Eichstätt
Das Ende der Wüstenwanderung

Seit dem Corona-Ausbruch im März findet in Eichstätt das erste Konzert statt - Zu Gast ist das kleine Ensemble des BR-Chors

05.07.2020 | Stand 23.09.2023, 12:44 Uhr
  −Foto: Hecker

Eichstätt - Vier Monate ohne Musik, vier Monate ohne Applaus, vier Monate ohne Konzerte.

 

In Eichstätt wurde das Kulturleben aufgrund der Corona-Pandemie wie im Rest Deutschlands bis auf Null reduziert. Nach einem regelrechten Kulturentzug öffnete nun die Schutzengelkirche ihre Pforten für das kleine Ensemble des BR-Chors, das zu einem Gastauftritt in die Domstadt gekommen war.

 

Schon beim Betreten der Kirche war zu spüren, dass an diesem Abend etwas anders ist. Etwas lag in der Luft; etwas Bekanntes, einmal Vertrautes, etwas, worauf man viel zu lange verzichten musste: Vorfreude, Anspannung und Neugierde. Die Besucher des Konzerts des BR-Chors in Eichstätt betraten mit großer Disziplin das schummrige Kirchenschiff, selbstverständlich erst, nachdem sich jeder Gast die Hände desinfiziert hatte. Während das Publikum in der Schutzengelkirche im Zick-Zack-Muster seine Plätze einnahm, lugte der ein oder andere noch einmal verstohlen auf den Programmzettel. War man hier tatsächlich bei einem Konzert? Ja, "Lagrime di San Pietro" von Orlando di Lasso stand in großen Lettern auf dem Papier, A-cappella-Gesang mit Orgelmusik. Der Bayerische Rundfunk zu Gast.

 

Wer noch letzte Zweifel hegte, verlor diese spätestens, als aus einem Nebenraum der Kirche verheißungsvoll die Stimmen der Sänger wehten. In erwartungsvolle Stille gehüllt, schienen die rund 50 Gäste die letzten Minuten bis zum Beginn des Konzerts zu zählen.

Als Bischof Gregor Maria Hanke dann mit seinem Vorwort das Konzert eröffnete, schien das Publikum den Atem anzuhalten. Nicht wahrer hätten die Worte von Hanke sein können. Er sprach von dem Ende einer Wüstenwanderung. Von Corona-Abstinenz. Von singenden Lippen, die hinter Masken verborgen waren. Nur einen Augenblick später fielen dann endlich diese Masken. Die sieben Sänger des BR-Chors, die nach Eichstätt gekommen waren, verwandelten die Schutzengelkirche in einen riesigen Klangkörper. Das Publikum war nicht länger Beobachter, es war Teil des Konzerts. Von hinten spielte die Orgel, vorne am Altar begann ein leichtfüßiges Spiel aus Sopran und Tenor. Die Zuschauer schienen fast andächtig bei "The Deer's Cry" von Arvo Pärt. Augen geschlossen, der Kopf neigte sich zu Brust. Endlich wieder Musik, live vorgetragen, nicht durch den Bildschirm oder das Radio. Wenn der Boden zu den Orgelpfeifen vibrierte, legte sich eine Gänsehaut auf die Arme. Martin Bernreuther an der Orgel übernahm den kraftvollen Part des Konzerts, der Chor unter der Leitung von Peter Dijkstra war dagegen weich und gefühlvoll. Musik, die wahrlich unter die Haut geht. Trotzdem war auch bei diesem Konzert Corona nicht vergessen. Die Masken erinnerten daran, auch die Sänger betraten den Raum mit "verborgenen Lippen", die eigenwillige Sitzordnung war nicht zu übersehen. Und doch war es ein Anfang, das Wiederbeleben einer eingeschlafenen Kulturszene, das erste befreite Aufatmen nach wochenlangem Zwangskorsett durch die andauernde Corona-Pandemie.

So war es zum Schluss kein Wunder, dass der Applaus zunächst fast ungläubig und zaghaft einsetzte, dann jedoch immer kraftvoller wurde, wie das erwachte Bewusstsein, dass man gerade wieder Musiker von Auge zu Auge bei ihrer Arbeit erleben durfte. Die erste zarte Pflanze, die nach der Corona-Abstinenz wachsen durfte. Und auch der Wunsch, den der Bischof bei der Eröffnung des Konzerts geäußert hatte, hatte sich schließlich zweifelsfrei erfüllt: "Dieses Konzert soll nicht nur ein Kunstgenuss sein, sondern uns auch die Schönheit des gesungenen Gebets erkennen lassen", hatte Hanke zu Beginn gesagt. In den Gesichtern des Publikums zeichnete sich deutlich dieses Erkennen ab - schöner als der BR-Chor hätte man Gebete kaum singen können.

EK

Anna Hecker