Das große Stechen

26.07.2016 | Stand 02.12.2020, 19:30 Uhr

Ingolstadt (dk) Viel Regen und warme Temperaturen – das ist ideales Wetter für blutsaugende Plagegeister: Während die Bevölkerung unter den Stichen der Hausmücke leidet, machen den Wissenschaftlern vor allem die eingeschleppten Arten Sorgen.

In Rennertshofen (Kreis Neuburg-Schrobenhausen) ist es so schlimm, dass die Bürger schon vor dem Rathaus protestierten, weil sie es in ihren Gärten oder auf Terrassen nicht mehr aushielten. Auf der Demo präsentierten sie ihre zahlreichen Stiche und forderten Hilfe im Kampf gegen die lästigen Biester – die Mücken. Seit gut einer Woche gibt es nun sogar die Online-Petition „Stoppt die Stechmückenplage“, die ein Bürger aus Steppberg gestartet hat. Er und seine Mitstreiter fordern den Einsatz von Insektengift, um den Schwärmen in den wasserreichen Gegenden an der Donau Herr zu werden.

In Pförring (Kreis Eichstätt) ist man schon einen Schritt weiter: Der Gemeinderat hat den Bürgermeister ermächtigt, im Bedarfsfall einen Hubschrauber zu ordern, um das Mittel BTI auszubringen. In Ingolstadt hingegen halten sich die Klagen über die kleinen Blutsauger bislang noch in Grenzen.

Gibt es sie denn nun, die Mückenplage, oder nicht? „Bei warmen Temperaturen und viel Wasser kann die Populationsdichte sehr hoch werden“, bestätigt Helge Kampen vom Friedrich-Loeffler-Institut auf der Insel Riems bei Greifswald. Von einer Plage will der Insektenforscher aber nicht unbedingt sprechen. „Im Moment sieht es zwar sehr gut aus für die Mücken, aber das kann sich wieder ganz schnell ändern.“ Kampen ist Laborleiter beim Institut für Infektionsmedizin und beschäftigt sich schon seit vielen Jahren mit den kleinen Blutsaugern. Zusammen mit einer Kollegin vom Leibnitz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung in Müncheberg arbeitet er zudem am bundesweiten Mückenatlas.

Eine Mücke lebt in der freien Natur etwa vier, wenn sie Glück hat, sechs Wochen. 300 Eier legt ein Weibchen ungefähr, die Entwicklung der Larve dauert bei Temperaturen von 20 Grad um die 10 bis 14 Tage. Wenn es noch wärmer ist, geht es entsprechend schneller. „Bei 25 bis 30 Grad dauert es sogar nur eine Woche. Und dann kann so eine Population natürlich explodieren“, sagt Kampen. Kein Wunder also, dass gerade jemand, der nah an einem Gewässer wohnt, derzeit arg von den surrenden Plagegeistern gepiesackt wird.

Gestochen werden aber nicht alle Menschen gleich häufig. Abendliche Biergartenbesucher können davon oft ein Liedchen singen: Während man selbst die meiste Zeit mit Herumfuchteln und Zuschlagen beschäftigt ist, sitzt einem der Banknachbar entspannt gegenüber und erklärt, dass ihn die Mücken einfach nicht mögen würden. „Das liegt unter anderem an den Ausdünstungen der Haut“, erklärt Kampen. Mücken würden über verschiedene Reize angelockt, vor allem über chemische Komponenten. Eine große Rolle spiele dabei die Luft, die wir ausatmen, also das CO2, sowie eben der Duftcocktail, der über die Haut abgegeben wird. „Da ist Ammoniak drin, da sind Fettsäuren und alkoholische Verbindungen drin“, nennt der Wissenschaftler Beispiele.

3500 Stechmückenarten gibt es auf der Welt, in Deutschland sind es ungefähr 50 Arten. Jede Art hat ihre bevorzugte Duftmischung – und natürlich ist auch nicht jeder Mensch für jede Mücke gleichermaßen attraktiv. Beeinflussen – also verringern – kann man seine Anziehungskraft auf die Mücken nicht. „Vorübergehend passiert das vielleicht mal“, sagt Kampen. „Aber ich kann jetzt nicht sagen, wenn ich besonders viel Knoblauch esse, dann bleiben die Mücken weg.“ Es liege einfach an der Physiologie des Menschen.

