Ingolstadt
Couch statt Kufen

11.01.2016 | Stand 02.12.2020, 20:20 Uhr

Viel Zeit für die Familie: Jakub Ficenec mit Ehefrau Jana und Sohn Jacob auf der Couch im Eigenheim in Gerolfing - Foto: Petri

Ingolstadt (dk) Das Knie macht nicht mehr mit: Eishockey-Profi Jakub Ficenec, der elf Jahre für den ERC Ingolstadt gespielt hat, löste im Dezember seinen Vertrag bei der Düsseldorfer EG auf. Jetzt ist die Familie zurück in Ingolstadt. Am liebsten würde der bald 39-Jährige immer noch weiterspielen - wahrscheinlicher ist jedoch eine Trainertätigkeit.

Sein 720. und letztes Spiel in der Deutschen Eishockey-Liga (DEL) absolvierte Jakub „Jake“ Ficenec am 4. April 2015. Es war das Play-off-Aus seiner Düsseldorfer im fünften Halbfinalspiel – ausgerechnet gegen den ERC Ingolstadt, dessen Trikot er elf Jahre lang trug und dessen DEL-Rekordspieler er immer noch ist. Eigentlich das passende Ende einer außergewöhnlichen Karriere – doch der Plan sah anders aus. Ficenec besaß noch einen Vertrag für eine weitere Saison bei der DEG. „Wir haben nach zwei schlechten Jahren, als Düsseldorf Letzter war, den Aufschwung wieder geschafft. Die Mischung zwischen jungen und alten Spielern stimmte“, schwärmt Ficenec.

Doch in der Vorbereitung für die laufende Spielzeit verletzte sich der Verteidiger beim ersten Testspiel in der Schweiz so schwer am Knie, dass er den Anschluss trotz Operation nicht mehr schaffte. Nach Monaten des vergeblichen Wartens auf Besserung löste er seinen Vertrag mit der DEG zum Jahresende auf.

Meniskus, Innenband, Kniescheibe – so ziemlich alles war in Mitleidenschaft gezogen worden. „Ich kann immer noch nicht Schlittschuh laufen. Im Moment ist kein Leistungssport möglich“, sagt Ficenec, der in den späten Jahren seiner Laufbahn zahlreiche schwere Verletzungen erlitt. „Bis 30 hatte ich fast gar nichts. Danach kam immer wieder etwas. Bis 35 wollte ich spielen, das hatte ich als Ziel im Kopf. Jedes Jahr mehr war ein Bonus.“

Nun scheint der Bonus endgültig aufgebraucht. Seine Karriere beenden will der Rechtsschütze, der im Februar 39 Jahre alt wird, aber noch nicht – trotz des verschlissenen Körpers. „Ich gebe mir noch Zeit bis zum Sommer und mache meine Reha weiter. Für die DEL wird es wohl nicht mehr reichen, aber vielleicht für eine niedrigere Liga“, hofft Ficenec, der Eishockey nie als Beruf betrachtete. „Mit seinem Hobby Geld zu verdienen ist das Geilste. Das ist ein Geschenk“, sagt er gestenreich.

Doch aktuell fühlt es sich für Ficenec so an, als hätte ihm jemand dieses Geschenk weggenommen. Er darf weder laufen noch springen. Trainieren kann Ficenec nur, wenn er im Dachgeschoss mit seinem fast zehnjährigen Sohn Jacob auf der Spielkonsole zockt. „Im Keller liegt ein Spinning-Bike“, sagt er – vielleicht funktioniert ja demnächst wenigstens das Radeln.

Einen Plan B hat er noch nicht. „Ich mache Sachen zu 100 Prozent. Ich wollte mich immer ganz auf den Sport konzentrieren“, sagt er. Und schiebt achselzuckend nach: „Wahrscheinlich war das nicht richtig.“

Erst einmal ist die Familie ins Eigenheim nach Gerolfing zurückgekehrt. Noch stehen ein paar unausgepackte Kartons im Flur, doch der schlimmste Umzugsstress ist überstanden. „Es war immer der Plan, zurückzukommen. Meine Frau hat sich sehr gefreut. Mein Sohn ist hier geboren, das ist unsere Heimat geworden“, sagt der begeisterte Hobbygolfer.

