Eichstätt
"Brüllende SS-Leute beraubten die Menschen ihrer Würde"

Die Slawistikprofessorin Katja Sturm-Schnabl ist eine der letzten Zeitzeugen der Vertreibung der Kärntner Slowenen – Ein Gespräch

24.08.2012 | Stand 03.12.2020, 1:08 Uhr

Eichstätt/Wien (DK) Katja Sturm-Schnabl (kleines Foto) entstammt einer angesehenen, kulturell und politisch aktiven slowenischen Familie in Zinsdorf nordöstlich von Klagenfurt. Die 1936 geborene Frau studierte Slawistik, südslawische Literatur, Russisch, Kunstgeschichte und Byzantinistik. Im Jahr 1973 promovierte sie mit einer international anerkannten Studie zur slowenischen Mundart im Klagenfurter Becken beziehungsweise Klagenfurter Feld. Im Jahr 1993 habilitierte sie mit einer Schrift über den Briefwechsel von Franz Miklosich mit den Südslawen.

Frau Sturm-Schnabl, Sie sind einer der letzten Zeitzeugen, sind oft in Schulen zu Gast und sprechen viel über die damalige Zeit. Was kommt Ihnen als Erstes in den Sinn, wenn Sie an damals denken?

Katja Sturm-Schnabl: Als Erstes kommt mir das zentrale Familienereignis in den Sinn: der gewaltsame Tod meiner Schwester und die unendliche Verzweiflung meiner Mutter.

Wenn Sie in Schulen sind, über die Zeit damals sprechen, Vorträge halten: Was tut am meisten weh?

Sturm-Schnabl: Wenn ich den Schülern den konkreten Ablauf mit der Geräuschkulisse der kreischend brüllenden SS-Leute, das plötzliche Chaos, das sie verursacht hatten, erzähle. Berichte, als ich zu meinem Vater hochblickte und sah, wie er ganz grün-grau im Gesicht und total verzweifelt war, und meine Mutter, die sich eine eiserne Maske der Disziplin auferlegt hatte und meine zwei hilflos weinenden Tanten. Es tut mir noch heute weh, wie man die Erwachsenen aller Menschenwürde – dieses Wort war damals nur ein Knäuel von erschreckenden Emotionen – beraubt und sie zu Häuflein Elend degradiert hatte.

„Der Kärntner spricht Deutsch“, haben die Nationalsozialisten als Parole ausgegeben. Wie haben Sie aus der Sicht Ihrer Volksgruppe die Zeit nach dem Jahr 1945 erlebt?

Sturm-Schnabl: Dieses „Der Kärntner spricht Deutsch“ war in den Jahren nach dem Krieg noch genauso aktuell wie vorher. Es drückte sich nur anders aus, so wurde ich in der Schule als „Lagerkind“ diskriminiert, grundlos eingesperrt und so weiter. Das Schlimme daran war für mich folgende Tatsache – und das begleitete mich vom ersten Schultag bis zur Matura: Niemand interessierte sich für meine Erlebnisse. Im Gegenteil, ich musste darüber schweigen, die Kriegszeit existierte nicht, außer manchmal in „unschuldigen“ Scherzen mancher Mitschüler, wie „wir werden ein KZerl bauen...“. Ein tiefgreifender Schock war, als ich in einen Fragebogen bei Muttersprache „Slowenisch“ schrieb, und mich der Klassenvorstand anbrüllte „Warum“. Diese Frage konnte ich nämlich nicht beantworten, sosehr ich mir den Kopf zerbrach. Aus heutiger Sicht ist es klar, es gehörte zu den Methoden, die Identität slowenischer Kinder in Frage zu stellen und sie so zu verunsichern.

Das Slowenische in den Schulen des zweisprachigen Gebietes wollte man radikal ausmerzen. Da die Kinder zum Slowenischunterricht extra angemeldet werden mussten, wurde auf die Eltern Druck ausgeübt und ihnen eingeredet, zwei Sprachen seien für die Kinder zu viel und Ähnliches. Noch schlimmer war der soziale Druck für Arbeitnehmer, die ihre slowenische Identität verleugnen mussten, um Arbeit zu bekommen oder diese zu behalten. Bis zum heutigen Tage sind alle möglichen Varianten des nationalsozialistischen „Wir sind Deutsche“ im Umlauf. Von den 800 zweisprachigen Ortstafeln, die man damals hätte aufstellen müssen, wurden nach jahrelangen Verhandlungen erst im Jahr 2012 gerade mal 164 aufgestellt. Das ist eine unendliche Geschichte, die sich seit 1955 hinzieht.

Sie haben Slawistik studiert, die slowenische Mundart wissenschaftlich erforscht, sich mit dem Briefwechsel von Miklosich in ihrer Habilitation auseinandergesetzt. Hat Ihre Herkunft prägend auf Ihre berufliche Laufbahn gewirkt?

Sturm-Schnabl: Meine Herkunft, meine Kindheitserlebnisse und die deutschen Schulen, die ich faute de mieux (mangels Alternative, die Red.) besucht habe, sind der Schlüssel für meine Laufbahn. Nachdem ich in der Schule nie Slowenisch-Unterricht hatte, war für mich das Studium der Slawistik die Suche nach meiner kulturellen Identität. Ja, die Slawistik war für mich unglaublich bereichernd – ich konnte meine emotionale Identität wissenschaftlich aufarbeiten und mein Selbstbewusstsein aufbauen.

Ist der Siegeszug des inzwischen gestorbenen Landeshauptmanns Jörg Haider und seiner Partei ein Rest dieser ablehnenden Haltung – beziehungsweise können Sie heute noch Reste dieser NS-Auffassung finden?

Sturm-Schnabl: Die deutschnationale Idee stammt sicherlich noch aus der Zeit der Habsburger Monarchie, als die soggenannten Deutschösterreicher die Hegemonie über die slawischen und andere nichtdeutsche Völker hatten und sich ihnen gegenüber wie eine Kolonialmacht benahmen. Eine weitere endlose Geschichte, die bis in unsere Zeit hereinspielt und in der der nationalsozialistisch erzogene und ideologisierte Populist Jörg Haider ganze Klaviaturen im kollektiven Gedächtnis vorfand, auf denen er sein Spiel spielen konnte, unterstützt von starken Kreisen aus dem Kapital, die nach wie vor der Hitler-Ideologie frönen. Nicht zufällig erklärte Haider in einer Rede, „Hitler hätte eine anständige Beschäftigungspolitik“ betrieben – was damals zu einem politischen Skandal führte.

Das Gespräch führte

Marco Schneider.