Eichstätt
Bilder einsamer Menschen

09.06.2015 | Stand 02.12.2020, 21:12 Uhr

Sandra Gugic las aus ihrem Debütroman - Foto: Kleinherne

Eichstätt (DK) „Dinge passieren nicht linear, sondern gleichzeitig, auf mehreren Ebenen“, antwortet Sandra Gugic auf die Frage, was denn der Reiz für sie gewesen sei, ihren Debütroman „Astronauten“ aus den Perspektiven sechs unterschiedlicher Menschen zu schreiben. Mit ihrer Lesung im Kapuzinerkloster wurde am Montag das Festival „LiteraPur 15“ eröffnet, das bis Samstag junge und engagierte Literatur, etablierte und neu entdeckte Autoren präsentiert.

Die Organisatoren um Uni-Dozent Michael Kleinherne hätten für die Eröffnung keine bessere Wahl treffen können. Die 1976 geborene Wienerin Gugic verwebt die Geschichten der Schulfreunde Darko und Zeno, des jungen, drogenabhängigen Alex, der 16-jährigen Künstlertochter Mara, des schreibenden Taxifahrers Alen und dessen Freund, des Polizisten Niko, kunstvoll miteinander. Sie lässt ihre Protagonisten zu Beginn der Sommerferien in der Stadt, im Park, in der Klinik, im Museum einander begegnen, wieder auseinanderdriften, ganz sanft, als schwebten sie wie Astronauten bei einem Ausflug im All. Verbunden sind sie durch Freundschaft, zufällige Begegnungen, die aber nicht beliebig sind, Dialoge und ihre inneren Monologe. Das erzählt sie in konturenscharfen Szenenbildern.

So erinnert sich Zeno daran, wie er als Bub von einem Baum in seinem Heimatdorf herab mit einem Holzgewehr im Spiel zielte. Nun sitzt Zeno im Baum am Rande des Golfplatzes, der „Disneyworld der weißen Krägen“, ausgerüstet mit einem echten Gewehr und trifft „als Zielübung“ ein Eichhörnchen, bevor er den Golfer, den „Fettsack“, dann „voll an der rechten Backe verletzt“. So verletzt, wie er selbst es ist.

Doch verletzt sind sie alle auf unterschiedliche Weise. Weil sie Erwartungen nicht entsprechen – Alen fährt Taxi und schafft es nicht, sein Manuskript fertig zu schreiben. Mara sucht im Museum nach ihrer Mutter in deren Kunst. Denn diese brachte zwar der kleinen Familie das ersehnte Geld für den Lebensunterhalt. Dann aber auch, dass sich die Eltern trennten, die Familie zerbrach. Auch den anderen gelingen weder echte Beziehungen noch Lebensziele.

Auf der Oberfläche scheint vieles geregelt. Aber Gugic sieht genau hin, kratzt an der Fassade. Sie entlarvt die „Routine der alltäglichen Verzweiflungen“, zeigt „die Möglichkeiten der Wahrheit“ auf, die dann aufblitzen wie Filmstills. Gugic denkt in Bildern. Die ausgebildete Grafikerin ist Kinogängerin, hat während und nach dem Studium an der Universität für Angewandte Kunst Wien und am Deutschen Literaturinstitut Leipzig neben Lyrik und Prosa auch Theatertexte geschrieben, realisiert weiterhin Stücke. Und sie hat – eine Ausnahme unter Autoren – den Einband ihres im C. H. Beck-Verlag erschienenen Romans selbst entworfen.

Für ihre Recherchen benutzt Gugic Notizzettel und hält Besonderes mit der Fotokamera fest. „Der Junge auf dem Baum war ein Moment während einer Mexiko-Reise. Aus dem fahrenden Bus heraus habe ich ihn gesehen, mitten auf einem Dorfplatz. Es dauerte nur ein paar Sekunden, dann hatte er sich in mein Gedächtnis eingebrannt“, erzählt sie. Drei Jahre hat sie für ihr Debüt Begegnungen, Beobachtungen und Gespräche festgehalten. Für die Figuren des Taxifahrers und des Polizisten hat sie eigens recherchiert. So ist dieses berührende und fesselnde Mosaik moderner Lebenswirklichkeiten entstanden. Unbedingt lesenswert!