Ingolstadt
Bis die Tasten glühen

Zum Schmunzeln und Staunen: Joja Wendt und Band im Ingolstädter Theaterfestsaal

03.11.2013 | Stand 02.12.2020, 23:28 Uhr

Fingerfertigkeit von Nahem: Joja Wendt in Ingolstadt - Foto: Schaffer

Ingolstadt (DK) Das Konzert näherte sich schon dem Ende, als plötzlich kleine Rauchwölkchen aus dem Flügel emporstiegen, dort, wo Joja Wendt mit Funken sprühender Intensität und Schnelligkeit Akkorde, Repetitionen, Läufe in die Tastatur schlug. Der berühmte „Hummelflug“ von Nikolai Rimsky-Korsakov stand auf dem Programm, jenes Bravourstück, bei dem es allein darauf anzukommen scheint, wie viele Anschläge pro Zeiteinheit ein Pianist hervorzubringen vermag.

Joja Wendt machte da bei seinem Konzert im Ingolstädter Theaterfestsaal bestimmt keine schlechte Figur. Er gehört zur Gattung der Supervirtuosen. Aber das Klavier zum Rauchen bringt natürlich auch er nicht, dazu bedarf es schon eines diskreten Pyrotechnikers.

Der augenzwinkernde Effekt ist typisch für den Auftritt des Hamburgers. Denn es ging mehr um Show als um Musik, mehr um Klaviersport als um ernste Kultur, mehr um Humor als um Tiefsinn und mehr um Knalleffekt als um Mozart. Das sollte nicht kritisiert werden. Dazu ist Wendts Konzert zu originell, inspiriert und vor allem zu amüsant.

„Mit 88 Tasten um die Welt – die Reise geht weiter . . .“ nennt Joja Wendt sein neues Programm. Er spielte dabei Werke, die alle mit irgendwelchen fremden Ländern zu tun haben. Aber er gab beileibe keine gelehrige musikalische Geografiestunde. Die Schauplätze der Welt waren eher ein Anlass für den Pianisten und Moderator, ein paar Witze zu reißen, vor allem aber sein Publikum zum Lachen und Staunen zu bringen. Entertainment war das oberste Gebot für den Weltenbummler. Da erzählte er von seiner Italien-Reise mit seinem ersten eigenen Auto, einem hochbetagten VW-Bus, ausgestattet mit eingebautem Klavier. Und setzte die Tour gleich musikalisch um. Da hörte man dann auf dem Flügel den stotternden Anlasser und die vorbeifahrende Polizei. Wenn es „an Ingolstadt vorbei“ hinauf zu den Alpen ging, ächzten und stöhnten die verlangsamten Melodien, während der auf hydraulischen Beinen stehende Flügel schräg in die Kurve ging oder steil in den Himmel ragte und Wendt mit allen möglichen Verrenkungen an den Tasten hing. Das war ebenso überraschend wie komisch anzusehen. Genauso wie Vivaldis Violinkonzert „Sommer“ aus den „Vier Jahreszeiten“ mit ausführlicher Jazz-Einlage, im Höllentempo gespielt. Oder das Stück über den Gordischen Knoten, bei dem man auf der Großbild-Leinwand Wendts Finger sich verknäulen sah, bis ein Knall mit dem Klavierdeckel anzeigte, dass Alexander der Große den Knoten mit einem Schwerthieb durchschlug und die Musik in einen völlig entfesselten Boogie Woogie überging. Oder die kindliche Geschichte über „Johannes, die kleine Schildkröte“, bei der ein weißer Hai über dem Flügeldeckel schwebte und das Klavier die Titelmelodie des Hollywood-Reißers „Der weiße Hai“ imitierte.

Das war alles sehr unterhaltsam und voller Überraschungen – etwa wenn Wendt erzählte, dass neuseeländische Aborigines Spinnennetze als Fischnetze verwenden, was ungläubiges Staunen erregte, bis der Pianist sein Publikum aufforderte, ihn mit Hilfe von Smartphones zu kontrollieren. Aber Wendt war mehr als nur Stimmungskanone und reißerischer Musiker, dessen zweiköpfige Band (Bass und Schlagzeug) und die gewaltigen Lautsprecherbatterien letztlich nur die Funktion hatten, den Eindruck seines Klavierspiels zu intensivieren. Wendt ist auch ein wahnsinnig virtuoser Pianist. Wer in seinem Leben schon einmal Klavierunterricht hatte, kann vielleicht erahnen, was für enorme, schweißtreibende Arbeit dahinter steckt, so locker an einem einzigen Abend durchgehend extrem knifflige Stücke zu spielen. Entertainment ist oft harte Arbeit. Bei Joja Wendt war von der Anstrengung allerdings kaum etwas zu spüren, selbst dann nicht, wenn das Klavier unter seinem Anschlag zu glühen schien und Schweiß von seiner Nase tropfte. Er ist ein echter Wunderpianist.