Breitere Debatte, bitte!

Von Christian Tamm

12.09.2018 | Stand 02.12.2020, 15:41 Uhr

Die Generaldebatte ist nicht nur die Abrechnung mit der Regierung.

Im Gegenteil wurde sie von vielen Bundeskanzlern genutzt, um eine knackige Ansprache ins Mikrofon zu schmettern. Hier kann man Kritiker verstummen lassen, die politische Konkurrenz durch die Arena scheuchen und neue Debatten anstoßen. Kurzum: Es ist die wichtigste Bühne, die das politische Deutschland zu bieten hat.

Angela Merkels Sache ist diese Bühne nicht. Während ihrer langen Kanzlerschaft hat sie Generaldebatten eher als Pflicht denn als Chance verstanden. Auch gestern hat sich an diesem Eindruck wenig geändert. Nüchtern trägt sie ihre Sicht der Dinge vor. Exemplarisch dafür kann ein Satz stehen, den die CDU-Chefin im Zusammenhang mit den Ereignissen in Chemnitz prägt: "Es gelten bei uns Regeln, und diese Regeln können nicht durch Emotionen ersetzt werden. Das ist das Wesen des Rechtsstaats. " Eine zutreffende Analyse. Doch ihre Kritiker kann Merkel so sicherlich nicht überzeugen.

Vielleicht würde die Kanzlerin eine bessere Figur abgeben, wenn sie für ihre nächste große Ansprache einen anderen , erfrischenden Ansatz wählen würde. Der könnte sein, die sich im Kreis drehende Asyldebatte einfach mal kurz zu halten. Sicher, die Menschen beschäftigt dieses emotionale Thema. Und das zurecht. Chemnitz und die Äußerungen von Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen kann Merkel nicht unkommentiert lassen. Doch gehen viele andere Fakten unter. Kaum ein anderes Land ist sicherer. Deutschland kann eine robuste Wirtschaft und damit beste Perspektiven für seine Bürger vorweisen. Die Arbeitslosigkeit ist niedrig, die Beschäftigung hoch. Das Steuersäckel platzt. Berlin jedoch streitet lieber medienwirksam über das Immergleiche. Wenn AfD-Fraktionschef und Oppositionsführer Alexander Gauland gleich als erster Redner ausschließlich über Asylfragen spricht, mindert er vom Start weg die erhoffte thematische Vielfalt der Generaldebatte.

Und Merkel? Sie spielt das Spielchen einfach mit. Auch sie bemüht sich in der Debatte und seit Monaten kaum, andere Themen zu setzen. Zu diskutieren gäbe es genug: Die Mieten in den Ballungsräumen machen den Leuten das Leben schwer. Unzählige Dörfer haben eine digitale Infrastruktur aus der Steinzeit. Und die Pflege ist und bleibt ein Sorgenkind.

Warum dürfen solch alltägliche und doch für jeden wichtige Dinge nicht mehr die Hauptrolle einnehmen? Die deutsche Politik sollte Acht geben, dass sie sich nicht durch den Streit um die Flüchtlingskrise lähmen und von Zukunftsthemen abbringen lässt. Eltern, Rentner, große Teile der Jugend und viele weitere Gruppen wollen ihre Sorgen wieder mit derselben Intensität behandelt wissen, wie den Streit um die Migration.