Blutige Geburtsstunde der Jungpfalz

06.09.2019 | Stand 23.09.2023, 8:28 Uhr
Der Landshuter Erbfolgekrieg ist der erste europäische Konflikt. Die einzige größere Schlacht findet bei Wenzenbach in der Nähe von Österreich statt. Kontrahenten sind Pfalzgraf Ruprecht (links oben) und Herzog Albrecht (rechts oben). Auch König Maximilian (rechts unten) und Ruprechts Bruder Friedrich, der erst als Vermittler und später als Verwalter der Jungen Pfalz tätig ist, sind wichtige Personen. −Foto: DK-Archiv

Wie Phönix aus der Asche erhebt sich die Junge Pfalz nach dem Landshuter Erbfolgekrieg aus dem verheerten Bayern. Das Ende des ersten europaweiten Konflikts bedeutet für Neuburg den Beginn eine 300-jährige Blütezeit, von der die heutige Kreisstadt nach wie vor profitiert. Dazu wäre es aber fast nicht gekommen.

Vor den Toren von Neuburg steht das Schicksal Europas auf der Kippe. Es ist der 11. August im Jahre 1504. Albrecht IV., Herzog von Bayern-München, hat in dieser frühen Phase des Landshuter Erbfolgekriegs ein gewaltiges Heer vor den Stadtmauern zusammengezogen. Neuburg, wenige Wochen zuvor von den Truppen Ruprechts von der Pfalz eingenommen, liegt strategisch günstig für beide Kriegsparteien. Doch zum Angriff auf die Stadt kommt es nicht.

Ausschlaggebend dafür ist eine Meuterei unter den 12000 bayerischen Soldaten der Belagerungstruppen, die eben an jenem 11. August im Feldlager bei Zell ausbricht. Solche aufrührerischen Umtriebe sind - ebenso wie Plünderungen - in diesem Konflikt zwar nichts Besonderes. Für Historiker Sigmund von Riezler, der die Geschehnisse von damals in seinem achtteiligen Werk "Geschichte Baierns" beschreibt, stellt der Soldatenaufstand vor Neuburg jedoch "unter den vielen aufrührerischen Bewegungen der Truppen wohl die gefährlichste" dar. Tatsächlich muss es im Feldlager äußerst blutig zugegangen sein. Herzog Albrecht und einer seiner Verbündeten, Graf Eitel Friedrich von Hohenzollern, entkommen knapp, Markgraf Friedrich von Brandenburg stellt sich mit den loyalen Truppenteilen den Aufständischen und erschlägt oder verwundet der Überlieferung zufolge 50 Aufrührer. Nur mit Mühe und dank des beherzten Eingreifens der Söldner des verbündeten Schwäbischen Bundes und der königlichen Soldaten gelingt es, die Meuterei zu stoppen und die Ordnung wieder herzustellen. Das Morden vor den Neuburger Stadttoren geht dennoch erst mal weiter: Herzog Albrecht lässt zahlreiche Aufständische enthaupten, andere mit Schimpf und Schande aus seinem Heer jagen.

Der Feldzug gegen Neuburg und Rain erweist sich für den Wittelsbacher Fürsten in der Folge als mittelschweres Desaster. Beide Städte trotzen den bayerischen Truppen, lediglich die Grafschaft Graisbach fällt an Albrecht, von dessen 12000 Männern nach der Meuterei und dem Abzug der schwäbischen Söldner nur noch 2000 Soldaten verbleiben. Eine vorübergehende Schwäche, die ebenso wie der Aufstand in den eigenen Reihen das Blatt zugunsten der pfälzischen Truppen wenden könnte - doch eine, die für die bayerische Historie folgenlos bleibt. Vielleicht auch deshalb spielen die Ereignisse bei Zell in der heutigen Geschichtsschreibung so gut wie keine Rolle. Der 11. August 1504 - ein Datum, das in Neuburg heute vergessen ist.

Das liegt vor allem daran, dass die tatsächlichen Ereignisse von damals für die Stadt heute viel bedeutender erscheinen, als die Gedankenspiele, was alles möglich gewesen wäre. Denn der Landshuter Erbfolgekrieg ist selbst mehr als ein halbes Jahrtausend später der folgenreichste Konflikt für die Region. Immerhin bedeutete sein Ende die Gründung des Fürstentums Pfalz Neuburg, das sich wie Phönix aus der Asche des verwüsteten Landes erhob und der Stadt eine 300-jährige Blütezeit bescherte. Bis dahin war es allerdings ein blutiger Weg, der - wie so oft in der Geschichte - der Laune eines einzigen Mannes geschuldet war. Sein Name: Georg der Reiche von Bayern-Landshut.

