Wolnzach
Da braut sich was zusammen

In der Hallertau hat die Hopfenernte begonnen – doch das extreme Wetter beschert den Bauern starke Einbußen

05.09.2013 | Stand 02.12.2020, 23:42 Uhr

Hallertauer Tradition – so heißt die Hopfensorte mit der Sebastian Reith (rechts oben) die Ernte beginnt. Der getrocknete Hopfen kommt allerdings kaum noch in Rohform ins Bier. Vor der Auslieferung an die Brauereien wird er zu Hopfenextrakt oder -pellets verarbeitet (Mitte) - Fotos: Oppenheimer

Wolnzach (DK) Das Fitnessstudio kann sich Sebastian Reith sparen. Zumindest während der Erntezeit. Vom frühen Morgen an erklimmt der 57-jährige Hopfenbauer aus Wolnzach dann täglich unzählige Stufen. Seine Trocknungsanlage erstreckt sich über mehrere Etagen.

Ganz oben, unter dem Dach, sitzt die Schaltzentrale. Auf zwei Bildschirmen sammeln sich die wichtigsten Daten: Feuchtigkeitswerte und Temperaturen in den verschiedenen Kammern. Je nach Situation muss der Hopfenbauer die Gebläse einstellen. Der „Reith Wast“, wie sie ihn hier nennen, setzt seine Brille auf und liest die Zahlen ab. „Passt“, murmelt er. Bei seinem Hopfen ist alles im grünen Bereic Meistens ist er alleine hier oben. Manchmal besucht ihn sein wuscheliger Hund Simba. Und manchmal – wenn es am Vortag besonders spät war – sagt der Hopfenbauer seiner Frau Bettina, sie dürfe jetzt niemanden rauflassen. Dann hält er ein Nickerchen. Aber nur kurz. Denn Reith muss seinen Hopfen auf einen Feuchtigkeitsgehalt von zehn Prozent bringen. Dann ist er perfekt für die Auslieferung. Und das ist eine Kunst für sich.

Unten im Hof wird derweil die Pflückmaschine von zwei polnischen Arbeitern mit den meterlangen Hopfenreben gefüttert. Das Gerät trennt die Dolden vom Rest der Pflanze. Alle paar Sekunden verschluckt das laut ratternde Ungetüm eine grüne Ranke samt Draht. Reith greift in die frische Ernte und pickt sich eine Dolde heraus – Sorte „Hallertauer Tradition“. „Normalerweise sind die größer“, sagt er und reibt mit dem Daumen die Blätter ab. „Da ist wenig Alpha drin.“ Der Alphasäure-Wert ist wichtig, er bestimmt den Preis. Liegt er unter einem bestimmten Prozentsatz, gibt es 30 Euro pro Doppelzentner weniger, erklärt Reith. Läge er darüber bekäme er ebenso viel Aufschlag. Doch einen Aufschlag gibt es heuer nicht. Auch keinen normalen Preis. Heuer gibt es Abzug.

Die diesjährige Ernte ist alles andere als gut. Soviel kann man jetzt schon sagen. Schuld ist das extreme Wetter. „Das Frühjahr war nass und kalt, und dann ging es gleich in die trockene, heiße Phase über“, sagt der Vorsitzende des Hopfenpflanzerverbandes Hallertau, Josef Wittmann. „Genau das, was der Hopfen nicht liebt.“ Selten hat eine Ernte so spät begonnen. Erst am 2. September haben die meisten Bauern ihre Abreißmaschinen angeworfen. Etwa 30 Prozent werde man heuer wohl weniger einfahren, erklärt Wittmann. Und weil die Dolden zudem weniger Alpha enthielten, summiere sich der Verlust noch weiter auf.

Um sein Feierabendbier muss sich trotzdem niemand Sorgen machen. Derzeit sei ungefähr noch ein weltweiter Hopfenjahresbedarf bei den Hopfenbauern und -händlern eingelagert, sagt Marc-Oliver Huhnholz, Sprecher des Deutschen Brauereibundes. „Das heißt, auch derzeitige Engpässe können ausgeglichen werden.“ Die schlechte Ernte werde sich auch nicht auf den Bierpreis auswirken, verspricht er. „Wenn der Preis steigt, hat das mit anderen Faktoren zu tun.“

Immerhin: Für die Ernte ist das Wetter im Moment ideal. Nicht zu heiß und nicht zu kalt. So muss sich Lothar Thalmeier auf dem Hopfenfeld nicht durch den Matsch quälen. Er fährt die Abreißmaschine – einen Traktor, der mit einer Apparatur ausgestattet ist, die unten die Reben abschneidet und oben vom Hauptdraht herunterreißt, so dass sie auf dem Anhänger landen. Der 37-jährige Metallbauer nimmt jedes Jahr zwei Wochen Urlaub, um bei den Reiths als Fahrer auszuhelfen. „Das ist auf die Schnelle gutes Geld“, sagt er.

