Ingolstadt
Compliance: Vielleicht, aber erst ab 2020

Stadträte verschieben den Erlass von Richtlinien auf nächste Wahlperiode - Ombudsmann soll kommen

05.12.2018 | Stand 23.09.2023, 5:18 Uhr
Michael Schmatloch
Als Kompromiss schlug Grünen-Fraktionschefin Petra Kleine (l.) vor, die Compliance-Richtlinien an die Geschäftsordnungskommission zu verweisen. −Foto: Hammer

Ingolstadt (DK) Am Ende überwog der Pragmatismus: Nach mehr als einer Stunde teilweise hitziger Diskussion über die Compliance-Richtlinien verständigte sich der Stadtrat am Dienstagabend auf einen Kompromiss: Der neue Stadtrat soll sich ab 2020 mit dem Thema befassen. Jetzt wird aber schon ein externer Ombudsmann bestellt - der allerdings keinen anonymen Anschuldigungen nachgehen soll.

Wo hören Präsenz zeigen und Freundlichkeit auf und wo fängt Vorteilsnahme an? Und was darf eigentlich ein Mitarbeiter der Stadtverwaltung? Eineinhalb Jahre hatte sich eine Arbeitsgruppe des Stadtrats mit Fragen wie diesen und anderen beschäftigt, um in Compliance-Richtlinien Antworten darauf zu finden. Einige monierten, dass die Vorlage, die von der Verwaltung erstmals im vorletzten Sitzungsdurchlauf des Stadtrates vorgelegt wurde, zu wenig mit dem zuvor Erarbeiteten zu tun habe. Sie störten sich am Ton, der Hinweisgeber abschrecken würde, und an der vorgesehenen Rolle des Ombudsmanns, der keinerlei anonymen Hinweisen nachgehen dürfe und sie nur beim Verdacht einer strafbaren Handlung an die Staatsanwaltschaft weitergeben solle. Andere fürchteten wiederum die Gefahr, dem Denunzieren Tür und Tor zu öffnen und die Stadt in Misskredit zu bringen.

Diese Trennlinien setzten sich nun in der Stadtratssitzung am Dienstagabend in aller Schärfe fort. Das ganze Regelwerk sei, so betonte SPD-Fraktionschef Achim Werner, kein Misstrauen gegenüber der Verwaltung. Es gehe ihm sogar mehr um die politische Seite, den Stadtrat also, der sich einen Ehrenkodex geben soll, was ein Stadtrat annehmen dürfe und was nicht. Rechtsreferent Müller artikulierte dagegen die Sorge, man schaffe dadurch ein Klima der Angst in der Verwaltung. Auch Oberbürgermeister Christian Lösel (CSU) sagte, er sei der Meinung, diese Richtlinien würde eher die Verwaltung treffen, vor die er sich explizit stellte: "Korruption und Vetternwirtschaft sind nicht an der Tagesordnung. Sie sind ein vernachlässigbares Thema", so der OB. Und man dürfe nicht eine ganze Verwaltung stigmatisieren: "Was wir hier machen, ist unsäglich."

Richtig hoch kochte es, als BGI-Stadtrat Jürgen Siebicke erklärte, die ganze Diskussion sei doch ohnehin nur entstanden wegen der "Skandale um Klinikum und Alt-OB Alfred Lehmann". Aus der CSU-Fraktion hieß es danach, Siebicke habe doch gerade den Beweis geliefert, wie so etwas ablaufe, wenn man nicht juristisch Verurteilte als Beispiel heranzöge. Es gelte immer noch die Unschuldsvermutung. Man stelle alle unter Generalverdacht, erklärte FW-Fraktionschef Peter Springl.

Inmitten dieser sich hochschaukelnden Diskussion machte dann Petra Kleine (Grünen-Fraktionschefin) den Vorschlag, die Compliance-Richtlinien der Geschäftsordnungskommission für den nächsten Stadtrat zu übergeben - was mit zustimmendem Klopfen goutiert wurde. Gegen die zwei Stimmen der ÖDP stimmte der Stadtrat für den Vorschlag. Außerdem gab es ein klares Votum (nur drei Gegenstimmen der FW) für einen externen Ombudsmann, an den man sich wenden kann, sollte es zu Regelverstößen oder gar strafbaren Handlungen kommen. Anonymen Hinweisen zu nicht justiziablen Vergehen soll dieser Ombudsmann aber nicht nachgehen, betonte Bürgermeister Albert Wittmann (CSU).

BGI-Chef Lange, einer der großen Verfechter der Compliance-Richtlinien, sagte gestern auf Anfrage, er habe diesem "Minimalkonsens" zugestimmt, "weil ich lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach habe". Er gehe davon aus, dass der neue Stadtrat schon bald über die Richtlinien abstimmen könnte, womöglich schon zur konstituierenden Sitzung im Mai 2020. "Ich sehe da keinen großen Diskussionsbedarf mehr", sagte Lange.

FW-Fraktionsvorsitzender Springl machte im Gespräch mit dem DK kein Hehl daraus, dass er mit den Richtlinien nicht allzu viel anfangen kann. "Die großen Sachen sind eh durch Gesetze geregelt, und im Kleinen muss jeder Stadtrat selbst entscheiden können. Da braucht es keine Ehrenordnung." Dass es bei Veranstaltungen auch einmal Freigetränke gebe, sehe er nicht problematisch. Viele Vereine oder Verbände empfänden es schließlich als Ehre, wenn sie einen Vertreter des Stadtrats einladen könnten.

Und er sei froh gewesen, dass es bei der jüngsten Aufarbeitung der anonymen Anschuldigungen bei der Feuerwehr (DK berichtete) keinen Compliance-Beauftragten gegeben habe. "Da wäre viel Heckmeck gemacht worden. So ist das sauber von der Verwaltung abgearbeitet worden." Die Stadtrats-Entscheidung für den Ombudsmann sei ein Schnellschuss gewesen. Es sei ihm nicht klar, welche Aufgaben dieser genau übernehmen werde. "Wir werden uns anschauen, wie das läuft", sagte Springl. "Ich bin kein Freund von schnellen Kompromissen bei komplexen Themen."

CSU-Fraktionschefin Patricia Klein sagte am Tag nach der Sitzung, sie begrüße den Aufschub für die Richtlinien. Es sei kaum vorstellbar gewesen, dass man noch zu einer Lösung gekommen wäre, mit der zumindest die Mehrheit hätte leben können. Und mit zeitlichem Abstand lasse sich die Diskussion womöglich eher versachlichen. Für sie gehe es bei Compliance ja um den Schutz der Mitarbeiter und nicht um Überwachung.

ÖDP-Stadtrat Thomas Thöne hatte dagegen kein Verständnis dafür, die Entscheidung zu verschieben, wie er am Dienstag im Stadtrat erklärt hatte: "Ich weiß nicht, was ein anderer Stadtrat anderes entscheiden sollte als wir. Wir beweisen doch nur unsere Handlungsunfähigkeit."

Thorsten Stark, Michael Schmatloch