München
Brücke als letzter Ankerplatz

Der ausgemusterte Ausflugsdampfer "MS Utting" wird in München als Kulturboot wiederbelebt

22.02.2017 | Stand 02.12.2020, 18:36 Uhr

Logistisch aufwendige Aktion: Mithilfe von zwei Kränen wird der Rumpf der "MS Utting" auf die Eisenbahnbrücke gehoben. - Foto: Stäbler

München (DK) Fast 70 Jahre lang hat die "MS Utting" Ausflügler über den Ammersee geschippert. Nun soll der Dampfer in München zum Kulturboot umgerüstet werden - auf einer Eisenbahnbrücke. Gestern ist das 144 Tonnen schwere Schiff vor Anker gegangen.

Vor zehn Jahren ist in München ein Hafen eröffnet worden. Ein Hochseehafen, um genau zu sein, und zwar mitten auf dem Karlsplatz, der hier seit jeher Stachus heißt. Dort, am Ende der Shoppingmeile Kaufingerstraße, wuchs der Hochseehafen Münjing in die Höhe - freilich nicht in Echt, sondern nur in Form von acht Überseecontainern und einer Simulation, auf der sich das Hafenbecken bis zum Hauptbahnhof erstreckte. Das Ganze war ein Kunstprojekt der Münchner Kammerspiele und nach wenigen Wochen vorüber.

Seitdem ist die Stadt wieder hafenlos - und dennoch hat sich nun ein Schiff in Richtung München aufgemacht. Kein kleines, sondern ein 37 Meter langer Ausflugsdampfer, der den Namen "MS Utting" trägt und seit 1950 Ausflügler über den Ammersee geschippert hat. Nach all den Jahrzehnten sollte das Schiff eigentlich ausrangiert werden, doch dann trat der Münchner Kulturverein Wannda auf den Plan. "Ich habe im Oktober erfahren, dass das Schiff verschrottet werden soll", erzählt Vereinsgründer Daniel Hahn. "Und da sind wir auf die Idee gekommen, die ,MS Utting' nach München zu bringen." Was aus seinem Mund so einfach klingt, war ein logistischer Kraftakt: Fast zwei Monate lang haben Fachleute das Schiff auseinandergenommen und es der Länge nach in zwei Teile gesägt, damit diese auf Schwerlastern die Brücken zwischen Ammersee und München passieren können.

Vorgestern am späten Abend ging es schließlich los: Auf zwei fast 40 Meter langen Tiefladern zuckelten Rumpf und Oberdeck von Utting am Ammersee über die A 96 und die A 99 bis an die Stadtgrenze. Unter Polizeischutz ging's danach auf den Mittleren Ring und durch die gesperrten Candid- und Brudermühltunnel - im Schritttempo.

Gestern gegen 4 Uhr früh erreichte die "MS Utting" dann ihr Ziel im Stadtteil Sendling, wo das Schiff auf einer stillgelegten Eisenbahnbrücke zum Kulturboot umfunktioniert werden soll. "Wir haben zahlreiche Standorte geprüft", sagt Hahn. Am Ende sei die Wahl auf den extravagantesten gefallen - und den teuersten. Eine sechsstellige Summe werde allein der Transport verschlingen, schätzt er. Der 26-Jährige ist im Münchner Kulturleben kein Unbekannter: Mit Schulfreunden hat er den Verein Wannda gegründet, der allerlei Kulturveranstaltungen organisiert, meist auf Flächen, die gerade zur Zwischennutzung freigegeben sind. Darüber hinaus betreibt Hahn den "Bahnwärter Thiel" - eine Kulturstätte in einem alten Schienenbus, Baujahr 1952. Auch dieses Gefährt musste via Schwertransport umziehen, doch das ist kein Vergleich zum XXL-Umzug der "MS Utting". Mit zwei Kränen wurde gestern Vormittag zunächst der 100 Tonnen schwere Schiffsrumpf auf die Brücke gehievt; im Anschluss daran folgte, vor Hunderten Schaulustigen, das Oberdeck.

Die Teile werden nun wieder zusammengeschweißt, ehe es in den nächsten Wochen und Monaten an den Rückbau des Interieurs geht - vom Holzdeck bis zum Maschinenraum. Schließlich will Hahn den Dampfer wieder in den Urzustand versetzen, ehe dort ab Mai, so das "sehr optimistische Ziel", ein Café aufmacht und Konzerte, Lesungen sowie weitere Kulturveranstaltungen stattfinden. In einem Schiff ohne Hafen - dafür aber mit Gleisanschluss.