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Bis zum ersten Hahnenschrei

Neun stolze Gockel messen sich im Dauerkrähen – und bleiben dabei verdächtig ruhig

31.08.2014 | Stand 02.12.2020, 22:18 Uhr

Mailing (DK) Da hatte der Geflügelzuchtverein Ingolstadt-Mailing wirklich Glück mit den Temperaturen zu seinem eher spät anberaumten Sommerfest: Denn zum Krähen gestaltete sich das schöne Wetter am Samstag nun wirklich nicht. Leider sahen das auch die Hähne so. Die sollten um die Wette schreien. Wollten aber nicht.

Alles, was sie brauchen, ist eine gültige Impfbescheinigung und ein kräftiges Stimmorgan, das sie möglichst auch einsetzen sollten: Insgesamt neun Hähne traten im Wettkrähen gegeneinander an. Normalerweise sorgt dieser originelle Gockel-Contest für gute Laune unter den Geflügelzüchtern auf ihrem Vereinsgelände beim Kraftwerk. Denn Hähne krähen eigentlich immer, nicht nur bei Sonnenaufgang, weiß Zuchtwart Jean Söder. „Wenn einer anfängt, dann will ihn der nächste übertrumpfen.“ Da gebe es welche, die krähen immer gut, sagt er. Besonders eigene Exemplare dieser stolzen Spezies jedoch schreien nur am Tag des Wettkampfs nicht.

Diesmal scheinen sich die Hühnervögel – allesamt stattliche Prachtexemplare mit eindrucksvollen Namen – abgesprochen zu haben, was die Demonstration ihrer Stimmgewaltigkeit betrifft. Denn so richtig loslegen mit dem Krähen wollte in der vereinbarten Viertelstunde, in der es galt, die Ausdauer beim Hahnenschrei unter Beweis zu stellen, keiner der angetretenen Hähne so recht. Arbeitsverweigerung? Oder einfach nur Mattheit, weil es so heiß war? Der Hahn von Gundi Kraus, ein sogenannter Cochin, hat sich in seinem Käfigabteil bequem zur Siesta niedergelassen. „Die spannen uns aber g’scheit auf die Folter“, stellt sie ein wenig ernüchtert fest und starrt gebannt auf ihren braungefiederten Schützling. Ein Deutscher Sperber scharrt sich vor dem Start vielversprechend warm, dass die Holzspäne nur so durch den Käfig fliegen, bleibt dann aber, was das Krähen angeht, hinter den Erwartungen zurück. Wieder andere, wie die Ostfriesische Zwerg-Möwe mit der Startnummer Neun, geben zaghaft Laute von sich, die dem „Kikeriki“ schon sehr nahe kommen und deshalb auch in die Wertung einfließen.

Ansonsten herrscht weitgehend Schweigen hinterm Maschendraht. Da hilft es auch nichts, den Gockeln in der Hahnensprache gut zuzureden, wie es eine Frau aus der Jury versucht: „Kikeriki“, ruft sie dem Federvieh zu, während sie mit einem Zettel und gezücktem Kugelschreiber vor ihrem Käfig sitzt. Statt eine Strichliste über die getätigten Schreie anzulegen, hat sie allerdings ein Fragezeichen aufgemalt. Denn gekräht hat auch ihr Gockel noch kein einziges Mal. Und das ist man beim Geflügelzuchtverein eigentlich nicht gewohnt. „Die größeren Hähne krähen oft schlechter als die kleineren“, sagt die Frau, die schon 2013 ihr Glück beim Krähwettbewerb versucht hat. Diese Zurückhaltung aber wundert sie.

Gundi indes nutzt die Zeit bis zum ersten Hahnenschrei, um aus ihrem Leben und der Vergangenheit im Verein zu plaudern: Seit 1970 wohnt die gebürtige Schweinfurterin in Ingolstadt. Das etwas resolute Naturell in den fränkischen Genen ist ihr auch sogleich anzumerken. Früher habe sie mit ihrem Mann zusammen das Vereinsheim der Geflügelzüchter bewirtschaftet. „Ehrenamtlich“, betont sie. „Wir haben auch eine Zuchtanlage gehabt.“ 16 solcher Parzellen, die wie Kleingärten angelegt sind, befinden sich auf dem Vereinsgelände. Neben Hähnen tummeln sich dort auch russische Tauben, Kaninchen, Zierfische, Truthähne und alle möglichen Gänse. Ein kleines Idyll im Schatten der Kraftwerkskamine also. Heute lebt Gundi allein und ist beim Verein hauptsächlich der Geselligkeit wegen. So wie heute, wo sie beim Wettbewerb – „ein Gag“, wie sie sagt – mittippt. „Letztes Jahr habe ich einen Gockel gewonnen“, erzählt sie. Heuer hofft sie wieder auf einen Braten.

Wer wie Gundi sein Glück versuchen möchte, zahlt einen Euro symbolisches Startgeld. Der Sieger erhält eine Gans, der Zweitplatzierte eine Ente und Platz drei darf sich mit einem Hähnchen trösten. Für die Züchter auf den ersten drei Rängen hat der Verein Pokale reserviert. „Es waren schon mal über 30 Hähne“, berichtet Jean Söder über frühere Wettkrähen. Da seien die Leute bis aus Buxheim und Reichertshofen mit ihren Gockeln gekommen. „Aber die Leute werden immer müder“, klagt er. Den Wettbewerb habe man nach einer Pause vor drei Jahren wieder aufleben lassen. „Wir wollen damit wieder mehr Leben in den Verein bringen“, sagt Vorsitzender Franz Cmrecnjak. Manchmal kommen Eltern mit ihren Kindern vorbei, um sich die Tiere anzusehen. Oder auch Kindergartengruppen. „Dann sammeln wir Federn in einem Sack und geben sie ihnen mit. Das ist für die Kinder wie Gold.“

Gold im übertragenen Sinne gab es am Samstag auch für Cmrecnjak. Denn sein Hahn holte sich mit über 20 festgehaltenen Krählauten den ersten Platz vor den Züchtern Anna Hoffmann und Eduard Erbes. Zum Braten hat es diesmal für Gundi nicht gereicht. Ihr Gockel genoss den warmen Sommertag und krähte offenbar nur zufrieden in sich hinein.