München
Comic-Figuren im Video-Overkill

Susanne Kennedy bringt Jeffrey Eugenides' Roman "The Virgin Suicides" auf die Bühne der Münchner Kammerspiele

31.03.2017 | Stand 02.12.2020, 18:23 Uhr

Buntes Bühnenbild, Puppen, verzerrte Stimmen: Susanne Kennedy inszeniert "The Virgin Suicides" als spirituellen Trip. - Foto: Buss

München (DK) Aus einem guten Dutzend Video-Bildschirmen und großformatigen Monitoren, übereinander gestapelt und wie zu einem mittelalterlichen Flügelaltar arrangiert, flimmert's, leuchtet's und blinkt's gleichzeitig und ohn' Unterlass. Bilder mit Pflanzen in Aquarien und von sich biegenden Lichtschlangen in allen Neonfarben, Zooms auf die Gesichter junger Mädchen, auf Badewannen, Palmen, Tische, Betten, Wolken und Häuser.

Nicht zu vergessen die üppigsten Arrangements mit künstlichen Blumen sowie Batterien von Cola-Flaschen und Donuts in Vitrinen (Bühne: Lena Newton).

Dazu im Hintergrund eine nackte Puppe im Schneewittchensarg und eine reale glatzköpfige Nackte, die in VideoEinblendungen über Landstraßen und durch Waldlichtungen läuft und dabei den Zuschauern die frohe Botschaft verkündet, dass sie sich in einem virtuellen Raum befänden und angstfrei sein sollten, da es sich hierbei ja nur um Illusionen handle. Und wie tröstlich auch die Mitteilung, dass die Jungfrau Maria endlich in der Stadt angekommen ist. Wer sich mit ihr austauschen will, möge doch bitte die Telefonnummer 555 wählen.

Der Running Gag und der absolute Gig dieser Uraufführung der Theaterfassung von Jeffrey Eugenides' Roman "The Virgin Suicides" ist freilich der Einfall der Regisseurin Susanne Kennedy, die vier Schauspieler (Hassan Akkouch, Walter Hess, Christian Löber und Damian Rebgetz) wie bei einer ausgelassenen Kinderparty als Comic-Püppchen im Flower-Power-Outfit auftreten zu lassen. Gewandet in weiße Nachthemden, schrillbunte Hawaiketten über der Brust und Lockenwickler als übergroße Bommelkränze auf dem Kopf. Die Gesichter der Figuren sind mit Manga-Masken im ach so süßen Kindchenschema verhüllt, was freilich nicht lustig sein soll, sondern - nach Ansicht der Regisseurin - als Symbol der entindividualisierten Menschen gesehen werden möge.

Und so tapsen diese Figuren denn auch wie aufgemotzte und aufgedrehte kleine Automatenmonster über die Bühne. Gesprochen wird - natürlich geheimnisvoll und im Zeitlupentempo - über Playback abwechselnd auf Deutsch und Englisch mit jeweiligen Übertiteln, wobei beispielsweise auch solch kluge Verse zu hören und auf dem Altarportal zu lesen sind wie: "Affen haben keinen Schwanz, den haben sie verloren beim Tanz."

Damit dieses Jahrmarktkuriositätenkabinett letztlich auch noch einen mystischen Touch erhält, werden nicht nur bewusstseinserweiternde Sätze des Drogen-Gurus Timothy Leary zitiert, sondern auch ein Schamane (Ingmar Thilo) auf den Altartreppen platziert, dessen graues Langhaar mit Ausdauer gekämmt wird. Klar auch, dass dessen einzige Aufgaben darin bestehen, milde zu lächeln und eine Wunderkerze minutenlang am ausgestreckten Arm zu halten. Toll.

Viel Fantasie muss man als Zuschauer freilich schon investieren, um bei diesem Comic-Mummenschanz mit Video-Overkill zu erkennen, dass die Romanvorlage eigentlich von einer Familientragödie, von fünf Schwestern handelt, die sich wegen der kleinbürgerlichen Enge ihres US-Kaffs das Leben nehmen. Und dass die Regisseurin, die demnächst zum Leitungsteam der Berliner Volksbühne unter dem umstrittenen Intendanten Chris Decron gehören wird, diese Inszenierung in den Münchner Kammerspielen in der Struktur eines tibetanischen Totenbuchs gestaltet haben will, behauptet zumindest das Programmheft.

Darob betroffene Tibetaner wurden in der Premiere freilich nicht gesichtet, nur jubelnde und beim Schlussapplaus begeistert kreischende Comic-Fans und Videoclip-Fetischisten.

Die nächsten Vorstellungen sind am 2., 10. und 20. April; Kartentelefon (089) 23 39 66 00.