Bürokratie und unflexible Prozesse: Energiewende kommt nur schleppend voran

24.09.2021 | Stand 23.09.2023, 20:58 Uhr
Strom aus Sonne gilt als ein Baustein in der Bewältigung der Klimakrise. Akzeptanz in der Bevölkerung ist für den Ausbau der erneuerbaren Energien wichtig. Das wissen Betreiber von Solarparks und Windkraftwerken. Viele Ideen sind nicht umsetzbar - weil sie keine rechtliche Grundlage haben. −Foto: Brummer

Sielenbach - Es gibt sie.

Die Energiedörfer, die Leuchttürme im Land von Kohle und Verbrennungsmotor. Auch im Landkreis Aichach-Friedberg wird mehr Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt, als er selbst bräuchte. Dennoch bleibt Aussagen führender Politiker zufolge noch viel zu tun im Land der Staus auf den Straßen ohne Tempolimit. Über 42 Millionen Autos sind derzeit in Deutschland zugelassen, die wenigsten von ihnen fahren mit Wasserstoff oder Elektromotor. Und kaum ein Thema wird im Wahlkampf heißer diskutiert als die Mobilitäts- und Energiewende. Unabhängig voneinander, das ist klar, kann beides nicht funktionieren.
Der Strom fürs E-Auto muss schließlich irgendwoher kommen. Sepp Bichler aus Sielenbach weiß genau, woher die Energie kommt, die seine Heimatgemeinde zum Leuchten bringt. Den allergrößten Teil des Stroms erzeugen er und seine Firma, die Energiebauern GmbH, inzwischen in ganz Europa vertreten. Am Firmensitz in Aichach arbeiten über 50 Leute. Einige von ihnen braucht Bichler nur aus einem Grund. Irgendwie müsse er dem "bürokratischen Wust", wie er sagt, begegnen. Ein Steuerfachmann etwa hätte jährlich 6000 Seiten an Dokumenten allein zur Stromsteuer zu bearbeiten. "Da sitzt er vier Monate dran", erklärt Bichler. Am Ende komme immer null raus.

Digital, flexibel, pragmatisch ist laut Bichler in diesem Prozess "gar nichts". Die 6000 gedruckten Seiten können wohl als Sinnbild für die von vielen kritisierte Behäbigkeit der Bürokratie in Deutschland gesehen werden. Papier ist geduldig, kann in Schubladen liegen oder abgeheftet werden - bei der Umsetzung der Energiewende genauso wie bei der Frage nach der Einspeisung von Strom.

Unterkriegen lassen sich Sepp Bichler und seine Mitarbeiter nicht. Die Energiebauern errichten nicht nur im Landkreis Aichach-Friedberg permanent neue Freiflächen-Photovoltaikanlagen; derzeit sind es fünf, davon eine in Raderstetten bei Sielenbach mit einer Leistung von neun Millionen Kilowattstunden pro Jahr. Das sind so viel, wie 1000 Hausdächer in derselben Zeit liefern würden. Auch ökologisch würde Bichler die Flächen gerne aufwerten, was für Gemeinden und deren Ökokonto interessant wäre. Das scheitert aber wie so vieles an den Behörden. Los geht es bei der Bewertung und Berechnung von Ausgleichsflächen. Wer nämlich einen Hektar Land in Form eines Bebauungsplans überplant, muss 0,2 Hektar an Ausgleich liefern. Dieser Ausgleich ist nach einem Vorstoß der Freien Wähler in Bayern zwar auch auf der Fläche möglich und muss nicht mehr in Form eines anderswo gelegenen Grundstücks nachgewiesen werden. Wie eine Ausgleichsfläche letztlich auszusehen hat, geht in aller Regel aber auf fachliche Einschätzungen der Unteren Naturschutzbehörden an den Landratsämtern zurück. Gemeinden nehmen die Anregungen des Sachgebiets häufig in die Bebauungspläne auf.

Die ganze Fläche eines Solarparks als Ausgleich zu nutzen, etwa durch die Anwendung des sogenannten Biotopwertsystems, wird hierzulande nicht gemacht. Rechtlich wäre es denkbar und wird gerade im Umweltministerium in München diskutiert. Zur Erklärung: Jede Art von Landnutzung wird im Biotopwertverfahren bepunktet. Ein intensiv genutzter Maisacker erhält weniger Ökopunkte als die extensive Schafweide. Genau solche Weiden entstehen unter den Solarkollektoren der Energiebauern. Als ökologisch wertvolle Ausgleichsflächen werden sie aber offiziell nicht eingestuft.

