"Da sind ruckzuck die Hüllen gefallen"

Wie ein falscher Nudelvertreter bei der WM vor 40 Jahren die Endspiel-Vorbereitung der Niederländer störte

06.07.2014 | Stand 02.12.2020, 22:30 Uhr

Amsterdam (DK) 40 Jahre nach dem deutschen 2:1-Endspielsieg gegen die Niederlande bei der WM 1974 – die etwas andere Geschichte: Ein Gespräch mit dem Reporter Guido H. Frick, der vor dem Finale bei einer Nacktbadeparty von Johan Cruyff und Kollegen dabei war – und deshalb schuld sein sollte an der Endspielniederlage der Oranjes.

Sonne, Wiesen, Blumen, Seen, Berge, der Horizont. „Es geht nichts über die Natur“, sagt Guido H. Frick. Der 67-Jährige ist Maler, am liebsten setzt er auf seiner Leinwand Landschaften in Szene. Und weil das so ist, treibt es den gebürtigen Konstanzer immer wieder in die USA. Dort ist er beliebt, seine Workshops sind ausgebucht.

Der Frick von 1974 ist allerdings nicht unbedingt beliebt im Nachbarland Niederlande. Denn Frick war – in seinem ersten Leben sozusagen – Sportjournalist und berichtete von der Fußball-WM in Deutschland. Über viele Spiele auf dem Rasen – und über eines, das erst in einem Hotelzimmer und anschließend im Hotelpool stattfand.

Es ist der 30. Juni 1974, als Frick im Hotel „Krautkrämer“ in Hiltrup bei Münster eincheckt, wo die holländische Nationalmannschaft untergebracht ist. Alleine ein solcher Gedanke wäre heutzutage schon lächerlich, WM-Unterkünfte gleichen Hochsicherheitstrakten und sind weiträumig abgeschirmt. „Erlaubt war das damals auch nicht“, erzählt Frick, und das Mädchen an der Rezeption habe ihn auch noch gefragt: „Sie sind doch kein Reporter“ Fricks flinke Antwort: ,„Nein, Spätzlevertreter aus Stuttgart auf der Durchreise nach Hamburg.’“ Er bekam ein Zimmer – und wunderte sich, als er in der Nacht laute Musik hörte. „Musik von den Bee Gees und immer wieder ‚One way wind’ von der holländischen Gruppe The Cats“, erinnert sich Frick, „das war, wie ich bald erfahren sollte, das Lieblingslied von Johan Cruyff.“

Cruyff. Johan Cruyff. Der Superstar unter den vielen Größen im sensationellen holländischen Team. Auch für Guido Frick war der Schlacks aus Amsterdam die herausragende Persönlichkeit dieser WM: „Ich war ein Cruyffianer“. Vielleicht würde er ja im „Krautkrämer“ mit ihm ein paar Worte wechseln können, so von Spätzlevertreter zu Fußballstar, hatte sich der junge Reporter insgeheim erhofft.

Als Frick gegen zwei Uhr morgens sich auf dem Flur und im Garten umschaute, kam ihm Krautkrämer junior entgegen. Der Sohn des Hotelbesitzers lud den vermeintlichen Herrn der Nudeln aus dem Schwabenland auf einen Drink in sein Privatgemach ein. Dort sah sich Frick dann mittendrin in einer Spielerfete. Er entdeckte „König Johan“, wie der mit einer Rothaarigen tanzte, „na ja, auch schmuste“.

Er erlebte, wie er Schampus beim Juniorchef orderte und den Vorschlag machte, das muntere Treiben im Hotelpool fortzusetzen. Vier holländische Fußballer (außer Cruyff noch Rob Rensenbrink, Torwart Wim Schrijvers und Ersatzspieler Pleun Strik), drei Mädchen, Krautkrämer junior und der Spätzlevertreter, der keiner war, schlichen in den Keller. „Da sind ruckzuck die Hüllen gefallen“, erzählt Frick. Als der „Ringelpiez mit Anfassen“, wie Frick das Geschehen süffisant zusammenfasst, zu Ende ging, sei es draußen bereits hell gewesen.

Und nun, was tun? Frick telefonierte am anderen Morgen mit der Redaktion. Sein Chef sagte nur zwei Worte: „Sofort schreiben.“ Am 2. Juli stand die Story in den „Stuttgarter Nachrichten“ – und einen Tag später in der „Bild“, weil die mit Frick ein Interview führte. Im „Krautkrämer“ war Aufruhr. Cruyff musste zum Rapport bei Bondscoach Rinus Michels. Zuvor aber nahm sich der Oranje-Kapitän den falschen Nudelexperten vor.

Cruyff rastete aus, und hätten ihn van Hanegem und Keizer nicht zurückgehalten, dann wäre der große Johan dem bösen Guido an die Gurgel gegangen. So blieb es beim Rausschmiss aus der Herberge, den Hotelchef Krautkrämer senior mit harschen Worten verfügte: „Falsches, dreckiges Schwein, scher dich zum Teufel.“

Die Geschichte aber drang durch bis zu Cruyffs Ehefrau Danny. Sie habe mit Scheidung gedroht, und um seine Ehe zu retten, habe ein kleinlaut gewordener Johan die Tage und Nächte danach ständig mit ihr telefoniert, er sei folglich abgelenkt gewesen und habe deshalb im WM-Finale am 7. Juli beim 1:2 gegen Deutschland eine schwache Partie abgeliefert – so hieß es im Nachbarland.

2014. 40 Jahre danach. Guido H. Frick war seither mehrfach im holländischen Fernsehen zu Gast, in eine Jubiläumssendung zu Cruyffs 50. Geburtstag (der war am 25. April 1997) brachte der längst zur Malerei gewechselte Frick ein Bild mit, „ein Fischtrawler vor Texel, sozusagen als Friedensangebot“. Cruyff weigerte sich, mit Frick zu sprechen, das Bild aber sei nie zurückgekommen. „Immerhin“, sagt Frick.