Charme einer mittleren Kreissparkasse

09.06.2009 | Stand 03.12.2020, 4:54 Uhr

Stilisierte Bildgestaltungen: Feldherr Radamès (Salvatore Licitra, rechts vorne) will in die Schlacht gegen die Äthiopier ziehen. - Foto: Hösl

München (DK) Liebesrausch im Augenblick des Todes: Radamès und die äthiopische Königstochter Aida haben sich gefunden, eingemauert in der Gruft des Tempels. Sich verzweifelt aneinander festhaltend blicken sie einer feindlichen Umwelt entgegen. Die aber rückt bedrohlich immer näher: singende Priester des Ramses als unheimliche schwarze Wand, die den Liebenden den Lebensraum nimmt.

So religionskritisch endet Christof Nels Debüt-Inszenierung an der Bayerischen Staatsoper, eine "Aida"-Deutung, die die Überzeugungen des Agnostikers Giuseppe Verdi in den Mittelpunkt des Geschehens stellt. Bei Weitem nicht alle Bilder allerdings, die sich der Regisseur zusammen mit Bühnenbildner Jens Kilian ausgedacht hat, können durch derart optische Wucht überzeugen.

Das Regieteam hat sich bemüht, das Schlachtross aller grandiosen romantischen Opern gründlich zu entschlacken und das Musikdrama auf das zurückzuführen, was Verdi eigentlich im Sinn hatte: ein musikalisch-psychologisches Kammerspiel. Gelungen ist das nur bedingt. Das Münchner Publikum buhte das Regieteam jedenfalls gnadenlos aus.

Das ist insofern überraschend, als es sich hier keineswegs um eine besonders provokante Interpretation handelt. Eher im Gegenteil.

Sicher: Pyramiden, prächtige Gewänder oder gar lebende Elefanten bevölkern diesmal nicht die "Aida"-Szenerie. Als Ersatz für den populären Ägypten-Kitsch ist der Regieriege allerdings kaum etwas Schlüssiges eingefallen. Bei ihr spielt das hitzige Antiken-Drama in einer stilisierten Tempelwelt von ausgesuchter ästhetischer Kühle. Hoch aufragende graue Gebäudeteile sollen offenbar Monumentalität suggerieren, strahlen aber vielmehr den Charme einer mittleren Kreissparkasse aus. Die Kostüme wechseln zwischen weiß und schwarz – natürlich für die böse Priesterkaste –, und lediglich die äthiopischen Gefangenen dürfen in erdigen Brauntönen auftreten. Der Chor agiert vorwiegend statisch, die gesamte Szenerie hangelt sich von einem halbwegs dekorativen Bild zum nächsten. Und auch das anvisierte Kammerspiel der Protagonisten des Liebesdramas erschöpft sich in dem üblichen theatralischen Gestenrepertoire.

Ein besonderes Augenmerk hat Nel auf die Grausamkeit des Krieges gelegt. Da wird am laufenden Band gemetzelt und malträtiert, da treten säbelschwingende Ägypter auf und geschundene Äthiopier winden sich verängstigt über die Bühne oder werden furchterregend durch die Luft gewirbelt. Schockiert uns das? Nein, nicht wirklich. Dazu sind die Bilder zu ästhetisiert, zu geschönt. Hier spielt sich keine Tragödie ab – nur Ballett.

Vor allem fehlt es der Inszenierung an einer zündenden Idee, die uns heute veranlassen könnte, diese Liebestragödie noch anzugucken. Was bleibt, ist Langeweile. Und immerhin gelegentlich gutes Handwerk. Denn die sich immerzu bewegende Drehbühne schafft einen Pluralismus der Perspektiven. Wir sehen etwa vorn die gequälten Gefangenen und hinten den Hofstaat der Prinzessin Amneris. Und so gelingt auch die vielleicht einzige wirklich packende Szene der gesamten Produktion: Wir erleben, wie Aida, von ihren Emotionen geschüttelt, hin- und hergerissen zwischen ihrer Liebe zum Ägypter Radamès und der zu ihrem Vaterland, über die Bühne torkelt und vom herannahenden Triumphmarsch förmlich überrollt wird.

Die Amerikanerin Kristin Lewis spielt diese Passage erschütternd. Überhaupt war sie der Star des Abends, gewann sie das Publikum mit ihrer klaren, unverbraucht-voluminösen Stimme, ihrem eigentümlich abgedunkelten Timbre. Da wirkte die ebenfalls schöne Stimme von Ekaterina Gubanova (als Amneris) wesentlich gewöhnlicher. Zur Zitterpartie geriet Salvatore Licitras Radamès, der sich mit unsicherem Tenor von Ton zu Ton durch seine Rolle hangelte, immer auf der Suche nach dem richtigen Ansatz.

Ausgebuht wurde an diesem Abend nicht nur die Regie, sondern – was ungewöhnlich ist – auch Dirigent Daniele Gatti, ein ausgewiesener Fachmann für italienische Musikdramen. Der Chef der Oper von Bologna gefiel sich wild herumfuchtelnd in plakativen Effekten, die wenig Möglichkeiten für eine differenzierte Ausleuchtung des Klangraumes ließen. Und dennoch blieb sein Dirigat blass, wohl weil er die entscheidenden Passagen nicht mit knisternder Energie, mit zügigen Tempiwechseln aufladen konnte. So bleibt als Gesamteindruck von Verdis "Aida" in München: Ein blutiges Drama, blutleer auf die Bühne gebracht.