Vohburg
Das Grauen bleibt unvergesslich

26.04.2010 | Stand 03.12.2020, 4:04 Uhr

Die Vohburger Donaubrücke im Herbst 1945: Von der schönen alten Eisenbrücke stehen nur noch die Pfeiler. Dahinter die von Amerikanern erbaute Behelfsbrücke aus Holz mit einem Teil als Hängebrücke bei Oberdünzing. Vor den Pfeilern Eisbrecher.? Repro: Bauer

Vohburg (PK) Vor seinen Augen tauchen Bilder auf, als wäre es gestern erst passiert. Hans Scheininger, in München lebender Architekt, erlebte als Verwundeter das Kriegsende in seiner Heimatstadt Vohburg. Mit 85 Jahren gehört er bald zu den letzten, die den Krieg noch als Berufssoldat miterlebt haben.

Mit 14 war der junge Hans Scheiniger in die Unteroffiziersvorschule eingetreten und dann in die Offiziersauswahl gekommen. Als Oberfähnrich der Sturmartillerie wurde er im Kampf gegen die Sowjets Anfang 1945 mit Unterarmdurchschuss ins Lazarett bei Schweinfurt gebracht und dort Ende März in den Genesungsurlaub in seine Heimatgemeinde Vohburg entlassen, wo er am 26. März zu Fuß ankam – immer noch Soldat in Uniform, aber in der Hoffnung, das Kriegsende zu erleben, ohne noch einmal an die Front zu müssen. Beinahe hätte es ihn aber noch erwischt. Mit seinem Nachbarn Michael Bergermeier wurde er am 22. April von durchziehenden SS-Leuten aufgegriffen. Da beide jedoch verwundet und ordnungsgemäß zu Hause waren, ließ man sie laufen – als "Schweine, die den Führer verraten haben", wie ihnen ein SS-Mann zuschrie.

Vohburg war bis April 1945 von Kampfhandlungen verschont geblieben. Im Februar erschossen Tiefflieger den Bäckermeister Alois Pöppel auf dem Weg nach Pfaffenhofen. Noch am 20. April sollten Buben des Jahrgangs 1928 "Geburtstagsgeschenk für den Führer" werden, wie es in der zynischen Rede von Goebbels hieß. Für den Vater des Autors, er sollte in der Alpenfestung Volksjäger fliegen, war es Gott sei Dank schon zu spät; er musste nur noch Brückenwache an der Donau schieben. Dort wurden am 23. April, als die Amerikaner schon bei Ingolstadt standen, vier Bomben unter der Fahrbahndecke eingehängt, um sie zur Sprengung vorzubereiten.

Hans Scheininger erinnert sich: "Die Zündleitung wurde zum Freidl-Anwesen gezogen. Die Brücke sollte möglichst lange für den Rückzug offen bleiben, da sie zu den tragfähigsten der Umgebung gehörte. Weiter abwärts hatten junge Männer, der Jüngste, den ich traf, gerade mal 15 Jahre alt, unter der Führung eines Feldwebels Stellungen entlang des Donaudamms ausgehoben. Sie waren in einem erbärmlichen Zustand, froh um jedes Stück Brot. Ich habe versucht, sie zur Flucht in der Nacht zu überreden und ihnen einen Weg durch die kleine Donau gewiesen. Aber die Angst vor dem Feldwebel war größer als das gut gemeinte Wort eines Oberfähnrichs."

Tieffliegerangriff

"Vom Damm aus konnte man am 26. April am Ortsrand von Oberdünzing schon die ersten Amerikaner ohne besondere Schutzmaßnahmen herumlaufen sehen. Am Abend erfolgte dann der Tieffliegerangriff, in dessen Verlauf auch die Brücke gesprengt wurde", weiß Scheininger heute noch zu berichten. Ob diese Sprengung bewusst erfolgte oder durch den Tieffliegerangriff ausgelöst wurde, wird für immer ungeklärt bleiben. Fest steht, dass die Brücke zum Zeitpunkt der Explosion noch voll von ausweichenden Truppen war. Amerikanische Truppen waren mittlerweile auch ostwärts von Irsching und in Höhe Wackerstein über die Donau gegangen und versuchten wohl, Vohburg in die Zange zu nehmen.