Der Status quo: Eine Gemeinde stellt einen Bebauungsplan auf und legt ihn aus. Mitarbeiter des Sachgebiets Naturschutz am Landratsamt nehmen wie viele andere Stellung und regen an, gewisse Pflanzen im Pflanzplan für Eingrünung oder Ausgleichsfläche festzusetzen. Haselnuss, Holunder, Heckenkirsche, fertig ist die Eingrünung. Stark vereinfacht gesagt. Wer Haselnuss und Co kennt, weiß: Die Eingrünung lässt Jahre auf sich warten, weil sie lange braucht, um ein- und hochzuwachsen.

Sepp Bichler, erklärter Atomkraftgegner und Naturfreund, würde gerne schneller hochwachsende Blühmischungen aus der Landwirtschaft mit in der Ausgleichsfläche ansäen. Somit, das zeigten auch seine Erfahrungen bei Solarparks in Baden-Württemberg, wäre die Eingrünung der Zäune um die Anlagen bereits kurz nach deren Fertigstellung gegeben. Die Sträucher wüchsen dann in Ruhe hoch, sagt Bichler. "Und Passanten können Blumen pflücken. Das sorgt für Akzeptanz. " Das geht aber nicht, sagt das Landratsamt in Aichach und beruft sich auf das Bundesnaturschutzgesetz, Paragraf 40. Das Problem: Nur autochthones, also vor Ort erzeugtes Saatgut seit Jahrzehnten heimischer Pflanzen dürfte in einer solchen Fläche verwendet werden. "Seit 2. März 2020 ist das Ausbringen von Saatgut außerhalb seiner Vorkommensgebiete nicht mehr von der Genehmigungspflicht ausgenommen", heißt es dazu aus dem Landratsamt. Zumindest, wenn es um Eingrünungen geht. In der Landwirtschaft gelten andere Regeln. Für einen Maisacker bedarf es eben keines Bebauungsplans.

Das Landratsamt in Aichach macht die Gesetze nicht, an die es in seinen Entscheidungen gebunden ist - auch wenn es manchmal vielleicht durchaus gerne anders entscheiden würde. Einer, der das kürzlich am eigenen Leib erfahren hat, ist Winfried Maier, Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht München/Augsburg. In Unterbernbach bei Kühbach wollte er eine Photovoltaikanlage bauen, direkt am Bahndamm. Das Landratsamt hat seine Voranfrage abgelehnt - das Vorhaben befinde sich im Geltungsbereich eines Überschwemmungsgebiets, so die Begründung. Die BR-Sendung Quer hat kürzlich darüber berichtet. Im Paragrafen 78 des Wasserhaushaltsgesetzes (WHG) ist beschrieben, was im Überschwemmungsgebiet gebaut werden darf und was nicht. PV-Anlagen gehören nicht zu den Bauwerken, für die eine Ausnahme gemacht wird.

Dabei würde die Fläche, auf der derzeit Mais angebaut und die mit schwerem Gerät befahren wird, ökologisch aufgewertet. Und auch das Oberflächenwasser könnte besser versickern, argumentiert Maier. Die Entscheidung des Landratsamts kann er verstehen. Gesetze, das weiß er als Richter, müssten eingehalten werden. "Allerdings sind Gesetze auch immer im Hinblick auf Sinn und Zweck auszulegen", sagt er. "Wenn das nicht geht, muss man das Gesetz ändern. " Genau das hat Maier vor. Er hat eine Petition gestartet, die fast allen Landtagsfraktionen vorliegt.

Das Ziel: Die bayerische Auslegung des WHG-Paragrafen ändern. "Die Politik kann nicht permanent aufsprechen und die Energiewende oder ein Entfesselungspaket für Bürokratie herbeireden, und dann solche Vorhaben blockieren", meint Maier. Ob sein Petitionspapier Erfolg haben wird, ist völlig offen. Selbst wenn über die Gesetzesauslegung diskutiert würde, ist ihm klar: Es wird dauern.

DK

Bastian Brummer