Straß
Das dunkelste Kapitel Geschwader-Historie

Im Jahr 1963 sind beim Absturz eines Kampfjets in Straß vier Menschen ums Leben gekommen

15.11.2021 | Stand 23.09.2023, 21:49 Uhr
Ralf Schmitt
Ein Bild der Verwüstung bot sich nach dem Absturz eines Kampfjets in Straß. 1963 kamen dabei vier Menschen ums Leben. −Foto: Schmitt/Schlüter/Taktisches Luftwaffengeschwader 74

Die mittlerweile 60-jährige Geschichte des Taktischen Luftwaffengeschwaders 74 ist auch eine Geschichte voller trauriger Anlässe. Bereits zwei Jahre nach Indienststellung kam es im heutigen Burgheimer Ortsteil Straß im Jahr 1963 zum folgenschwersten Flugunfall für den Neuburger Militärverband. In den frühen Abendstunden des 30. Oktober stürzte damals ein Kampfflugzeug vom Typ F-86 "Sabre" auf ein Bauernhaus. Vier Tote und 15 Verletzte waren das traurige Resultat.

Die Unglücksmaschine war mit sieben anderen Jets des Geschwaders bei gutem Wetter auf dem Rückflug von einer Übung im französischen Dijon. Der Landeanflug auf den Heimatstützpunkt in Neuburg verlief zunächst problemlos. Plötzlich verlor jedoch einer der Allwetterjäger an Leistung und dramatisch an Höhe - womöglich wegen Vereisung. Im Tiefflug raste die Maschine über das Dorf. Dabei zerriss das knapp sechs Tonnen schwere Flugzeug eine Telefonleitung und schoss nach einer Baumberührung wie ein Projektil quer durch das Bauernhaus und brachte die Mauern zum Einsturz. Der Rumpf prallte in der Folge gegen die Ecke eines weiteren Wohngebäudes und brannte vollständig aus. Der Pilot hatte sich kurz zuvor ausgeschossen.

Zum Zeitpunkt des Unglücks waren 14 Personen im Wohnzimmer des Bauernhauses zu einer Brotzeitpause versammelt. Es waren die Bauersleute mit ihren Kindern und Nachbarn aus dem Dorf sowie Verwandte und Bekannte aus umliegenden Ortschaften, die dem Bauern beim Dreschen geholfen hatten. Niemand hatte die Maschine kommen hören. In Bruchteilen von Sekunden stürzten Mauerteile, Balken, Dachziegel und Mobiliar auf die Anwesenden herab. Vier der Anwesenden fanden dabei den Tod. 15 weitere Menschen, einige von ihnen außerhalb des Gebäudes, erlitten teilweise schwere Verletzungen, vier von ihnen schwebten in Lebensgefahr. Fast alle Überlebenden waren bewusstlos und trugen innere Verletzungen, Quetschungen und Knochenbrüche davon.

Unter den Menschen im Haus war auch die damals erst zehn Monate alte Klara Göbel, die Tochter des Bauernehepaars. Sie verlor durch das Unglück ihren zweijährigen Bruder Franz Xaver. Die weiteren Opfer: zwei Frauen und ein neun Jahre alter Bub aus Straß und aus Kunding. Klara Göbel passierte wie durch ein Wunder nichts. An den Unglückstag kann sie sich freilich nicht mehr erinnern. Da ihre Eltern und die Großmutter wegen der erlittenen Verletzungen ins Krankenhaus mussten, kam sie zu einer Tante nach Walda. "Wie lange das war, kann ich nicht sagen. Ich weiß nur, dass mein Großvater in dieser Zeit unseren Hof alleine bewirtschaften musste", berichtet die heute 58-Jährige, die seit ihrer Heirat Dreher heißt.

Die Überreste des Wohnhauses waren so schwer beschädigt, dass es komplett abgerissen werden musste, nur der Keller blieb übrig. Um wenigstens ein festes Dach über dem Kopf zu haben, wurde der Familie eine Behelfsbaracke auf das Grundstück gestellt. Aber auch über diese Zeit fehlen der Straßerin alle Erinnerungen. "Meine Mutter hat in den folgenden Jahren mir und meiner jüngeren Schwester während der Feldarbeit ab und zu mal etwas erzählt. Aber viel weiß ich über die Geschehnisse nicht", erzählt die Mutter zweier erwachsener Söhne.

Der damalige Kommodore des Neuburger Geschwaders, Oberstleutnant Fritz Wegner, bezeichnete den Piloten, einen 29-jährigen Oberleutnant, als qualifizierten und erfahrenen Flugzeugführer. Dieser habe bis zuletzt versucht die Maschine wieder unter Kontrolle zu bringen. Den Schleudersitz betätigte der junge Pilot demnach erst, als die Maschine nur noch 250 Meter über dem Erdboden war - seine letzte Chance. Bei einer Geschwindigkeit von etwa 400 Kilometern pro Stunde hätte er dazu nur noch knapp drei Sekunden Zeit gehabt. Wegen der tief liegenden Wolkenschicht hatte der Offizier die Ortschaft unter sich allerdings nicht sehen können.

Im Haus der Göbels waren Gespräche über das Unglück verboten. "Mein Vater, der lange Zeit in Kriegsgefangenschaft verbracht hatte, wollte oder konnte das damals einfach nicht", erklärt sie nachdenklich. Auf die Frage, ob sie neben ihrem eigentlichen Geburtstag auch am 30. Oktober, dem Tag ihres Überlebens, feiert, antwortet Klara Dreher: "Nein, mir reicht ein Geburtstag."

DK

Ralf Schmitt