Ingolstadt
Bis auf das Fundament erschüttert

Amtsgericht verurteilt Angeklagte im Hochbauamtsprozess für Absprachen beim Schulneubau – Berufung gilt als sicher

29.08.2014 | Stand 02.12.2020, 22:18 Uhr

Eine Ex-Mitarbeiterin des Amtes hatte Anzeige erstattet - Foto: Rössle

Ingolstadt (DK) Nach der Razzia im Rathaus und der Anklage gegen Spitzenbeamte folgt nun der nächste Schock für die Stadt Ingolstadt: Das Amtsgericht hat den Hochbauamtsleiter und seinen Stellvertreter für illegale Absprachen beim Bau der Schulen in der Ochsenschlacht tatsächlich schuldig gesprochen.

Man hat in Ingolstadt selten fünf Angeklagte und dazu noch fünf Anwälte gesehen, denen die Überraschung und das Entsetzen so ins Gesicht geschrieben standen. Am Freitag um kurz nach 11 Uhr spiegelte sich das Urteil in dieser Weise beim Leiter des städtischen Hochbauamtes, seinem Stellvertreter und drei Architekten aus zwei Büros genauso wie bei ihren Verteidigern. Der Schuldspruch erschütterte sie heftig: verurteilt wegen wettbewerbsbeschränkender Absprachen bei Ausschreibungen.

Die Verteidiger wirkten zuvor zwar nicht grenzenlos siegessicher, aber doch fest davon überzeugt, dass sich Richter Christian Veh unweigerlich dem anschließen müsse, was sie in ihren Plädoyers an Zweifeln zu dem Fall aufgeworfen haben. Die Anwälte trugen nach einer umfangreichen Beweisaufnahme an fünf Tagen viele Punkte zusammen, die alle darauf abzielten: Ihre Mandaten aus dem Hochbauamt der Stadt Ingolstadt und zwei Ingolstädter Architekturbüros hätten bei der Zusammenarbeit für den Bau der Mittel- und der Realschule in der Ochsenschlacht nichts Unlauteres gemacht. „Wenn alle nur ihre Pflicht erfüllen, gibt es keine Absprache“, sagte stellvertretend Anwalt Arne Gietl.

Doch da irrten sie sich in der Einschätzung. An Vehs fester Überzeugung vermochten sie nicht zu rütteln: Er ist überzeugt, dass der Behördenleiter und sein Stellvertreter die Architektenbüros schon ausgewählt und mit wichtigen Informationen gefüttert hatten, bevor das Vergabeverfahren offiziell begann. Weil sich die Architekten darauf einließen, geht er von einer Absprache aus.

„Am Tatsächlichen gibt es nichts zu diskutieren“, sagte Veh deutlich. So fand sich im Tagebuch des stellvertretenden Amtsleiters ein Eintrag über ein Jour fixe mit den Planern, an dem er – drei Monate vor Start des offiziellen Ausschreibungsverfahrens, bei dem die beiden Büros tatsächlich den Zuschlag gegenüber Konkurrenten erhielten – die Architekten schon namentlich auf die Projekte verteilt hatte. „Das ist für den Sachverhalt schon die halbe Miete“, bewertete Veh diesen Fund der Ermittler. Veh folgte Anklägerin Uta Winterstein (Staatsanwaltschaft München II) und deren Argumentation. Sie hatte „erdrückende Indizien, dass es im Vorfeld Absprachen gab“ aufgeführt.

Anders als der Richter und die Staatsanwältin schätzten die Verteidiger den Fall rechtlich als belanglos ein: „Es gibt keinen Straftatbestand, der besagt, dass wer sich nicht an Vergaberichtlinien hält, bestraft wird“, erklärte Anwalt Michael Reinhart. Sein Kollege Stephan Horster ergänzte: „Eine einseitige Bevorzugung der Architekten mag vorgekommen sein – sie ist aber nicht strafbar.“

Horster lieferte auch ein vermeintlich starkes Indiz dafür, dass es gerade keine Absprache gegeben hatte: Eines der beiden Architekturbüros habe in den Verhandlungen mit der Stadt auf rund 300 000 Euro Generalplanerzuschlag verzichtet – „das mache ich doch nicht, wenn ich weiß, dass ich den Auftrag sowieso bekomme!“ Doch dieses Argument blieb, wie die gesamten rechtlichen Einschätzungen der Anwälte, unberücksichtigt.

Richter Veh stellte aber im Sinne der Angeklagten „in aller Deutlichkeit“ klar: „Mafiaähnliche Zustände“ oder andere reißerische Aussagen in der Öffentlichkeit über den Alltag im Hochbauamt seien völlig fehl am Platz. Es sei den Behördenleitern in dem Fall auch nicht um Geld gegangen – was aber auch nie als Vorwurf im Raum stand. „Das A und O“ (Veh) war letztlich der Zeitdruck, den die Amtsleiter massiv spürten, als sich im alten Schulzentrum Südwest die Probleme (wie mangelnder Brandschutz) türmten, und Politik, Schulleitung und Eltern ein zügiges Handeln forderten. Sie wollten „die Sache nur beschleunigen“, sagte Veh über die Planungen der Neubauten.

Und letztlich seien ja „alle zufrieden gewesen“ mit dem Ergebnis: Die Schulen stehen und sind sogar günstiger als ursprünglich geplant geworden. „Aber es gibt dafür halt Regeln – und die sind nicht eingehalten worden“, so der Richter.

Die Rolle der Kronzeugin redete Veh eher klein. Die frühere Mitarbeiterin hatte die Vorgänge bei der Polizei angezeigt. „Schon klar, ohne sie säßen wir nicht hier.“ Aber die Anklage würde sich nicht allein auf sie stützen. Es hätten sich auch in den Aussagen der Angeklagten genügend Anhaltspunkte gefunden. Veh ist aber überzeugt: „Sie ist zu 100 Prozent glaubwürdig.“

Nicht nur deshalb verhängte er teils heftige Geldstrafen über 220 Tagessätze (rund sieben Monatsgehälter) für die beiden Beamten und je 60 Tagessätze (zwei Monatsgehälter) für die Architekten. Der 38-jährige Amtsleiter soll folglich umgerechnet 26 400 Euro Strafe zahlen, sein 56-jähriger Stellvertreter unwesentlich weniger.

Doch das Urteil ist weit davon entfernt, rechtskräftig zu werden. Die Verurteilten werden mit ihren Anwälten in Berufung gehen und die nächsthöhere juristische Instanz anrufen. Sogar eine höchstrichterliche Entscheidung des Falles dürfte irgendwann infrage kommen.