Ingolstadt
Das geheime Reich des Bürstenmachers

02.09.2010 | Stand 03.12.2020, 3:43 Uhr
Werkstatt mit Patina: Peter Bruckmayer hat hier noch bis 1991 Bürsten hergestellt. −Foto: Foto: Herbert

Ingolstadt (DK) "Und jetzt kommen wir in die schönste Abteilung", verspricht Peter Bruckmayer, als wäre er ein gewiefter Fremdenführer, und geleitet seine Gäste über die enge, knarzende Holztreppe hinauf in den Dachboden. Hier oben sind in langen Regalen die Bürstenhölzer gelagert, denn dieses Backsteinhaus ist die ehemalige Bürstenfabrik Gebrüder Bruckmayer.

An der historischen Fabrikationsstätte direkt neben dem Kreuztor ist wohl fast jeder Ingolstädter schon x mal vorbeigefahren oder -spaziert. Aber was sich hinter den Ziegelmauern verbirgt, weiß kaum jemand, denn die Familie Bruckmayer war bisher nicht gerade erpicht darauf, sich der Öffentlichkeit oder wenigstens den historisch Interessierten zu präsentieren. Es bedurfte großer Überzeugungsarbeit der städtischen Fachleute, Peter Bruckmayer dafür zu gewinnen, dass er am Tag des offenen Denkmals (12. September) die Ingolstädter in sein geheimnisvolles Reich lässt.

Dem 67-Jährigen und seinem Bruder Max gehört das exponierte Anwesen mit dem Stadtmauerhaus, dem Fabrikgebäude und dem großzügigen Innenhof. Gut eine Woche vor dem Tag des offenen Denkmals hat der frühere Fabrikant gestern Stadthistorikerin Beatrix Schönewald, Stadtplaner Josef Dintner und den DONAUKURIER zu einer kleinen Privatführung an seinem alten Arbeitsplatz empfangen.

Alles allein gemacht

Peter Bruckmayer ist gelernter Bürstenmacher, genauer gesagt Feinbürstenmacher. "Die Leute stellen sich darunter was Primitives vor", sagt er in den alten Werkstatträumen, die vollgepackt sind mit Maschinen, hölzernen Wandregalen, Gerätschaften, Werkzeugen und gusseisernen Öfen. "Aber das ist ein Beruf, der ziemlich kompliziert geworden ist." Bis 1991 hat der Handwerker hier noch produziert. "Seit 1970 hab ich fast alles allein gemacht, produziert, ausgeliefert, Buchhaltung."

Dann kam das endgültige Aus für die Traditionsfabrik. Der letzte große Auftraggeber für technische Bürsten, Schubert und Salzer, hieß plötzlich Rieter und fiel als Abnehmer heimischer Fabrikate weg. "In den besten Zeiten waren hier bei uns 20, 25 Leute beschäftigt", erzählt Bruckmayer.

Die besten Zeiten, dazu gehörte sicher auch das Jahr 1900, als die Ingolstädter Firma den begehrten Titel "Königlich bayerischer Hoflieferant" verliehen bekam. Bereits vier Jahre vorher hatten die Brüder Bruckmayer vom Königlichen Staatsministerium des Innern die silberne Medaille "für höchst geschmackvolle Ausstellung sehr schön gearbeiteter feiner Bürsten in meist neuen originellen Formen" erhalten. Anlass war die Bayerische Landes-, Industrie-, Gewerbe- und Kunstausstellung in Nürnberg "unter dem Protectorate Seiner Königlichen Hoheit des Prinzregenten Luitpold von Bayern".

Der Festung verpflichtet

Nach den Worten von Stadthistorikerin Schönewald kam die Familie Bruckmayer Mitte des 19. Jahrhunderts nach Ingolstadt. Das Bürstenmachergewerbe selbst gab es hier aber schon seit dem Mittelalter. "Das war früher ein Grattlergeschäft", erklärt die Museumschefin, nicht so angesehen wie andere Handwerkerzünfte.

Das bis heute nahezu unveränderte Fabrikgebäude der Bruckmayers neben dem Kreuztor entstand 1890. Schönewald findet es besonders beeindruckend, dass die Erbauer sich bei Material und Gestaltung offenbar "der Festung verpflichtet" fühlten und eine "architektonische Einheit" geschaffen haben. Gerade dieses Unternehmen zeige in faszinierender Weise den Übergang "zwischen Manufaktur und Fabrik, zwischen Tradition und Moderne", so die Historikerin.

Aber wie geht es weiter mit diesem Anwesen? "Auf dem Grundstück könnte man fantastische Sachen machen", spekuliert Eigentümer Bruckmayer, "aber da braucht man ein paar Millionen, das gehört alles saniert. Das ist was wert und ist trotzdem nix wert."

Zum Abschluss der Führung hat er noch eine fachmännische Erklärung für ein geflügeltes Wort parat. Der Staub der Tierborsten, lacht Peter Bruckmayer, habe bei der Bürstenproduktion wohl dazu geführt, dass die Leute gern und viel getrunken hätten. Oder anders ausgedrückt: "Der säuft wie ein Bürstenbinder."