Der Herzog, vor allem bekannt durch seine Vermählung mit der polnischen Prinzessin Hedwig, an die heute noch alle vier Jahre die Landshuter Hochzeit erinnert, bestimmt in seinem Testament seine Tochter Elisabeth und deren Ehemann Ruprecht von der Pfalz als Erben - und bricht damit geltendes Hausrecht der Wittelsbacher. Dieses sieht vor, das 1392 geteilte Gebiet der Familie wieder zu vereinen, wenn es in einer Linie keinen männlichen Nachkommen gibt. Auf diese Weise - und durch die Folgen des Bayerischen Kriegs - hatte sich Georgs Großvater Heinrich XVI. bereits das Herzogtum Bayern-Ingolstadt einverleibt. Der Bruch dieser Regelung, den nach Georgs Tod 1503 in Ingolstadt seine Tochter und sein Schwiegersohn vorantreiben, löst schließlich den Landshuter Erbfolgekrieg aus.

Obwohl der Konflikt gerade mal neun Monate dauert, zählt er zu den schlimmsten, die es bis zu dieser Zeit gegeben hat. "Es ist ein Krieg der verbrannten Erde", weiß Neuburg-Schrobenhausens Kreisheimatpfleger Manfred Veit. Denn erstmals spielt die systematische Zerstörung der Dörfer und der Ernten und damit der wirtschaftlichen Grundlage des Adels eine wesentliche Rolle in einem Konflikt. Zu leiden hat dadurch freilich vor allem das einfache Landvolk. Und zwar immer wieder. Viele Ortschaften müssen im Laufe des Krieges erst durch die eine Partei, dann auch noch durch die andere Plünderungen erdulden. Für Historiker Sigmund von Riezler steht fest, dass Bayern seit den Ungarneinfällen rund 550 Jahre zuvor nicht mehr "ein solches Maß der Leiden" erdulden hat müssen. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass kaum Siedlungen Widerstand leisten. "Wer zuerst vor einer Stadt erschien, dem fiel diese zu", schreibt Riezler. Auf diese Weise besetzt Albrecht unter anderem Schrobenhausen, Reichertshofen und Aichach. Andere Orte bezahlen teuer, um der Zerstörung zu entgehen - was unter anderem Pfaffenhofen misslingt. Die Stadt fällt früh im Krieg den Truppen des Pfälzer Feldherrn Georg Wisbeck zum Opfer, die auf ihrem Weg durch die Holledau rund 60 Ortschaften verwüsten und niederbrennen. Ein Schicksal, das bayernweit zahlreiche Dörfer erleiden.

Eine Ursache dafür sind die zahlreichen beteiligten Kriegsparteien, die sich allesamt eigene Vorteile von dem Konflikt erhoffen. Auf der Seite der Münchener Wittelsbacher stehen neben dem deutschen König Maximilian I. auch die schwäbischen Reichsstädte, Herzog Ulrich von Württemberg, Markgraf Friedrich von Brandenburg und die große Reichsstadt Nürnberg. Ruprecht und seine Frau Elisabeth bekamen unterdessen Unterstützung von Ruprechts Vater, dem Kurfürsten Philipp dem Aufrichtigen, sowie aus Baden, Böhmen und Frankreich, die zum Teil große Söldnerheere entsandten. Da der Konflikt, der auch als Bayerische Fehde bekannt ist, selbst auf den italienischen Alpenraum ausstrahlt, gilt er gemeinhin als erster europäischer Krieg.

Umso verwunderlicher, dass es nur wenige größere Gefechte gibt. Kurz vor der Belagerung Neuburgs kommt es am 13. Juli 1504 bei Landshut zum Aufeinandertreffen der Truppen Albrechts und Ruprechts. Zwei Scharmützel sind an diesem Tag überliefert, kriegsentscheidend ist keines davon. Allerdings erlangen sie Bekanntheit durch eine schwere Verwundung des Ritters Götz von Berlichingen, der in Albrechts Heer kämpft. Ein Geschoss aus einer Kanone der eigenen Truppen zersplittert dem Kämpfer, der später vor allem aus Johann Wolfgang von Goethes nach ihm benannten Schauspiel bekannt wird, den Schwertknauf, wodurch ihm die Hand abgerissen wird - und Götz von Berlichingen wegen einer Prothese den Beinamen "mit der eisernen Hand" einbringt.

