München
"Da wird detailliert die Hinrichtung beschrieben"

Bedrohungen von Bürgermeistern werden laut Städtetag immer schlimmer - Teilweise Enttäuschung über Polizei und Justiz

12.02.2020 | Stand 23.09.2023, 10:35 Uhr
Ein paar Minuten Zeit, ein paar Mausklicks - mehr braucht es nicht für eine Todesdrohung. Hass und Wut erreichen ihren Adressaten im Internetzeitalter mit minimalem Aufwand. −Foto: Silas Stein

München - Es sind erschreckende Zahlen: Laut einer Online-Umfrage des Bayerischen Städtetags hat bereits knapp jeder fünfte Bürgermeister Tötungsdrohungen erhalten.

Fast jedem dritten Rathauschef wurde körperliche Gewalt angedroht und immerhin zwölf Prozent wurden bereits körperlich angegriffen. Diese Zahlen stellte der scheidende Augsburger Oberbürgermeister und Vorsitzende des Städtetags, Kurt Gribl (CSU) jetzt vor. Und Tötungsdrohungen sind beileibe nicht "nur" ein pauschales "Ich bring Dich um! " - sondern "da wird detailliert der Hinrichtungsvorgang beschrieben", berichtet Gribl.

Noch höher ist laut Studie der Anteil derjenigen Rathauschefs, die sich bereits massiv beleidigen lassen mussten: 65 Prozent im persönlichen Kontakt mit Bürgern bis zu 80 Prozent anonym auf Papier, per E-Mail oder in den Sozialen Medien. Auch die Verwaltungsmitarbeiter werden davon nicht verschont. Knapp zwei Drittel der Rathausbeschäftigten musste sich bereits beleidigen lassen oder erlebte einen tätlichen Angriff.

Gribl hat selbst auch schon massive Anfeindungen erfahren - zuletzt zur Weihnachtszeit vergangenen Jahres, als ein Feuerwehrmann in Augsburg von einer Gruppe Jugendlicher getötet wurde, die einen Migrationshintergrund hatten. "Wir erhielten sofort die Aufforderung, strafrechtliche Positionen zu beziehen", erinnert sich der Oberbürgermeister. Als er erwiderte, dass es nicht seine Aufgabe sei zu spekulieren, "erhielt ich eine Bugwelle des Shitstorms, wie ich es nie zuvor erlebt habe".

Gribl redet offen über seine Erfahrungen und auch darüber, dass es ihn innerlich getroffen hat. Aber viele seiner Kollegen, die erneut kandidieren, scheuen den Weg an die Öffentlichkeit. Etwa die Hälfte aller Fälle wird gar nicht gemeldet. Das hat zum einen damit zu tun, dass die Rathauschefs nicht den Eindruck erwecken wollen, sie seien bei der Bevölkerung unbeliebt und oft auch keine Zeit haben, sich um die Angelegenheit zu kümmern. Zum anderen aber auch damit, dass sie mitunter schlechte Erfahrungen mit Polizei und Justiz gemacht haben, wie die Umfrage ebenfalls enthüllt.

"Einige Bürgermeister berichten von Erfahrungen mit Ermittlungsbehörden, die verständnislos reagieren und signalisieren, dass Mandatsträger eben Beleidigungen und Schmähungen aushalten müssten", heißt es in einem Papier des Städtetags. Und weiter: "Einige Bürgermeister berichten von Erfahrungen mit Polizeiinspektionen, die kaum ermitteln. Und laut den Praxisberichten wurden die meisten Verfahren bislang von der Staatsanwaltschaft eingestellt. "

Schwere Vorwürfe also an das bayerische Innen- und das Justizministerium. Auf Nachfrage sagt der Sprecher von Innenminister Joachim Herrmann (CSU), Michael Siefener: "Die Polizei ist verpflichtet, bei Verdacht von Straftaten zu ermitteln und den Fall der Staatsanwaltschaft zur Entscheidung vorzulegen. Da gibt es kein Ermessen. Bei allen Ermittlungen schöpft die Polizei das rechtlich und tatsächlich mögliche Instrumentarium aus. Die Kritik können wir insoweit nicht nachvollziehen. " Man nehme aber die "Anfeindungen und Bedrohungen sehr ernst".
Gleiches ist aus dem Justizministerium zu hören, wo man unter anderem auf den neuen Hate-Speach-Beauftragten verweist. Als weitere Gegenmaßnahmen geplant seien vereinfachte Verfahren zur Meldung von Online-Straftaten und feste Ansprechpartner für Kommunalpolitiker bei den Staatsanwaltschaften.

Gribl appelliert derweil eindringlich an seine Kollegen, alle Fälle auch zur Anzeige zu bringen. Einem "ständigen Personalschutz" wie ihn etwa Minister erhalten, erteilt er dagegen eine Absage. Und auch von einem Waffenschein für Bürgermeister mag er nichts wissen: "Das wäre die Kapitulation. " Stärker geschützt werden sollen aber künftig die Mitarbeiter im Rathaus: mit Alarmknöpfen, offenen Türen zu den Kollegen und eventuell Fluchtmöglichkeiten.

DK

Andre Paul