Aichach-Friedberg
"Das bedeutet das Aus"

Sechs Busunternehmen aus dem Landkreis Aichach unterliegen bei europaweiter AVV-Ausschreibung

16.04.2020 | Stand 23.09.2023, 11:39 Uhr
Der Augsburger Verkehrsverbund hat alle seine Strecken in Aichach-Friedberg erstmals EU-weit ausgeschrieben. Die Grundlage dafür war eine Grundsatzentscheidung der Gesellschafter im Jahr 2013. Der Betrieb der Buslinien beispielsweise zwischen Aichach und Unterbernbach wurden damit europaweit angeboten. −Foto: Erich Hoffmann

Aichach-Friedberg - "Wir können's alle noch gar nicht fassen", erklärt Marlene Hedorfer die Reaktion der Busunternehmen in Aichach-Friedberg auf das Ergebnis der europaweiten Ausschreibung von drei Buslinienbündeln des Augsburger Verkehrs- und Tarifverbunds (AVV) in ihrem Landkreis.

Dabei geht es um 25 Linien mit rund 1,65 Millionen Fahr-Kilometern im Jahr. Nach aktuellem Stand gehen sechs von sieben Betrieben aus dem nördlichen Wittelsbacher Land leer aus, haben Linien verloren, die sie teilweise seit Jahrzehnten fahren. "Das bedeutet das Aus fürs Unternehmen", ist sich Leonhard Pfisterer, Seniorchef von Busreisen Johann Spangler sicher. Betroffen davon ist auch ein Schrobenhausener Busunternehmer, der sich aber nicht äußern wollte.

Bei Spangler geht es konkret um Linien zwischen Augsburg und Pöttmes, teilweise auch nach Aichach. "Die Linien haben wir schon immer", sagt Pfisterer, seit kurz nach dem Zweiten Weltkrieg fahre man sie. Zwei Reisebusse seien nur ein "Zubrot", 80 Prozent des Geschäfts habe man bisher über den Linienbusverkehr erwirtschaftet, er sei "das Standbein" des 1928 gegründeten Unternehmens. Leonhard Pfisterer hat es seit 2001 geleitet, im vergangenen Jahr erfolgte die Übergabe an den Enkelsohn Florian. Spangler und Hedorfer hatten als Bietergemeinschaft ein Angebot für ein Linienbündel unterbreitet und auf einen anderen Ausgang gehofft, als "dass es so läuft, dass wir gar nichts mehr kriegen".

"Mit der Ausschreibung kam die Enteignung", findet Marlene Hedorfer, Geschäftsführerin von Hedorfer Reisen, und meint damit die erste Ausschreibung, die 2015 auf die Grundsatzentscheidung der AVV-Gesellschafter (Stadt Augsburg und die Kreise Augsburg, Aichach-Friedberg, Dillingen) im Jahr 2013 für die europaweite Vergabe folgte. Mit Abschluss des aktuellen Verfahrens sind alle AVV-Strecken in Aichach-Friedberg erstmals EU-weit ausgeschrieben worden.

"Die Entscheidung zur europaweiten Vergabe geht auf die Neuausrichtung des AVV-Regionalbusverkehrs aus dem Jahr 2011 zurück, mit der die zuständigen Aufgabenträger eine größere Handlungs- und Entscheidungskompetenz in allen Fragen des ÖPNV erhalten sollten", erklärt Wolfgang Müller, Pressesprecher des Landratsamts. "Dies betraf auch die Angebotsplanung. Die Verkehrsunternehmen wünschten sich Bruttoverträge und keine Nettoverträge mehr. " Bei Bruttoverträgen hätten die Verkehrsunternehmen kein Einnahmerisiko, da sie von den Aufgabenträgern einen Vollkostenersatz erhalten. Allerdings: "Unter diesen Rahmenbedingungen sind Ausschreibungen zwingend vorgeschrieben. (. . . ) Direktvergaben sind nur bei Nettoverträgen und bei geringen Schwellenwerten zulässig. "

Regionale Unternehmen hätten das Linienbusnetz aufgebaut, nun "wird uns der Garaus gemacht, obwohl wir nichts falsch gemacht haben", sagt Marlene Hedorfer. Dieses Standbein gerade in der jetzigen Zeit zu verlieren, in der aufgrund von Corona schon der Reise- und Schulbus-Verkehr wegfalle, sei "die absolute Hölle". Die alteingesessenen Betriebe könnten theoretisch noch als Subunternehmer zum Zug kommen. Für eine echte Alternative halten das Pfisterer und Hedorfer allerdings nicht. Denn dann müssten sie angelehnt an die Ausschreibungsgewinner kalkulieren und das funktioniere nicht. "Ich müsste zu einem Preis fahren, bei dem ich nichts mehr verdiene", befürchtet Leonhard Pfisterer. Aus diesem Grund sei für ihn auch die Möglichkeit eines Einspruchs ausgeschieden.

