Bücherei ohne Reiz

22.12.2016 | Stand 02.12.2020, 18:53 Uhr

Zur Kreisbücherei in Pfaffenhofen:

Eines an Pfaffenhofen habe ich vermisst, seitdem ich aus dem Schyren-Gymnasium fort bin: die Kreisbücherei. Eine so kleine Bibliothek, die doch alles hat - ich habe nirgends eine ähnliche finden können. Die Universitätsbibliothek von Regensburg ist ein großer, kalter Lernsaal mit ein paar Regalen. Und die Biblioteca de Lletres in der Universitat de Barcelona ist eine Reihe verwinkelter kleiner Kämmerchen, wo es alles gibt, nur keine Ordnung. Deutsche und französische Bücher stehen wahllos zwischen spanischen gemischt. Es gibt auch keinen Bibliothekar, der - wie früher Herr Schratt - einfach zum Regal ginge und das gesuchte Werk auf Anhieb hervorzöge. In Barcelona führen die Markierungen uns Studenten zwar ins richtige Zimmer und mit etwas Glück zur richtigen Wand, aber dort heißt es suchen.

Aber zurück zur Kreisbücherei. Letzte Woche habe ich sie besucht, nach Jahren zum ersten Mal. Dass Herr Schratt in Rente gegangen ist, wusste ich. Dass sich mit einem neuen Chef etwas verändert haben muss, habe ich erwartet. Aber ich war nicht vorbereitet auf das, was aus der Kreisbücherei geworden ist: ein schlechter Buchladen.

Vor der Tür steht eine Kiste, in der die Bücherei alle Bücher verschenkt, die "nicht gehen". Und viele Bücher müssen inzwischen durch diese Kiste gegangen sein, denn drinnen sind Regale leer. Wo früher die Bände eng aneinandergepresst standen, ist jetzt so viel freier Platz, dass einzelne Bücher quer stehen. Wo die Fremdsprachen waren, ist ein Bestseller-Karussell. Die Fremdsprachen sind nach oben umgezogen, und was früher zwei gedrängt volle Regale waren, passt jetzt in weniger als eines. Daneben - leere Bretter. Die Abteilung Medizin ist nicht mehr halb so groß, wie sie war. Was unten mit Geschichte und den anderen Wissenschaften passiert ist, wollte ich gar nicht mehr nachsehen.

Alles, was fünf Jahre lang niemand ausgeliehen hat, kommt in die Kiste vor der Tür. Die Bücherei will Platz schaffen, scheint es, aber Platz wofür? Damit die Bestseller ins Regal passen, braucht man nur die des vorigen Jahres herzugeben, weil sie aus der Mode kommen. Oder hat die Bücherei mehr Budget und bekommt einen neuen Bestand?

Die Klassiker gibt es im Internet, das stimmt. Aber ein Bildschirm wird nie dasselbe sein wie ein gedrucktes Buch. Und die wundervollen zweisprachigen Studienausgaben, die gibt es nicht im Internet. Man kauft sie auch nicht selbst, zumindest ich nicht. Denn so viele neue Bücher gibt mein Budget nicht her, und ich habe in meinem Studentenzimmer auch nicht den Platz. Der Ort für solche Bücher ist die Bibliothek.

Die Kreisbücherei braucht nicht darauf zu achten, ob die Bücher "gehen". Solche Sorgen macht sich ein Buchladen. Eine Bibliothek lebt von ihrer Atmosphäre. Deshalb kann sie es sich leisten, halb vergilbte Werke zu haben, die nur wenige interessieren. Deshalb müssen die Regale immer voll sein. Und deshalb hat die Kreisbücherei ihren Reiz verloren.

Christina Widmann

Pörnbach