Das Ende erlebte Scheininger tags darauf bei seiner Tante in der Bahnhofstraße im Keller. Dieser Tag, so erzählt er, gehöre zu den schwersten seines Lebens, mit Bildern, die er nie vergessen wird. Amerikaner hatten aus dem Burgkeller hinter dem Stöttnerbräu Reste des Volkssturms herausgeholt und erschossen. Ein besonders grausames Bild bot sich am Donaudamm. "In einem Schützenloch lagen zwei von hinten aus kürzester Distanz erschossene junge Soldaten. Der eine hatte damit begonnen, seinem Kameraden eine Kopfwunde zu verbinden. Er hielt das Verbandszeug noch in der Hand", erinnert sich Scheininger. Und er erzählt weiter: "Beide konnten also im Augenblick ihres Todes keine Schusswaffe in der Hand gehabt haben. Ob es Rache der Amerikaner war – ich weiß es nicht, aber ich könnte es unter Umständen sogar verstehen. Jedenfalls war es nach dem Kriegsvölkerrecht nicht rechtens, Soldaten zu erschießen, die Erste Hilfe leisteten."

Diese beiden jungen Burschen waren nicht die einzigen, die mit Rücken- und Genickschüssen regelrecht hingerichtet worden sein mussten. Später soll sich sogar einmal ein ehemaliger SS-Mann damit gebrüstet haben, diese jungen Leute wegen Feigheit vor dem Feind erschossen zu haben – als warnendes Beispiel für die anderen.

Auch an die folgenden Ereignisse erinnert sich Scheininger noch genau: "Am 1. Mai erfolgte der Aufruf, hinter der Andreaskirche (dem heutigen Rathaus) alle Waffen abzugeben. Auch sollten sich alle Soldaten im Heimat- oder Genesungsurlaub dort zur Demobilisierung melden. Ich war überrascht, als sich dort etwa 25 Soldaten meldeten, obwohl in Vohburg vorher nur immer fünf oder sechs zu sehen waren. Die anderen waren teilweise geflohen oder auch von verständigen Vorgesetzten nach Hause geschickt worden und hatten sich dort versteckt gehalten." Überrascht war Scheininger auch vom guten Deutsch des amerikanischen Soldaten. Tags darauf setzten die Amerikaner Alfons Hierhammer als Bürgermeister ein.

Mitte Mai ging Scheininger in amerikanische Gefangenschaft nach Ingolstadt. "Neben dem Lager gab es eine eigene Zone mit etwa 20 mal 20 Metern – Sonderzone für SS-Soldaten, darunter auch zwei Vohburger", erinnert er sich. Nachdem auch er auf SS-Zugehörigkeit überprüft und befragt worden war, erhielt er rund zwei Wochen später seine Entlassungspapiere.

Bäcker und dann Student

Als Bäckerlehrling hat er dann bis Ende 1945 in der Vohburger Bäckerei von Theo Hammerschmid, der in sowjetischer Kriegsgefangenschaft war, gearbeitet. Dabei kam er auch mit GIs zusammen, die aus Geisenfeld nach Vohburg kamen, um hier, wegen des moderneren Ofens, Brot zu backen. "Ein Soldat hatte deutsche Vorfahren, sprach selbst sehr gut deutsch und ließ dann absichtlich immer etwas Butter in den Dosen zurück – welches Glück", weiß Scheiniger noch heute. 1946 ging er zu seinem Onkel nach München, studierte als Werkstudent Architektur und machte sich dort einem Namen.

Seine Heimat Vohburg hat er nie vergessen. Noch immer macht er hin und wieder einen Abstecher in seine alte Heimat und so manches Mal, "aber immer seltener", trifft er dort auch einen alten Bekannten.