Geisenfeld
"Blind Date" mit Heike Makatsch

Hauptrolle im Mainzer "Tatort": Kathrin Schreck schult Henriette Nagel im Umgang mit dem Langstock

27.11.2020 | Stand 23.09.2023, 15:42 Uhr
Der Umgang mit dem Langstock will gelernt sein, wenn man eine Blinde spielt: Kathrin Schreck (links) schulte Henriette Nagel darin, eine Blinde möglichst echt zu spielen. −Foto: Schreck

Geisenfeld - Geisenfeld und Mainz trennen für sich schon Welten - und als Rehalehrerin für Blinde und Sehbehinderte gibt es für die Geisenfelderin Kathrin Schreck im Regelfall keine Berührungspunkte zum in Mainz ermittelnden "Tatort"-Duo, das von Heike Makatsch und Sebastian Blomberg verkörpert wird. Trotzdem haben diese beiden Welten im Herbst zusammengefunden. Weil Schreck die Schauspielerin Henriette Nagel auf ihre Rolle im nächsten Mainzer "Tatort" vorbereitet hat: Nagel spielt darin in einer Hauptrolle eine blinde Jurastudentin, die Zeugin eines Verbrechens wird und sich selbst auf die Jagd nach den Tätern begibt.

Bislang hat Heike Makatsch alias Kommissarin Ellen Berlinger zweimal in der wohl wichtigsten deutschen TV-Produktionsreihe die Zuschauer am Sonntagabend auf dem Bildschirm unterhalten. An diesem Wochenende feiert der "Tatort" ein großes Jubiläum: Seit 50 Jahren jagen die Kommissare nach den Tätern. Im Herbst wurde der erst zweite Mainzer "Tatort" mit Heike Makatsch gedreht. Der Arbeitstitel lautet "Blind Date" - und die Folge wird vermutlich im Frühjahr ausgestrahlt.

Die Verbindung nach Geisenfeld kam eher zufällig zustande. Denn Regisseurin Ute Wieland erinnerte sich auf der Suche nach der optimalen Besetzung ihrer Hauptrolle zunächst an Henriette Nagel. Die 28-Jährige stammt aus Berlin - und arbeitete erstmals im zarten Alter von nur 14 Jahren mit Wieland zusammen. "Ich war eine der Hauptfiguren in den Kinofilmen ,Freche Mädchen', die 2007 gedreht wurden und damals ziemlich erfolgreich waren", erzählt die in München lebende und als fester Bestandteil des dortigen Volkstheater-Ensembles arbeitende Schauspielerin. Jedenfalls lud sie Wieland zum "Tatort"-Casting - und Nagel bekam den Zuschlag. "So eine große Rolle, an der Seite von derart bekannten Schauspielern - das ist schon was Besonderes für mich", fügt sie an.

Der Haken an diesem Engagement: Die Wahl-Münchnerin verkörpert eine blinde Studentin. "Ich sehe aber zum Glück ganz normal", sagt sie. "Also musste ich mich akribisch vorbereiten und das Blind-Sein erstmal lernen." An dieser Stelle kommt Kathrin Schreck ins Spiel. Seit 30 Jahren arbeitet Schreck, die selbst sehen kann, als Rehalehrerin für den Bayerischen Blinden- und Sehbehindertenbund (BBSB). Meist hat sie mit älteren Menschen zu tun, die im Alter ihre Sehfähigkeit verloren haben. Diese schult sie dann im Umgang mit dem Langstock, beim Orientieren und bei allen anderen Tätigkeiten, die einem Sehbehinderten viel schwerer fallen als allen anderen. "Meine Arbeit ist jeden Tag anders", berichtet Schreck. "Ganz einfach deshalb, weil auch jeder Fall vollkommen anders ist." Etwa ein Dutzend Rehalehrer, deren Ausbildung mit der von Schreck vergleichbar sind, gibt es in Bayern. "Das Team vom ,Tatort' ist zufällig auf mich gestoßen, beim Googeln im Internet", erzählt die Geisenfelderin. Und weil sie ohnehin etliche Überstunden abzubauen hatte, nahm sie sich gerne die Zeit für Henriette Nagel - und hat das nicht bereut. "Wir haben uns am Hauptbahnhof in München getroffen", erzählt Schreck. Mehrere Male, stets für etliche Stunden. "Anfangs sollte ich ihr nur den Umgang mit dem Langstock beibringen. Aber daraus ist im Lauf der Zeit immer mehr geworden." Der Gewöhnung an den Stock folgt das fachgerechte Pendeln. "Der Stock ist immer einen Schritt voraus", erzählt die Trainerin. Und Henriette Nagel hörte ihr wissbegierig zu. "Sie war so konzentriert, wollte so viel wissen - und hat es so fantastisch gemacht", berichtet die Geisenfelderin.

Und auch die Schauspielerin kann derartige Komplimente nur zurückgeben. "Kathrin Schreck hat mir viel mehr beigebracht, als ich anfangs dachte", sagt sie.

"In einer Szene muss ich ein Smartphone bedienen", erzählt die 28-Jährige. Das läuft für Blinde natürlich komplett anders ab als für Sehende. "Da geht viel über die Sprache, und die Bedienung ist ganz anders", sagt Nagel. Vor allem hat ihr aber gefallen, dass sie sich nach den Trainingstagen fast schon perfekt in die Situation einer blinden jungen Frau hineinversetzen konnte. "Die E-Roller sind unsere größten Feinde", berichtet sie von ihren Erfahrungen. Aber auch Schilder und Äste, die von irgendwoher in den Gehweg hineinragen, verfluchte sie schon nach kurzer Zeit. Kathrin Schreck war von der Auffassungsgabe der Schauspielerin begeistert. "Sie hat sich darauf eingelassen, als Blinde durch die Fußgängerzone zu marschieren - und auf eigene Faust ein Café zu besuchen. Das sind schon Herausforderungen", erzählt die Geisenfelderin.

Henriette Nagel hat all das enorm geholfen, sich in ihre Rolle der blinden Studentin zu versetzen, die in einer Mainzer Tankstelle als einzige Zeugin einen Überfall mit tödlichem Ausgang miterlebt - und sich nach einem Leben jenseits der überfürsorglichen Kontrolle ihres Vaters sehnt. Die Kommissare folgen den Hinweisen der Blinden: dem Geruch eines teuren Parfüms, den Stimmen von Tatverdächtigen oder den "gefühlten Details", die sie als Blinde wahrnahm.

Mehr will Henriette Nagel nicht verraten. Schließlich sollen den Ausgang des Krimis möglichst viele Zuschauer im Fernsehen verfolgen, wenn der Mainzer "Tatort" ausgestrahlt wird. Ihre Treffen mit Kathrin Schreck wird die Münchnerin indes nie vergessen, versichert sie. "Sie haben mich als Schauspielerin weitergebracht - und auch ganz persönlich." Ähnlich bewertet die 28-Jährige übrigens auch die Zusammenarbeit mit dem Ermittler-Duo. Gewissen Respekt habe sie schon davor gehabt, mit Heike Makatsch zu arbeiten. "Aber sie und das ganze Team haben es mir leicht gemacht", erzählt sie. Alles sei professionell, aber auch sehr freundschaftlich abgelaufen. "Im persönlichen Austausch konnte ich mir einiges abschauen - und viel mitnehmen."

GZ

Patrick Ermert