Eichstätt
Collegiata gibt Geheimnisse preis

Baumeister des Mortuariums war wohl auch bei der Errichtung der früheren Stadtpfarrkirche beteiligt

10.03.2015 | Stand 02.12.2020, 21:34 Uhr
Der Archäologe Stefan Mühlemeier steht auf den Resten von Bürgerhäusern, die für den Bau der Collegiata abgerissen werden mussten. Zu seinen Füßen der Keller. Die Arbeiter der Collegiata benutzten ihn als Aushubdeponie und Anwohner im 19. Jahrhundert als Sickerschacht. Hier stießen Mühlemeier und seine Mannschaft auch auf Gefäßscherben aus vorchristlicher Zeit. - Foto: baj −Foto: baj

Eichstätt (EK) Ernst, fast kritisch mustert der Baumeister sein Werk. Hans Paur, der Schöpfer des Mortuariums im Eichstätter Dom, durfte sich nach getaner Arbeit dort selbst an prominenter Stelle verewigen: mit direktem Blick auf die „Schöne Säule“.

Mit demselben Recht könnte Paur seinen Kopf auch gewendet haben und in Richtung Marktplatz schauen lassen, dort, wo sich einst die mächtige, „Unserer Lieben Frau“ geweihte Stifts- und Stadtpfarrkirche erhob, besser bekannt als „Collegiata“, errichtet zwischen 1472 und 1546. Seit Neuestem gibt es ein gewichtiges Indiz, das auf Paur als einen der Baumeister der Collegiata hindeutet. Über dessen Beteiligung gab es bislang bestenfalls Mutmaßungen, wie überhaupt unbekannt war, wer die Pläne entworfen und ausgeführt hat.

Im Wappenschild unter der Konsolenfigur Paurs im Mortuarium findet sich ein Steinmetzzeichen, das den Archäologen Stefan Mühlemeier elektrisierte. Dieses Symbol kannte er. Erst kürzlich hatte er es auf einem Stein entdeckt, den er im Anwesen Pfahlstraße 16 ausgegraben hatte.

Das Gebäude hat seinen Besitzer gewechselt, der das Haus gründlich sanieren und eine Tiefgarage errichten möchte. Im Vorfeld waren umfangreiche archäologische Grabungen nötig, für die Stefan Mühlemeier von der Firma Phoenix aus Pöcking zuständig ist. Die Grabung zieht sich seit Monaten hin und befindet sich derzeit in der Endphase. Dass Bodendenkmäler zum Vorschein kommen würden, war von Anfang an wegen des Standorts der Stadtpfarrkirche klar. Hier förderten Mühlemeier und seine Leute zahlreiches Baumaterial der Kirche ans Tageslicht (wir berichteten). Darunter auch einen Stein mit dem charakteristischen Steinmetzzeichen, der nun dazu beiträgt, eine Wissenslücke in der Baugeschichte der Collegiata zu schließen.

Das blieb nicht die einzige Erkenntnis. Mit zunehmender Tiefe der Grabung stießen Mühlemeier und seine Mitarbeiter auf einen Gewölbekeller, ein Überbleibsel von Bürgerhäusern, die wohl einst der Collegiata hatten weichen müssen.

Dabei kam Mühlemeier der Vorgehensweise der Bauleute im 15. und 16. Jahrhundert auf die Spur. Um die Fundamente für das erste Pfeilerpaar legen zu können, planierten die Arbeiter damals nicht etwa den kompletten Keller ein, sondern durchstießen ihn punktgenau. Der Grund liegt auf der Hand: Die Ausschachtung erfolgte gänzlich ohne Maschinen. „Die haben nur soviel gemacht, wie unbedingt nötig war“, so der Archäologe. Die Leute arbeiteten sich bis auf festen Grund vor – bis tief unter den Keller. Das Ausschachtmaterial deponierten sie einfachheitshalber im Gewölbekeller – sehr zur Freude von Mühlemeier. Denn in der Tiefe, in der sich die Collegiata-Hackler vorgearbeitet haben, befinden sich offensichtlich Siedlungsreste etwa aus dem fünften Jahrhundert vor Christus – und die landeten im Gewölbe. „Die Sachen sind eher noch älter“, schätzt Mühlemeier. „Aber da lege ich mich nicht fest.“ Genau werden die Archäologen dieser Sache nicht auf den Grund gehen können. Von den geplanten modernen Bauarbeiten ist diese Tiefe nicht betroffen, weshalb alles wieder zugedeckt wird und die Schicht unberührt bleibt.

Bauherr Stefan Grimm will endlich anfangen. Über mehrere Monate waren ihm die Hände gebunden. Die Kosten für die Grabungsarbeiten – rund 60 000 Euro – muss er ebenfalls übernehmen. Dafür wohnt er dann auf historischem Grund und ist stolzer Besitzer von baugeschichtlich hochinteressanten 50 Tonnen Architekturfragmenten wie Gewölberippen, Traufsteinen oder Kapitellen. „Eine sinnvolle und angemessene Lösung für deren Aufbewahrung wird derzeit noch gesucht“, teilt der Archäologe mit.

Stefan Grimm stellt unterdessen eigene Überlegungen an: Die Bauleute hätten damals sicher alle verwertbaren Steine aus dem Vorgängerbau mitverwendet. Eventuell sei einer dabei, der bereits in der Weihekirche des heiligen Willibald eingefügt war – an der Stelle der Collegiata dürfte jenes Marienkirchlein zu suchen sein, die Willibald hier bei seiner Ankunft 740 vorfand.

Geheimnisse birgt die Collegiata auf alle Fälle genug: In einer Wand befindet sich eine zugemauerte Tür, die, wie zu vermuten ist, zu einem bisher nicht untersuchten Raum führt. Auch an der Südseite des Anwesens in der Pfahlstraße muss sich ein verschlossener Raum befinden. Der Unterschied zwischen den Innen- und den Außenmaßen in dieser Ecke des Hauses ist gravierend. Grimm hat einen Verdacht: „Vielleicht stand hier einer der Türme der Collegiata.“