Der ungewollte Abschied aus Ingolstadt im Sommer 2014 – nach der Meisterschaft erhielt der Routinier keinen neuen Vertrag – hat diese Verbundenheit nicht getrübt. „Das war bittersüß, ein emotionales Karussell. In dem Moment war das schwer zu kapieren. Aber Eishockey ist ein Geschäft, ich verstehe den Verein“, sagt Ficenec heute. Sohn Jacob spielt seit dem Dreikönigstag wieder im Nachwuchs des ERC – als Stürmer. „Ich habe auch als Stürmer angefangen, man muss vielseitig sein“, sagt Ficenec. „Verteidiger kann man immer noch werden.“

Ficenec, der im tschechischen Hradec Kralove geboren wurde, feierte mit den Panthern die Meisterschaft 2014 sowie den Pokalsieg 2005 und lief mit der deutschen Nationalmannschaft bei den Olympischen Spielen 2010 in Vancouver auf. Als seinen größten Erfolg nennt Ficenec allerdings etwas anderes: „Dass ich elf Jahre für Ingolstadt gespielt habe, ist eine Ausnahme.“

Mit seinem gewaltigen Schlagschuss, der ihm bei den Panther-Anhängern den Spitznamen „Bum-Bum“ einbrachte, gehörte er in seiner besten Zeit zu den offensivstärksten Verteidigern der Liga, bildete mit Ken Sutton und später Tim Hambly gefürchtete Duos. „Die Jahre unter Trainer Ron Kennedy waren die schönsten. Da gab es einen richtigen Boom in Ingolstadt“, erinnert er sich.

Sicher ist: Wenn Ficenec seine Karriere offiziell beendet, wird das Trikot mit seiner Nummer 38 beim ERC nicht mehr vergeben. Das Banner mit seinem Namen, das dann unter das Dach der Saturn-Arena gezogen wird, liegt schon in der Geschäftsstelle der Panther bereit. Ficenec ist erst der vierte Ingolstädter nach Glen Goodall, Jimmy Waite und Doug Ast, dem diese Ehre zuteil wird. Ficenec selber weiß davon noch nichts: „Das wäre das Größte überhaupt“, sagt er.

In der Saturn-Arena ist Ficenec nach seiner Rückkehr allerdings noch nicht wieder gewesen. „Es ist zu schmerzlich, beim Eishockey zuzuschauen. Man denkt immer, da könnte ich auch noch mitspielen“, sagt er. Es werde wohl noch dauern, bis er wie ein Fan mit Bier und Bratwurstsemmel auf der Tribüne sitzen könne. Dem ERC traut Ficenec in dieser Saison noch einiges zu: „Für mich haben sie eine brutal gute Mannschaft. Ich weiß nicht, warum der ERC nicht so gut dasteht. Die Play-offs sollten sie schaffen. Und dann ist alles möglich.“

Dem Eishockey möchte Ficenec in jedem Fall erhalten bleiben – am liebsten als Nachwuchstrainer. „Ich glaube, dass ich etwas vom Spiel verstehe. Es fehlen Leute, die auf höchstem Niveau selber gespielt haben“, sagt er – ohne die Qualifikation der Jugendtrainer in Abrede stellen zu wollen. „Aber ich glaube, ich kann den Jungs etwas Zusätzliches mitgeben.“

Die größten Spiele und Momente seiner Karriere hat Ficenec alle auf Video: Meisterschaft, Pokalsieg, Olympia. Ausgepackt hat er kein einziges davon – bis jetzt. „Wenn ich meine Karriere beendet habe, schaue ich mir alles mit meinem Sohn und ein paar Freunden an.“ Wahrscheinlich ist es bald so weit. Auch wenn der Gedanke nervt.