Einen Vorteil können Ruprechts Truppen aus diesen Gefechten nicht erlangen, ebenso wenig wie kurze Zeit später aus der Meuterei vor den Toren Neuburgs. Das dürfte vor allem daran liegen, dass der Pfälzer Anführer sich nach den beiden Scharmützeln nach Landshut zurückziehen muss, wo er am 20. August an der Ruhr stirbt - wenige Tage nach seinen beiden erstgeborenen Söhnen, den Zwillingen Georg und Ruprecht. Seine Frau Elisabeth überlebt Ruprecht nicht lange, sie stirbt am 15. September, vermutlich ebenfalls an der damals grassierenden Ruhr.

Die Tochter Georgs des Reichen erlebt allerdings noch die einzige Schlacht des Landshuter Erbfolgekriegs. Drei Tage vor ihrem Tod treffen ihre Truppen vor Regensburg auf die vereinigten Heere Albrechts und Maximilians. Bei Wenzenbach stellen sich 4500 böhmische Söldner den Soldaten des Königs und setzen diesen aus dem Schutz ihrer Wagenburg mit Spießen zu. Vor allem unter den Rittern gibt es zahlreiche Opfer zu beklagen, zu denen Maximilian I. beinahe selbst zählt. Als das Pferd des Monarchen ins Straucheln gerät und er nur noch am Steigbügel festhängt, droht der König unter die Hufe zu geraten. Nur mit Glück und dank der Hilfe Erichs von Braunschweig entgeht er im dieser letzten Ritterschlacht der Geschichte dem Tod. Stattdessen triumphiert er dank des Eingreifens seiner Fußtruppen. 1620 tote Böhmen und 200 tote Verbündete sind die Bilanz. Doch am weiteren Kriegsverlauf ändert das Gefecht ebenso wenig wie der Tod der Pfalzgräfin Elisabeth drei Tage später.

Ausschlaggebend für den Fortgang der Feindseligkeiten sind vor allem ihre verbliebenen Söhne Ottheinrich und Philipp, damals gerade mal zwei und ein Jahr alt. In deren Namen setzen die pfalzgräfischen Feldherren den Krieg noch bis ins Jahr 1505 hinein fort - mit mäßigem Erfolg. Georg Wisbeck gelingt zwar die Einnahme von Vohburg und in Geisenfeld die Gefangennahme von Albrechts oberstem Feldherrn, Andreas von Sonnenberg, er scheitert aber an der Belagerung von München. Unterdessen erobert der König Kufstein und damit die für ihn wertvollen Tiroler Silberminen, gleichzeitig verlagert sich das Geschehen auf diese Weise in den Süden. Die Vorentscheidung bringt jedoch erst das letzte Scharmützel des Krieges, am 23. Januar beim niederbayerischen Gangkofen. Der Zusammenstoß der Reitereien endet zwar mit einem Unentschieden, führt aber letztlich zu einem fragilen Waffenstillstand - und in der Folge zu einer langen Debatte darüber, wie es in Bayern nun weitergehen soll.

Beinahe kommt es zu einem erneuten Aufflammen der Kampfhandlungen. Herzog Albrecht und Pfalzgraf Friedrich, Onkel und Vormund der beiden Knaben Ottheinrich und Philipp, der zuvor über Monate hinweg als Vermittler tätig ist, rüsten sogar schon wieder auf, bis des Königs Eingreifen das unterbindet. Der Monarch nimmt das Recht für sich in Anspruch, im Erbstreit zu schlichten. Am 13. April erlässt er ein allgemeines Friedensgebot, an das sich beide Parteien halten.

Gut drei Monate später verkündet der spätere Kaiser Maximilian I. beim Reichstag in Köln seinen Schiedsspruch - für Neuburg die wohl wichtigste Entscheidung der Geschichte. Denn neben einer allgemeinen Amnestie und der Aufhebung der Acht über die Pfälzer Fürsten beinhaltet sie die Heraustrennung mehrerer Gebiete aus den bayerischen Landen. Sie sollen ein neues Fürstentum für Ruprechts und Elisabeths Söhne bilden, bestehend aus Neuburg und den Landshuter Gebieten nördlich der Donau, mit Ausnahme der Ingolstädter Ländereien. Es ist die Geburtsstunde der Jungen Pfalz. Ein künstliches Gebilde, deren Geschichte gut 300 Jahre andauern soll.

Stefan Janda