Augsburg
"Creations" ist ein wunderbarer Kammerballettabend

01.11.2021 | Stand 23.09.2023, 21:37 Uhr
Im Flow: Ana Isabel Casquilho und Jayson Syrette in "Bel inconnu" von Patrick Delacroix. −Foto: Fuhr

Augsburg - Die Pandemie und die Lockdowns sind umfassend in dem Sinn, dass sich nichts und niemand ihnen entziehen konnte und kann. Das dokumentiert eindrücklich, ja schmerzhaft auch der zweiteilige Kammerballettabend "Creations" am Staatstheater Augsburg - und weist gleichzeitig hoffnungsvoll darüber hinaus.

"Bel inconnu", eine Uraufführung von Patrick Delcroix, hätte eigentlich Ende Januar Premiere haben sollen. Die Vorbereitungen fielen mitten in den zweiten Lockdown und waren geprägt von Distanz, Einschränkungen, Quarantäne, Tests und Beschränkungen. Die Choreografie - drei Duette und je ein Solo und Trio - übersetzt die emotionalen und psychischen Ebenen der Corona-Erfahrungen in Bewegung und Körperlichkeit: Einsamkeit und ihre Überwindung, Verzweiflung und Trost, Entfernung und neue Nähe, das Versinken in ein Gegenüber, die stille Freude über ein Miteinander und die Melancholie, die die Zeit der Begrenztheit hinterlassen hat - das alles ist in den Flow der scheinbar endlosen Bewegungen in Delcroix' Choreografie ebenso wie in die Musik eingeschrieben, vor allem in dem berührenden Finale zu A choral room von Kate Bush.

Weniger als inhaltlicher denn als ästhetischer Kontrast dazu präsentiert sich "Poco" von Mauro Astolfi. Kein Fließen, sondern Brüche, Fragmente, Schroffheit, scheinbar abrupt gestoppte und verbogene Bewegungen, die die Tänzerinnen und Tänzer manchmal wie Figuren auf Picasso-Bildern erscheinen lassen. Sie kauern an den Wänden, erscheinen nur kurz in einem Spalt weit geöffneten Türen oder zwischen den beiden drehbaren Boxen auf der Bühne, wenn diese, auch nur kurz, einen Raum freigeben, um ihn gleich wieder zu verschließen. Auch im Innern der Boxen ist Begrenztheit, das pandemische "Weniger" von allem, auf das der Titel "Poco" verweist.

Die Tänzer stoßen überall an, eine unsichtbare Kraft zieht sie aus dem öffentlichen Raum immer wieder zurück in die Innenräume, hinter Wände und Türen. Sie pendeln zwischen Hyperaktivität und Lethargie, Beziehungen zerbrechen wie die Melodie in der Musik von Gdansk Jacaszek.

Doch gerade wenn es so scheinen mag, als würde es aus dieser klaustrophobischen Welt keinen Ausgang geben, stehen da ein paar Stühle auf der Bühne, man setzt sich zusammen, plaudert, und über allem wölbt sich der Sternenhimmel. Statt der Enge der Lockdown-Gegenwart die unendlichen Weiten der Kunst und ihrer utopischen Kraft. Sie hat vielen in dieser Zeit geholfen, und der wunderbare kleine Kammertanzabend in der Brecht-Bühne ist irgendwie beides: eine Art Dank dafür und die Mahnung, sie nicht gering zu schätzen und sich ihrer zu erinnern. Damit nicht wieder die Baumärkte vor den Theatern öffnen dürfen.

DKTermine und Tickets unter www.staatstheater-augsburg.de.


Berndt Herrmann