Am weitesten und gleichmäßigsten ist in Deutschland die Gemeine Hausmücke verbreitet. Das bedeutet aber nicht, dass sie auch zahlenmäßig am häufigsten vertreten ist. Besonders Arten, die an Flussläufen leben, können sich bei Hochwasser millionenfach oder sogar milliardenfach entwickeln. „In absoluten Zahlen haben wir dann viel mehr Individuen, als das bei der Hausmücke der Fall ist“, sagt Kampen. „Allerdings sind diese häufig auf einen bestimmten geografischen Raum begrenzt und meist auch zeitlich limitiert.“

Von Krankheiten, die unsere heimischen Stechmücken übertragen, ist Deutschland bisher weitgehend verschont geblieben. Die Malaria konnte nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa ausgerottet werden. Wenn nun doch einmal vereinzelt Malariafälle auftreten, kann der Erreger zwar theoretisch von der Anopheles-Mücke auf einen anderen Menschen übertragen werden. „Die Quelle kommt aber immer aus dem Ausland, etwa, wenn ein Urlauber den Erreger aus den Tropen mitbringt“, sagt Kampen. Und: Es müssen schon viele Dinge zusammentreffen, damit wirklich etwas passiert.

Ähnlich ist es bei Viruserkrankungen wie Gelb- oder Denguefieber. „Unsere einheimischen Mücken sind wahrscheinlich keine guten Überträger solcher Viren“, resümiert der Forscher. „Wir kennen zumindest keine entsprechenden Fälle. Genau wissen wir es aber nicht – wir haben nur wenig Kenntnisse über ihr Überträgerpotenzial.“

Anders sieht es mit den sogenannten invasiven Mücken aus. Es wurden und werden zunehmend Mücken aus anderen Regionen der Welt eingeschleppt, zum Beispiel die bereits genannte Anopheles-Mücke, die Asiatische Buschmücke oder die Asiatische Tigermücke. „Von letzterer wissen wir sowohl aus Laborversuchen, als auch vielen Teilen der Welt, dass sie ein sehr guter Überträger von vielen Krankheitserregern ist“, betont Kampen. Umso wichtiger ist es, ihre Verbreitung im Auge zu behalten.

Die fremden Mücken wurden und werden hauptsächlich über den weltweiten Gebrauchtreifenhandel eingeschleppt. „Das ist ein Problem der Globalisierung“, erklärt der Insektenexperte. Mit den Reifen werde in Asien sehr viel gehandelt, in der westlichen Welt werden sie etwa zur Befeuerung von Industrieanlagen, für den Straßenbau oder Regenkleidung benötigt. Aus einem Teil werden auch wieder neue Reifen gemacht.

Bevor sie in alle Welt exportiert werden, liegen die alten Reifen oft wochenlang auf einer Wiese herum. Wenn es regnet, sammelt sich darin Wasser, was Arten wie die Asiatische Tigermücke anzieht. Sie legt ihre Eier nicht direkt ins Wasser, sondern klebt sie oberhalb an das feuchte Material. Die Reifen werden dann nach Südeuropa verschifft, wo sie oftmals wieder eine Weile in der Natur liegen und es erneut hineinregnet. Die Larven schlüpfen erst aus den Eiern, wenn diese ins Wasser geraten. Nach Deutschland kommen die jungen Mücken dann meist im Lastwagen, Zug oder Auto als blinde Passagiere.

Wasser – das ist das Stichwort, wenn es um den Kampf gegen die heimischen Stechmücken geht: So darf es, etwa im Garten, keine Ablageplätze für ihre Eier geben. Die Regentonne, Regenrinnen und Abflüsse, in denen sich Wasser sammeln kann, gehören abgedeckt. Wer einen Teich hat, kann dort räuberische Fische einsetzen, denn sie ernähren sich von Mückenlarven. Ansonsten helfen nur spezielle Sprays, Fliegengitter an den Fenstern und Moskitonetze über dem Bett, um die Plagegeister im Haus auf Distanz zu halten.