"CSU sabotiert das europäische Asylsystem"

20.06.2018 | Stand 02.12.2020, 16:12 Uhr
Nadja Hirsch beim Gesprächstermin im Verlagshaus. −Foto: Richter

Die FDP-Europaabgeordnete Nadja Hirsch über den Streit zwischen Seehofer und Merkel in der Flüchtlingspolitik

Frau Hirsch, nationaler Alleingang oder gemeinsame EU-Lösung - wie sehen Sie als Europaabgeordnete den Streit in der Union um die Flüchtlingspolitik?

Nadja Hirsch: Wir arbeiten schon seit 2010 an einem Ansatz für eine europäische Lösung der Asylfrage. Im Europaparlament herrscht fraktionsübergreifend die Auffassung, dass wir das Jahrhundert der Migration nur gemeinsam als Europäer bewältigen können.Menschen auf der Flucht vor Krieg und Gewalt muss man eine adäquate Hilfe anbieten. Auf der anderen Seite muss man bei denjenigen, die sich nicht auf diese Fluchtgründe berufen können, auch konsequente Rückführungen durchsetzen.

Die CSU sagt ja, es brauche jetzt den Druck aus Deutschland, damit es zu einer EU-weiten Einigung kommt. Ist das so?

Hirsch: Nein. Das genaue Gegenteil ist der Fall. Die CSU sabotiert hier schon zum zweiten Mal einen europäischen Ansatz. Wir hatten 2011 schon einmal einen Plan, einen gemeinsamen Verteilungsschlüssel für Flüchtlinge in der Europäischen Union zu etablieren. Das wurde vom damaligen Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich - auch CSU - vehement abgelehnt. Friedrich hat so viel verbrannte Erde hinterlassen, dass im Jahr 2015, als in Deutschland so viele Flüchtlinge ankamen, die anderen Mitgliedsstaaten auch zurückhaltend waren. Da hieß es dann, als Deutschland nicht direkt betroffen war, gab es überhaupt keine Notwendigkeit für eine Diskussion, und jetzt, weil Deutschland betroffen ist, sollen wir hüpfen. Inzwischen hat sich das wieder deeskaliert, es gibt ein Grundverständnis, dass man die Flüchtlingsfrage gemeinsam angehen muss. Und jetzt fängt Seehofer wieder damit an, im Alleingang eine Politik der Abschottung zu betreiben. Das ist systematische Sabotage am europäischen Asylsystem.

Aber gibt es denn angesichts der gegenläufigen Interessen der Mitgliedsländer überhaupt eine Chance auf eine europäische Lösung des Flüchtlingsproblems?

Hirsch: Natürlich werden wir jetzt nicht sofort eine Lösung finden, bei der auch Ungarn oder Polen mitmachen. Aber wir kennen ja auch in anderen Bereichen die Vorgehensweise, dass sich erstmal die Länder, die willens sind, zusammenschließen und die ersten Schritte unternehmen. Die Chance ist also durchaus da.

Wenn die Vorgabe von Bundesinnenminister Seehofer, Flüchtlinge zurückzuweisen, jetzt an der bayerischen Grenze umgesetzt wird, was wären die Folgen?

Hirsch: An den Grenzübergängen selbst bin ich mal gespannt, wie das umgesetzt wird. Wir waren am Wochenende an der Grenze in Simbach in Niederbayern. Das ist jetzt ja ein fließender Übergang zwischen Bayern und Österreich. Entweder werden die Grenzkontrollen konsequent durchgezogen, dann wäre das aber mit massiven Einschränkungen für die Bevölkerung im Grenzgebiet verbunden. Oder es finden nur punktuelle Kontrollen statt, dann wäre das nur ein Show-Effekt. Das brächte gar nichts. Und auf europäischer Ebene verbaut man sich eben die Chance, in der Diskussion über einen Verteilungsschlüssel für Flüchtlinge weiterzukommen.

Nadja Hirsch ist Vorsitzende der FDP im Europäischen Parlament und war von 2009 bis 2014 asylpolitische Sprecherin. Bis 2009 war die Psychologin Mitglied des Münchner Stadtrats.

Die Fragen stellte

Johannes Greiner.