"Blonder Engel" mit Ecken und Kanten

19.06.2016 | Stand 02.12.2020, 19:39 Uhr

Weshalb eigentlich "blonder Engel"? Bernd Schuster war doch nie ein Typ, der übermäßig gütig, vorbildlich oder gar hilfsbereit wirkte. Vielmehr galt der gebürtige Augsburger stets als schwieriger Zeitgenosse - hoffnungslos von sich überzeugt, kaum kritikfähig, höchst arrogant.

Also warum dieser Spitzname? Ganz einfach: aufgrund Schusters oftmals himmlischer Leistungen auf dem Fußballplatz.

In der Tat war der mittlerweile 56-Jährige schon früh in seiner Laufbahn so etwas, was von Experten gerne als "Genie" oder als "Megatalent" bezeichnet wird, über das sich eine Nation nur alle paar Jahrzehnte mal freuen darf. In Deutschland war das Ende der 1970er-Jahre der Fall. Prompt bemühte sich die halbe Bundesliga um den blonden Regisseur vom FC Augsburg, der einst beim kleinen SV Hammerschmiede das Fußballspielen erlernt hatte - und musste dann sehr schnell feststellen, dass Schuster bereits im jungen Alter deutlich anders als andere war. Denn Schuster unterzeichnete gleich drei Verträge gleichzeitig: bei Borussia Mönchengladbach, beim FC Augsburg sowie beim 1. FC Köln.

Letztlich machten die Geißböcke das Rennen um ihn, und in deren defensivem Mittelfeld stieg Schuster sofort zur Stammkraft auf - dank seiner genialen Pässe in die Tiefe, dank seiner unvergleichlichen Übersicht. Wohlgemerkt mit erst 18 Jahren auf dem Buckel.

Fußball-Deutschland wirkte regelrecht verzaubert von ihm, nannte ihn folglich "blonden Engel". Ganz vorne in der Reihe der Schulterklopfer: der damalige Bundestrainer Jupp Derwall. Prompt feierte Schuster schon am 22. Mai 1979 sein Debüt in der Nationalmannschaft, stand beim 3:1-Erfolg gegen Irland in Dublin die gesamten 90 Minuten auf dem Platz. 20 weitere Einsätze mit dem Adler auf der Brust folgten, darunter zwei bei der EM-Endrunde 1980 in Italien. Das DFB-Team holte dort mit ihm den Titel und spätestens jetzt lag ganz Europa dem Augsburger zu Füßen.

Schön für Schuster selbst, schön aber auch für seine damalige Ehefrau und Beraterin Gaby, die schnellstens nach Südeuropa wollte. Also wechselten die Schusters schon im Sommer 1980 zum FC Barcelona, wo gleichzeitig auch der Stern von Diego Armando Maradona aufging. Der "blonde Engel" aus Schwaben und das temperamentvolle Genie aus Argentinien - was für ein sensationelles Duo, das da plötzlich in Katalonien kickte. Und BarÃ.as Anhänger wussten nicht mehr, wen von den Beiden sie mehr huldigen sollte.

Nach acht Jahren schaffte es Schuster jedoch, seinen Heiligenstatus beim FC Barcelona jäh zu zerstören, indem er zu dessen Erzfeind Real Madrid wechselte. Und zwei Spielzeiten später gelang ihm dort Ähnliches - durch einen Gang zu Reals Stadtrivalen Atlético Madrid. Seine Nationalmannschaftskarriere hatte der Augsburger schon 1984 beendet.

Inzwischen ist es ruhig um Schuster geworden. Bereits seit 2014 wartet er auf das nächste Engagement als Cheftrainer. 1997 hatte er seine aktive Spielerkarriere beendet, danach war er zunächst durchaus als Coach gefragt. Immerhin hat er nun privat sein neues Glück gefunden: Seit 2012 ist Schuster mit der 19 Jahre jüngeren Elena verheiratet. Das Kapitel Gaby ist seit 2011 Geschichte - und damit auch der Spitzname "Pantoffelheld", den Schuster in der Zeit mit seiner ersten Gattin verpasst bekommen hatte. Von wegen nur "blonder Engel".