Laut Wolfgang Müller ging allerdings einer ein, der das Linienbündel 02 betrifft. Dabei handelt es sich um Strecken zwischen Aichach und Affing, Edenried, Anwalting, Edenhausen, Unterbernbach, Metzenried, Xyger, Adelzhausen, Griesbeckerzell sowie Untermauerbach. Von welchem Unternehmen der Nachprüfungsantrag - so heißt der Einspruch juristisch korrekt - bei der zuständigen Vergabekammer Südbayern gestellt wurde, ist nicht bekannt. Für dieses Linienbündel läuft das Vergabeverfahren also weiter und ist nicht abgeschlossen. Bis zum Abschluss des Verfahrens besteht ein Zuschlagsverbot.

Auch Efinger Reisen, in Aichach zu Hause und 1945 gegründet, ist bei dieser Ausschreibung nicht direkt betroffen, erklärt Geschäftsführer Josef Ziegler. Die vier Linien, für deren Bündel man sich nun erneut beworben habe, habe man bereits vor vier Jahren verloren. Danach habe man das Unternehmen umstrukturiert: Fahrzeuge abgebaut, sich auf die Veranstaltung von Reisen und Ausflügen für Gruppen und Firmen konzentriert, bei freien Kapazitäten Fahrzeuge und Fahrer an größere Unternehmen vermietet. Die momentane Entwicklung könne in den kommenden Jahren aber auch sein Unternehmen wieder hart treffen, verdeutlicht Ziegler, wenn auch die Konkurrenz zwangsläufig umstrukturieren müsse. "Der Markt wird umkämpfter", prophezeit er. Ob man als Subunternehmer tätig werden könne, "kommt auf den Umlauf an", also darauf, ob sich Aufträge finanziell rentabel ins derzeitige Geschäft integrieren ließen und die Verbindung von Aufträgen möglich sei. Hier hätten es größere Unternehmen aufgrund ihrer höheren Auslastung leichter, Synergieeffekte zu nutzen.

Wie es jetzt weitergeht, kann auch Andreas Kölbl von Betzmeir Reisen in Hollenbach nicht sagen. Erst vor drei Jahren habe man eine neue Bushalle gebaut und neue Busse angeschafft, stellt er klar. Kölbl will "auf alle Fälle versuchen, den Betrieb aufrechtzuerhalten". Wenn es finanziell machbar ist, will er als Subunternehmer tätig werden. Er hat bei der Ausschreibung ebenfalls bereits befahrene Linien verloren, hatte in einer Bietergemeinschaft mit Efinger Reisen auf hinzukommende gehofft. "Seit 2013 haben wir versucht, die Ausschreibung zu verhindern, alles für die Katz'", resümiert er enttäuscht.

Bei der Ausschreibung kam aus dem Wittelsbacher Land nur das Friedberger Busunternehmen Demmelmair zum Zug. Den größten Teil des gewonnenen Linienbündels fahre man allerdings bereits seit rund 50 Jahren, betont Inhaber Gerhard Bestele auf Rückfrage. Er kenne das Problem, dass man "als kleinerer Betrieb fast keine Chance mehr" habe, da die Bündel so groß seien. Erst vor einem halben Jahr habe er aus diesem Grund zwölf Busse bei einer MVV-Ausschreibung verloren, klagt Demmelmair. Und auch diesmal habe er sehr knapp kalkulieren müssen, um überhaupt zum Zug zu kommen. Weitere Gewinner der Ausschreibung der drei Buslinienbündel durchs Wittelsbacher Land waren Egenberger aus Thierhaupten und Ziegelmeier aus Bobingen.

Neben diesen Unternehmen hat die europaweit agierende DB Regio Bus den Linienverkehr im Wittelsbacher Land in den vergangenen Jahren übernommen, seit 2016 fährt die Bahntochter auf den einstigen Hörmann-Linien zwischen Aichach, Rehling und Augsburg; sie ist auch im Süden des Landkreises mit ihren Bussen unterwegs.

Ursprünglich sollte der Aichach-Friedberger Kreisentwicklungsausschuss in seiner Sitzung am 1. April die Vergabeentscheidung treffen. Nachdem diese aber wegen der Ausbreitung des Coronavirus abgesagt wurde, hat Landrat Klaus Metzger, um entsprechende Fristen einzuhalten, eine "Dringliche Anordnung" zur Vergabe erlassen. Sie wird dem Kreisentwicklungsausschuss in seiner nächsten Sitzung zur Kenntnis gegeben.

Die Laufzeit der Verträge beträgt acht Jahre mit einer Option auf Verlängerung auf weitere zwei Jahre bis 2030. Vielleicht ändere sich bis dahin etwas an der Wertschätzung der Dienstleistung, die ihre Branche anbiete, denkt Marlene Hedorfer laut nach. "Aber das wird mir nichts mehr nützen. "

SZ

Nayra Weber