Pfaffenhofen
Charismatischer Jazz auf der Posaune

08.11.2010 | Stand 03.12.2020, 3:29 Uhr

Nichts für Puristen: Mit ihrem New Yorker Avantgarde Jazz Trio R*Time gastierte Posaunistin Reut Regev, eine Ausnahmeerscheinung der internationalen Jazzszene, in der Singerschen Jazzschreinerei; daneben am Kontrabass Mark Peterson. - Foto: Köpf

Pfaffenhofen (kc) Belgrad, Prag, Wien – Pfaffenhofen. In fünf Tagen. Da kann es schon mal vorkommen, dass man eine knappe Stunde zu spät zum Auftritt kommt. Doch wurden die Gäste in der gut besetzten Künstlerwerkstatt für ihr geduldiges Warten auf Posaunistin Reut Regev belohnt – so wenigstens empfanden es die meisten. Ein Update hinsichtlich dessen, was am Puls der Jazzwelt New York gerade so "up to date" ist.

Im Jazz ist es ein wenig wie in der Wissenschaft: Gerade die neuesten Fragestellungen und Strömungen sind die interessantesten – ob sie einem gefallen oder nicht. Mit Reut Regevs Trio R*Time verhält es sich so ähnlich. Die in Israel geborene, mit ihrem Mann Igal Foni, dem Schlagzeuger der Band, in New Jersey lebende Posaunistin und Komponistin, ist ein Kind der New Yorker Avantgarde. Mädchenhaft, mit wallenden dunklen Haaren im knappen Kleid, ist diese zarte Erscheinung eine vielfach preisgekrönte Virtuosin auf ihrem Instrument, eine der ganz wenigen Frauen des Weltjazz, die auf höchstem Niveau Posaune spielen. Mit einer derartigen Energie, die man ihr augenscheinlich nicht unbedingt zugetraut hätte, einem charismatischen Ton, von weiblich-weich bis hin zu furienartig. Mit unerhörter Intensität feuert sie Breitseiten aus Free-Funk, Bluesrock und Electric Jazz ab, würzt ihr Spiel mit elektro-akustischen Spielereien (die in ihrer Lautstärke allerdings schon auch mal etwas zu penetrant gerieten).
 

Es ist urbaner Jazz vom Big Apple, den man in dieser Souveränität an so jungen Musikern nur selten vorfindet – doch kein Klezmerjazz. Wer Fifty-fifty Klezmer und Jazz erwartet hatte, wurde vielleicht etwas enttäuscht. Trotzdem sie deutliche Spuren zeitigt, spielt jüdische Volksmusik in Regevs Musik ungefähr die selbe Rolle, wie der israelische Akzent in ihren amerikanisch-englischen Ansagen: Er ist nun mal da und geht einfach nicht weg. Macht aber nichts: Es klingt irgendwie aufregend.

Gepaart mit moderner Jazz-Ästhetik findet sich viel Temperament in Reut Regevs lebhafter Performance. Sie schüttelt sich in stakkato-artigen Kadenzen an der Sopranposaune, schwelgt im Vibrato melancholischer Melodien, klemmt sich das Horn zwischen Kopf und Schulter, um kurz mal den Flügel zu bearbeiten, wechselt oft abrupt die Gemütslage. Sehr frei oft, sehr experimentell, setzt berstend ihre Lippen am Mundstück bisweilen so ein, wie ein Beatboxer am Mikro.

Gatte Igal Foni an den Drums bettet die Extravaganzen seiner Frau auf ein solide gewebtes Netz moderner Rhytmik, glänzt andernorts solistisch. Ebenso Mark Peterson an Kontra- und E-Bass, der diplomatisch zwischen diesen wechselnden Polen von Expressivität und Präzision vermittelt, Sicherheit verleiht durch beharrlichen Groove, Blechblas- mit Trommelkunst verkittet, Melodie mit Rhythmus, Mann und Frau. Keine geringe Leistung.

R*Time ist ein Trio hochbegabter Musiker, die das neue Selbstbewusstsein der jungen New Yorker Avantgarde ausstrahlen, die Grenzenlosigkeit im heutigen Jazz und dessen Regeln aufzeigen: Nichts muss, alles kann.