Heuer muss er weniger oft zwischen Feld und Hof hin und her pendeln. Bei einer guten Ernte ist der Hänger mit etwa 100 Reben voll. Doch weil die Dolden heuer nicht nur zahlenmäßig weniger, sondern auch kleiner sind, passt fast das Doppelte hinten drauf. Leute wie Thalmeier sind gefragt. Das Abreiß-Gefährt braucht einen Steuermann mit Fingerspitzengefühl. Kippen Zugmaschine oder Hänger um, kostet das den Bauern eine Stange Geld. Thalmeier kennt sich aus – die Familie des 37-Jährigen hatte einst selbst einen Hopfenbetrieb.

Engagiertes Personal zu finden, ist schwierig. Allerdings sei das früher nicht viel anders gewesen, sagt Hopfenbauer Sebastian Reith. Meist waren die Helfer ziemlich wilde Typen. Ende der 60er Jahre sei einmal mitten an einem Erntetag plötzlich der Hopfennachschub ausgeblieben. Also fuhr einer raus aufs Feld, um nachzusehen. Die Sache klärte sich schnell auf: Statt den Hopfen zu ernten, hatten die Arbeiter dessen flüssiges Endprodukt im Überfluss genossen. „Die konnten vor lauter Rausch nicht mehr arbeiten“, sagt Reith und lacht.

In einer späteren Saison dann habe ein eigentlich zuverlässiger Helfer vor Gericht gestanden und sollte hinter Gitter kommen. „Da ist mein Vater zur Verhandlung und hat gesagt: ,Herr Richter, den können Sie nicht einsperren. Den brauchen wir zur Hopfenernte’“, erinnert sich Reith. „,Ja, wenn das so ist, dann geben wir ihm Bewährung’, hat der Richter gesagt.“

Auch wenn sich solche Geschichten ein wenig nach der „guten alten Zeit“ anhören – die Zeiten, in denen fast alles noch von Hand gemacht wurde, wünscht sich Reith nicht zurück. „Ich hab’ als Bub den Hopfen gehasst“, sagt der Bauer. „Wenn die anderen nach der Schule zum Baden sind, mussten wir aufs Feld.“ Die richtig üble Schinderei gehört aber Gott sei Dank auch auf Reiths Hof der Vergangenheit an. Wo früher die schweren Säcke mit dem Hopfen nach oben in die Trockenkammer geschleppt werden mussten, tut heute ein Förderband seinen Dienst.

Der trockene Hopfen wird in 60-Kilo-Säcke abgefüllt. Diese werden mit einem Aufkleber versiegelt. Anhand der Nummer kann der Inhalt jederzeit wieder zu Reiths Betrieb zurück verfolgt werden. Ein Teil der diesjährigen Ernte geht zum Beispiel nach Bremen an die Brauerei Becks. Zuvor kommt der Hopfen in einen Verarbeitungsbetrieb. Dort wird er zu Hopfenextrakt oder -pellets verarbeitet. So lässt er sich leichter transportieren und vom Brauer einfacher dosieren.

In den großen Hopfenbetrieben geht inzwischen alles vollautomatisch. In die teure Technik will Reith aber nicht mehr investieren. Denn von seinen drei Kindern wird keines den Betrieb übernehmen. Mit 13 Hektar Anbaufläche liegt Reith im Durchschnitt – doch um längerfristig konkurrenzfähig zu bleiben, müsste er nun viel Geld in die Hand nehmen und die Fläche mindestens verdoppeln.

Acht Jahre soll die Pflückmaschine noch weiterrattern. Sie wird dann 51 Jahre alt sein und Bauer Reith 65. Dann will er sich zur Ruhe setzen und seine Felder verpachten. Bis dahin wird sein Talent als Mechaniker wohl noch einige Male gefragt sein. Reith grinst: „Eine neue Maschine kaufe ich nicht mehr.“