Ingolstadt
Das ging fast ins Auge

18.11.2010 | Stand 03.12.2020, 3:26 Uhr

Ingolstadt (reh) Lammfromm sitzt der Hüne auf der Anklagebank. Nervös knetet er nur die Hände, als die Staatsanwältin Veronika Wankerl genau in seinem Blickfeld spricht, seine Verteidigerin Marion Reisenhofer hinter ihm und rechts von ihm, hinter einem großen Pult, der Einzelrichter Michael Fein. Mit wachem Blick verfolgt er, was sich im Sitzungssaal des Amtsgerichts abspielt.

So friedlich der Angeklagte hier sitzt. In ihm wohnt ein Teufel, der regelmäßig zu Tage tritt, wenn der gelernte Maler und Lackierer sich betrinkt. Zuletzt war das heuer in der Nacht zum 12. September in einer Ingolstädter Diskothek so. "Ich habe davor drei Jahre keinen einzigen Tropfen angerührt und bis zu diesem Tag alles im Griff gehabt", beteuert er. Seine Abstinenz hat gesundheitliche Gründe: eine Krebserkrankung.

Sie hat aber auch eine juristische Seite. Der 38-Jährige ist massiv vorbestraft und sechs Mal verurteilt. Zwischen Februar 2008 und Dezember vor einem Jahr saß er im Gefängnis. Das Muster seiner Verbrechen war fast immer gleich: Im Suff ist er aggressiv und handgreiflich geworden. Als er aus der Haft rauskommt, steht er unter offener Bewährung. Doch das klappte eben nur bis zum Auftritt in der Disco.

Dort hatte er seine Ex-Freundin getroffen, mit er auch über die Haftzeit und danach ein gutes Verhältnis bewahrte. "Ich habe mich super mit ihr verstanden, sie hat mir Halt gegeben." Als er sie dann aber auf der Tanzfläche an der Seite eines anderen Typen sieht, schwillt der Ärger in ihm an. Er behauptet: Sie wollte mich eifersüchtig machen. "Da habe ich mich besoffen." Auf dem Höhepunkt seiner Selbstbemitleidung steuert der 38-Jährige auf die Tanzfläche zu, tippt seine Ex-Freundin von hinten an und sticht der 27-Jährigen dann mit einer Zigarette, die er sich trotz Rauchverbots angesteckt hatte, ins Gesicht. "Ein ganz gefährliches Vorgehen", urteilte Richter Fein, "die Frau hätte fast ein Auge verloren."

Die Zigarettenglut traf das Opfer aber knapp neben dem Auge. Eine Narbe erinnert sie für immer an diesen Zwischenfall, der glimpflich, weil ohne schwerere bleibende Schäden endete.

Der rabiate Freund hat sich bei ihr mit einem Brief aus der Haft heraus entschuldigt. Gestern wiederholte er seine Worte des Bedauerns persönlich. Wieder knetet er seine Hände.

Fein brummte dem gehörnten Freund, der seit September in U-Haft sitzt, weitere neun Monate Gefängnis drauf.

Da half nicht einmal "eine glühende Verteidigungsrede", wie Fein das Plädoyer von Anwältin Marion Reisenhofer nannte. Sie wollte eine Bewährungsstrafe für ihren Mandanten erreichen, der vierfacher Vater ist. Sie sagte sarkastisch: "Sperren wir die Leute doch ein, das wird schon helfen." Ganz so einfach sei es aber eben nicht, meinte Reisenhofer. "Er ist schwer alkoholabhängig – und die Haft hilft ja nicht, die Sucht zu bekämpfen." Auch der Angeklagte gab sich geknickt: "Ohne professionelle Hilfe geht es nicht."

Doch Richter Fein blieb hart: "Sie haben die Bewährungschancen alle schon gehabt." Der Einzelrichter redete dem Mann ins Gewissen. "Da muss man in solchen Situation auch einfach mal weggehen." Sonst kann das eben ganz schnell ins Auge gehen.