Ingolstadt
Das Ende der guten Nachbarschaft

Warum in Gerolfing ein geplantes Sechsfamilienhaus die Anwohner der Raimundstraße auf die Barrikaden treibt

16.10.2013 | Stand 02.12.2020, 23:33 Uhr

Streitobjekt: Das rechte Haus soll abgerissen werden und Platz für ein Sechsfamilienhaus machen. Die Nachbarn wollen dagegen rechtlich vorgehen - Foto: Strisch

Ingolstadt (DK) Die Familie Sutner wohnt weit, weit weg vom Piusviertel, in einer schönen neuen Doppelhaushälfte in Gerolfing. „Wir sind eigentlich glücklich und zufrieden“, erzählt Christian Sutner, „das ist eine tolle Wohngegend, ruhig, kein Durchgangsverkehr, gleich gegenüber ein wunderbarer Spielplatz.“

Wer in der Raimundstraße lebt, der zählt zu den Ingolstädtern, denen es gut geht. Eine Gegend mit viel Grün, großzügigen Grundstücken und meist Einfamilienhäusern.

Christian Sutner, seine Frau Stefanie und ihre zwei Kinder haben hier seit 2010 ihr Zuhause, die Schwägerin bewohnt die zweite Doppelhaushälfte. Seit einigen Wochen verstehen sie die Welt nicht mehr. Denn das Einfamilienhaus auf ihrem Nachbargrundstück soll verkauft, abgerissen und durch ein Sechsfamilienhaus ersetzt werden.

Die Sache hatte vergangene Woche im Stadtentwicklungsausschuss schon einiges Aufsehen erregt. Stadträte beschwerten sich, dass die Bauverwaltung sie über den Gerolfinger Streitfall nicht informiert habe. Auch OB Alfred Lehmann schien alles andere als glücklich. „So ist das einfach ungut“, kommentierte er das Vorgehen im Referat von Stadtbaurätin Renate Preßlein-Lehle. „Da ist Sensibilität der Verwaltung gefordert.“

Die Sutners in Gerolfing erinnern sich daran, wie sie selber ihr Haus gebaut haben. Der von ihnen beauftragte Architekt habe sich auf den Bebauungsplan für das Gebiet mit einer Geschossflächenzahl (GFZ) von 0,5 berufen. Mehr geht nicht, habe man ihnen gesagt. Dabei hätten sie schon gern etwas großzügiger gebaut. „Bebauungsplan ist Bebauungsplan, darauf haben wir uns verlassen“, sagt Christian Sutner. Aber warum habe die Stadt dann auf dem Nachbargrundstück für einen Bauträger eine GFZ von 0,6 für ein Sechsfamilienhaus zugelassen?

„Wir sind ein Rechtsstaat“, kommentiert Martin Reißig den Fall, „da muss man sich drauf verlassen können, dass es keine Bevorzugung gibt.“ Er wohnt ganz in der Nähe und kündigt an: „Wir werden auf jeden Fall juristisch prüfen lassen, ob die Sache korrekt gelaufen ist. Wir müssen darauf pochen, dass die Regeln eingehalten werden, sonst haben wir Wildwest.“

Wildwest bei den Genehmigungen? Wenn einer weiß, warum dem Bauträger in Gerolfing ein Sechsfamilienhaus zugestanden wurde, dann ist es Rudolf Dittert, der Chef des Bauordnungsamtes. Die Raimundstraße, so erklärt er, gehört zu einem Bebauungsplan aus dem Jahr 1983. Damals wurden die Räume in einem Dachgeschoss baurechtlich noch voll bei der Geschossfläche angerechnet, seit 1990 ist das anders. Seitdem wird die Dachetage nur dazugezählt, wenn über zwei Drittel der Wohnfläche 2,30 Meter Höhe erreichen (Vollgeschoss). „Das ist ein reines Rechenexempel“, weiß Dittert. In der Praxis führe es jedoch zu einer Benachteiligung von Vorhaben in älteren Bebauungsplangebieten.

Um eine Gleichbehandlung zu erreichen, so der Amtschef, werde bei älteren Bebauungsplänen mit „Befreiungen“ gearbeitet. Das heißt konkret: eine höhere GFZ. „Diese Befreiungen haben wir in der Gegend schon ein paar Mal gemacht, deshalb haben wir auch keine politische Brisanz gesehen.“ Die Kritiker aus der Raimundstraße hätten bei ihrem eigenen Haus ebenfalls eine Befreiung bekommen. Die ganze Aufregung sei wohl durch die hohe Zahl der Wohnungen entstanden. „Diese Diskussion brauchen wir nicht zu führen“, sagt Dittert, „die Wohnungszahl ist im Bebauungsplan nicht geregelt.“