikerin aus Neustadt in den bayerischen Landtag ein. 27 Jahre hat sie sich im Maximilianeum für sozialdemokratische Werte stark gemacht. Bei der jüngsten Landtagswahl kandidierte sie nicht mehr. Kein Grund für die 68-Jährige, sich nicht weiter für ihre Partei zu engagieren.

An der Wand im Esszimmer ihres Hauses in der Platanenallee in Neustadt hängt ein Bild von Johanna Werner-Muggendorfer in olivgrüner Uniform, ein Barett schief auf dem Kopf und Zigarre rauchend an der Seite von Che Guevara, ebenfalls eine Havanna lässig zwischen den Zähnen. Das Schwarz-Weiß-Foto ist natürlich gestellt. Allein schon der Altersunterschied zwischen dem Commandante (Jahrgang 1928) und der "roten Johanna" (Jahrgang 1950) wäre zu groß. Und auch politisch trennen den kommunistischen Guerillaführer aus Kuba und die Sozialdemokratin aus Niederbayern Welten. "Nein, mit dem kann ich nichts anfangen", sagt die Hausherrin, auch wenn sie die Fotomontage, die sie irgendwann einmal zu einem Geburtstag geschenkt bekam, "ganz witzig" findet.

Dann schon lieber Willy Brandt. Mit ihm verbindet Johanna Werner-Muggendorfer das Thema der sozialen Gerechtigkeit als treibende Kraft in ihrem politischen Leben. Eine Zeichnung mit dem markanten Konterfei des ersten SPD-Bundeskanzlers hängt im Besprechungszimmer ihres Büros im Erdgeschoß. "Ja, der Willy Brandt, das war eines meiner Vorbilder", sagt Johanna Werner-Muggendorfer. "Und Nelson Mandela", ergänzt sie, "der hat mich immer schon fasziniert, weil er nach allem, was man ihm in seinem Leben angetan hatte, doch menschenliebend geblieben ist."

Und so ist man ganz am Anfang im Leben des "Homo Politicus" Johanna Werner-Muggendorfer. Mit ihrer vier Jahre älteren Schwester Marianne wächst sie in den 1950er-Jahren auf einem kleinen Bauernhof mitten in Neustadt gleich neben dem Pfarrhaus auf. Als sie sechs Jahre alt ist, entschließt sich der Vater, mit seinem Hof auszusiedeln und ist fortan hoch verschuldet. Mit 14 Jahren kommt das aufgeweckte "Bauerndearndl" auf die Realschule. Den Besuch eines Gymnasiums gibt das schmale Familienbudget nicht her.

Vater Josef und Mutter Maria, eine gebürtige Tirolerin aus Jungholz ganz in der Nähe von Pfronten im Allgäu, lernen sich gegen Ende des Zweiten Weltkriegs in Wien kennen. Bei einem romantischen Besuch im Prater funkt es zwischen dem kantigen Niederbayern und der lebenslustigen Tirolerin. Bald nach dem Krieg wird geheiratet, und es kommen die beiden Töchter zur Welt, denen der liebevolle Papa das notwendige Rüstzeug mit auf den Weg gibt, um im Leben bestehen zu können.

Es geht vor allem um Gerechtigkeit. Als Teenager versteht Johanna einfach nicht, warum in Amerika Schwarze hinten im Bus einsteigen müssen oder ein Mädchen nicht in eine bestimmte Schule gehen darf, nur weil sie die falsche Hautfarbe hat. Der Vater, obwohl er einmal als Lückenbüßer für die Bayernpartei kandidiert, hat mit Politik nicht viel am Hut. Aber zu Hause am Küchentisch wird viel diskutiert über die großen und kleinen Themen der Zeit.

Eines ist da schon klar: Johannas Herz schlägt links. Im Jahr 1972, Willy Brandt ist schon drei Jahre Kanzler, tritt sie nach einigen Jahren bei den Jusos - "a wuide Zeit" - in die SPD ein. Der Vater erlebt das nicht mehr, er stirbt 1969 im Alter von erst 45 Jahren. Mit dem Zeugnis der Mittleren Reife in der Tasche weiß der Teenager aus Neustadt nicht so recht, was er mit sich anfangen soll. "Bücher habe ich immer geliebt, also bin ich Bibliothekarin geworden." Doch sie ist kein weltfremder Bücherwurm, und die Büroarbeit ist nichts für sie. Also lernt sie den Beruf der Erzieherin, hat aber, selbst Katholikin, Probleme, mit einem SPD-Parteibuch und ihrem losen Mundwerk in einem der Kindergärten in katholischer Trägerschaft unterzukommen. Schließlich wird sie am städtischen Kindergarten in Regensburg angestellt und steigt zur Leiterin der Einrichtung mit vier Gruppen und zwei Hortgruppen auf.

Mit dem Einzug in den Stadtrat von Neustadt tritt sie 1978 ihr erstes politisches Amt an. Sechs Jahre später zieht sie in den Kreistag ein. Da ist sie schon Vorsitzende des SPD-Kreisverbandes. Im Jahr 1990 kandidiert sie zum Landtag, verpasst den Sprung ins Maximilianeum aber knapp. Als Heinrich Trapp 1991 völlig überraschend die Landratswahl im tiefschwarzen Dingolfing-Landau gewinnt, rückt sie in das Landesparlament nach. Die ehrgeizige SPD-Politikerin steigt in der Hierarchie der SPD-Fraktion bis zur stellvertretenden Fraktionschefin auf, scheitert allerdings mit ihrer Kandidatur als Vizepräsidentin des Landtags, was sie bis heute ein wenig wurmt.

Das fällt in eine Zeit, als Johanna Werner-Muggendorfer viele persönliche Schicksalsschläge ereilen. 2004 stirbt völlig überraschend ihr Mann Norbert, kurz darauf ihre über alles geliebte Mutter. Der gemeinsame Adoptivsohn lebt heute auf den Philippinen. Sie vergräbt sich noch tiefer in die Arbeit. Warnsignale ihres Körpers werden ignoriert. Dann der totale Zusammenbruch: Im Februar 2010 erleidet sie einen schweren Schlaganfall. Erst wenige Stunden zuvor hatte sie ihre Kandidatur für das Amt des Kelheimer Landrats angemeldet. Daraus wird nichts. Mit äußerster Disziplin, eisernem Willen und neuem Lebensmut rappelt sie sich wieder auf und wirft sich erneut ins Geschirr.

Fast auf den Tag genau vor zwei Jahren gibt sie bekannt, nicht noch einmal für den Landtag zu kandidieren. Ihre Bewerbung zum Bezirkstag geht schief, was sie am Ende doch verbittert. "Ich bin total abgeschmiert. Das habe ich nicht verdient, am Ende meiner politischen Karriere so eine Watschn zu kriegen." Doch Johanna Werner-Muggendorfer ist bekannt dafür, nach schlimmen Rückschlägen immer wieder aufzustehen. Die SPD braucht ihre Hilfe, das spürt sie. Den Kreisvorsitz will die 68-Jährige vorerst behalten. Neuwahlen im Unterbezirk stehen erst im nächsten Jahr an. Und sie hat auch noch ihre Mandate im Stadtrat und im Kreistag, wo sie sich nun stärker einbringen will. Eine erneute Kandidatur bei den Kommunalwahlen 2020? Nicht ausgeschlossen.

Harry Bruckmeier