Eichstätt
Blasser Schönklang

Hans-Eberhard Dentlers Version von Bachs "Kunst der Fuge" in Eichstätt

20.07.2016 | Stand 02.12.2020, 19:31 Uhr

Eichstätt (DK) Eine kleine musikalische Sensation war angekündigt. Die gültige Version von Bachs Spätwerk "Kunst der Fuge", so wie sie der Bach-Forscher und Cellist Hans-Eberhard Dentler nach jahrzehntelangen detektivischen Untersuchungen ermittelt hat, sollte in Eichstätt erklingen. Und bei dieser Gelegenheit würde auch gleich eine CD für das Label Oehms Classic mitgeschnitten.

Nun: Das Konzert in der gut besuchten Klosterkirche St. Walburg war dann weit weniger spektakulär, als man hätte erwarten können.

Nach Dentlers Auffassung sollten die Fugen und Kanons von Streichinstrumenten gespielt werden. Das ist an sich nicht so ungewöhnlich, es gibt unzählige Interpretationen des Werks in dieser Besetzung - wenngleich die Fachwelt inzwischen fast einhellig davon ausgeht, dass Bach seine Fugen für Klavier oder Cembalo geschrieben hat (eine Darstellung von Klaviermusik in bis zu vier Systemen war in der Barockzeit nicht völlig unüblich; und das Werk liegt Pianisten einfach gut in den Fingern). Originell ist bei Dentler die Hinzunahme eines Fagotts, um den Kontrabass zu verstärken - eine Besetzung, wie sie sich immer wieder bei Basso-continuo-Gruppen in der Barockmusik findet. Für diese spezielle Version hat Dentler gleich eine eigene Kammermusik-Formation gegründet, das Ensemble L'Arte della Fuga.

Tatsächlich entsteht ein wirklich sehr warmer, prägnanter Klang durch die Doppelbesetzung Kontrabass und Fagott. Aber: Er hat auch Nachteile. Die Bassstimme ist nun so mächtig, dass sie alle anderen Instrumente übertönt. Während Viola und Violine sich letztlich noch ganz gut behaupten können, verschwindet die von Hans-Eberhard Dentler selbst übernommene Cello-Stimme allzu oft hinter der pompösen Linienführung des Basses.

Überraschender ist aber etwas anderes: Dentler reklamiert für sich, eine originale Version des rätselhaften Bach-Werks aufzuführen. Dennoch schlägt er sämtliche Erkenntnisse der historischen Aufführungspraxis der vergangenen Jahrzehnte einfach in den Wind. Was Dentler da in St. Walburga darstellte, hat mit echter Barockmusik nur wenig zu tun.

Dentler hat für seine Formation wirklich hervorragende italienische Musiker engagieren können. Wenn man ihre im Programmheft abgedruckten Lebensläufe ansieht, fällt jedoch auf, dass offenbar keiner von ihnen bisher Berührung mit Originalklang-Ensembles hatte. Sie alle entstammen der Tradition moderner, romantisch geprägter Symphonieorchester.

Und so spielen sie auch. Der Streicherklang ist durchweg durch üppiges Vibrato aufpoliert, eine dramatische Klangrede, wie sie seit den großen Interpretationen von Niklaus Harnoncourt üblich ist, findet sich nicht. So herrscht Schönklang in Gleichförmigkeit. Leider gab es auch technische Probleme. Gerade Dentler kämpfte immer wieder mit seinem Instrument: mit der Intonation, dem Pianissimo, dem melodischen Linienwerk, etwa beim sehr hoch gelegenen "Canon alla Ottava".

Besonders enttäuschend ist aber, dass die fünf Musiker einfach ziemlich langweilig musizierten. Gerade unter Originalklang-Ensembles finden sich immer wieder Virtuosen, die mit äußerster Intensität, fulminantem Espressivo die Fugen feurig zum Klingen bringen. Bei Dentler und seinen Kollegen atmet man akademischen Staub.

Das Publikum in St. Walburg klatschte am Ende dennoch freundlich und lang anhaltend. Die Frage der Besetzung der "Kunst der Fuge" (wie der Bach-Sohn Carl Philipp Emanuel das Werk nannte) ist allerdings auch nach diesem Konzert nicht abschließend gelöst. Bach hat in den überlieferten Manuskripten keine Instrumentation angegeben. Vielleicht wollte er auch nur, dass man entspannt im Garten sitzt und die Partitur im Stillen liest. Oder sie immer wieder anders aufführt. Es existieren schließlich auch sehr faszinierende Interpretationen für ziemlich schräge Instrumente - etwa für Saxofonquartett oder Gitarre.