Sömmersdorf
Das fränkische Oberammergau

Der 700-Seelen-Ort Sömmersdorf in Unterfranken wagt sich alle fünf Jahre an die Passion Christi

20.06.2018 | Stand 02.12.2020, 16:12 Uhr
Das Leiden Christi: Die Passionsspiele locken alle fünf Jahre rund 35000 Theaterbesucher in das 700-Einwohner-Dorf. Mehr als die Hälfte der Menschen des Ortes wirkt bei den Passionsspielen mit. −Foto: Foto: Meusel/dpa

Sömmersdorf (dpa) Ein 700-Einwohner-Dorf wagt sich seit langem alle fünf Jahre an die Darstellung einer der bekanntesten Geschichten der Menschheit: der Passion Christi. Gleichzeitig soll das Spektakel im unterfränkischen Sömmersdorf modern und frisch daher kommen.

"Es lebe der König der Juden", hallt es über die von Bäumen umsäumte Freilichtbühne. Peitschen knallen - und dann wirkt es, als hätte jemand auf Zeitlupe geschaltet. Jesus-Darsteller Stefan Huppmann verzieht schmerzerfüllt das Gesicht, schwankt - an den Händen gefesselt - vor und zurück. Wenige Sekunden später läuft wieder alles in Normalgeschwindigkeit. Gerade wird die Geißelung geprobt - mit modernen Theaterelementen.

Dutzende Laiendarsteller stehen auf der Bühne - das Volk, Soldaten mit Schild und natürlich Jesus mit Dornenkrone. Es ist ein Riesenspektakel, das alle fünf Jahre im unterfränkischen Sömmersdorf, einem Ortsteil von Euerbach im Landkreis Schweinfurt, veranstaltet wird. In diesem Jahr starten die Passionsspiele am 24. Juni. Zu den 18 Spieltagen werden etwa 35000 Besucher erwartet.

Etwa 400 ehrenamtliche Helfer verwirklichen das Projekt. 1933 wurden die Passionsspiele zum ersten Mal aufgeführt. Mitmachen darf jeder, der in dem knapp 700-Seelen-Dorf wohnt oder gelebt hat. "Es gibt kleine Ausnahmen, aber irgendein Bezug zu Sömmersdorf muss da sein", sagt Robert König, erster Vorsitzender des Vereins Fränkische Passionsspiele Sömmersdorf. Probleme, genügend Schauspieler und Helfer zu finden, habe es noch nie gegeben. Im Gegenteil: Heuer wollten sogar fast 70 Leute mehr mitspielen als vor fünf Jahren.

Bühnenbildner Andre Putzmann aus Berlin ließ mit festungsähnlichem Gemäuer, verwinkelten Gassen und grüngoldenem Tor das alte Jerusalem auferstehen. Etwa drei Millionen Euro kostet das Spektakel. Die größte Summe davon verschlang die neue Überdachung. Die überzogene Stahlkonstruktion soll Freilichtbühne und Zuschauerraum das ganze Jahr über wetterfest machen. König erwartet von den diesjährigen Aufführungen Einnahmen in Höhe von 650000 Euro. "Wir werden erstmal in der Kreide stehen."

Die Gemeinde Euerbach habe keine großen wirtschaftlichen Vorteile durch das "fränkische Oberammergau", sagt Bürgermeister Arthur Arnold. Wichtig seien eher die "weichen Faktoren" wie Aufmerksamkeit und Attraktivität als kultureller Standort.

Laut der Dachorganisation Europassion werden Passionsspiele wieder beliebter. "Wir hatten eine Flaute. Aber in den letzten Jahren nehmen die Besucherzahlen wieder stark zu. Scheinbar suchen die Zuschauer wieder nach Orientierung", sagt Generalsekretär Josef Lang. In Deutschland gibt es mehr als 200 Spielstätten, die regelmäßig das Leiden und Sterben von Jesu Christi aufführen. Sömmersdorf gehört zu den größten. Den Spitzenplatz belegen mit Abstand die Passionsspiele in Oberammergau, die mehr als 500000 Besucher anziehen.

Allerdings möchte sich nicht jede Bühne mit Oberammergau messen. Der kommerzielle Aspekt sei vielen Bühnen ein Dorn im Auge, sagt Heribert Knecht, Präsident des Verbands deutscher Freilichtbühnen. "Wir legen Wert auf den ursprünglichen Passionsspielcharakter mit festem Glauben, nicht auf diesen Nebeneffekt mit Riesen-Wirtschaftsbetrieb." An den Passionsspielen in Sömmersdorf lobt Knecht den gelungenen Spagat zwischen Tradition und Moderne: "Sie bemühen sich, es so zu handhaben, wie es Tradition ist - und haben trotzdem eine neuzeitliche Inszenierung an den Tag gelegt."

Verantwortlich sind zum zweiten Mal die Regisseure Hermann Vief und Marion Beyer. "Wir haben eine zusätzliche Szene, die gut zu den allgemeinen Themen passt, die die letzten zwei Jahre herrschen. Es geht um Fremdenfeindlichkeit", sagt Vief. Drei Stunden dauert die Aufführung - vom Einzug nach Jerusalem bis zur Auferstehung.

Lehrer Tobias Selzam schlüpft als Zweitbesetzung zum zweiten Mal in die Jesus-Rolle. "Mich begeistert, wie das ganze Dorf das stemmt", sagt er. Mit vier Jahren stand Selzam zum ersten Mal für die Passionsspiele auf der Bühne. Trotz des Zeitaufwands und der Anstrengungen sei das Engagement groß und stärke den Zusammenhalt.

Europassion-Generalsekretär Lang bestätigt den positiven Effekt solcher Aufführungen: "Was man überall feststellen kann, ist, dass durch die Passion eine sehr intensive Gemeinschaft entsteht." Alle seien aufeinander angewiesen, denn: "Was bringt der beste Jesus-Darsteller, wenn ihn keiner vom Kreuz runterholt?"