Pfaffenhofen
Bewährungsstrafe für Paketfahrer

31-Jähriger hatte hochwertige Handys unterschlagen - Richterin übt harsche Kritik an der Branche

25.11.2019 | Stand 25.10.2023, 10:27 Uhr
Symbolbild Gericht −Foto: Uli Deck/dpa-Archiv

Pfaffenhofen (PK) Zu zwei Jahren Freiheitsstrafe auf Bewährung hat das Schöffengericht in Pfaffenhofen den Paketfahrer Juris P.

(Name geändert) verurteilt, der in 29 Fällen hochwertige Handys, Notebooks und Laptops im südlichen Landkreis nicht ausgeliefert hatte, sondern sie einem kriminellen Dritten gegen 50 Euro pro Sendung aushändigte. Außerdem muss er den Schaden ersetzen - über 38 000 Euro.

Gestern, am zweiten Verhandlungstag, ging Amtsrichterin Katharina Laudien in ihrer Urteilsbegründung mit der Paketbranche hart ins Gericht: Durch seine wirtschaftliche Notlage habe der Angeklagte keinen anderen Ausweg gesehen, als sich auf die kriminellen Machenschaften einzulassen. "Das entschuldigt es nicht, aber es erklärt es. " Denn für seinen Knochenjob bekam Juris 1250 Euro netto monatlich, davon gingen 750 Euro Miete ab. Ausführlich erklärt der Angeklagte die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten, die wie er ausnahmslos aus einem Ostblockstaat kommen.

Frisch verheiratet war er demnach 2013 nach Deutschland gekommen, um Geld zu verdienen, und fing auch gleich als Fahrer an. Das Gehalt erschien ihm verglichen mit seinem Heimatland sehr üppig, aber die Lebenshaltungskosten unterschätzte er wohl gewaltig. Angestellt war er nicht bei einem der großen Paketdienstleister, sondern bei einem Subunternehmer. 200 Pakete musste er täglich ausfahren, der Tag fing für ihn morgens um 6 Uhr an und war meist um 20 Uhr noch nicht zu Ende. Dann allerdings musste der Scanner ausgeschaltet werden, wohl um den Arbeitsschutz zu umgehen, denn meist lieferte Juris P. bis 22 Uhr aus - sechs Tage die Woche. Und das mit seinem privaten Uralt-Kleinbus, der ständig repariert werden musste. Zwar gab es ein Tagesgeld für die Verpflegung, aber das wurde aufgezehrt vom Sprit, den die Paketfahrer selbst zahlen müssen.

Vor diesem Hintergrund ist die Frage der Richterin nur logisch: Warum er denn nicht gekündigt habe? Weil, dolmetscht die Übersetzerin die Antwort des 31-Jährigen, er kein deutsch spricht. Doch, ein Wort kann er: Tschüss. Das reicht, habe ihm seine Chefin damals gesagt, erklärt Juris P. : Lass die Paketempfänger auf dem Scanner unterschreiben, und sag dann tschüss.

Die Staatsanwaltschaft hatte Juris P. vorgeworfen, Kundendateien eines Versandhauses gehackt und IP-Adressen im Darknet beschafft zu haben, denn die Kripo fand keinerlei Hinweise auf Hintermänner. Wer Juris auf der Anklagebank erlebt, kann sich so viel kriminelle Energie bei ihm nicht vorstellen. Er macht den Eindruck eines gutmütigen Menschen, der sich leicht manipulieren lässt. Was ihm das Gericht allerdings nicht abnimmt: Nicht gewusst zu haben, dass in Deutschland ein Prozess auf ihn wartet. Denn nach den ersten Ermittlungen vor zwei Jahren und seiner Vernehmung setzte sich Juris P. in sein Heimatland ab. Sein Anwalt, rechtfertigt er sich, habe ihm damals nicht gesagt, dass er Deutschland nicht verlassen dürfe. Und eigentlich sei er ja auch gar nicht geflohen, sondern nur nach Hause gefahren zu seiner Familie. Dort spürte ihn dann die Polizei aufgrund eines europäischen Haftbefehls auf und steckte ihn zur Abschiebung in ein Gefängnis. Drei Monate wartete Juris P. dort auf seine Auslieferung.

Wie es ihm im Gefängnis ergangen sei, will die Richterin wissen. Mit fünf weiteren Männern habe er sich eine Zelle teilen müssen, sagt Juris P. , "die war so groß": Er zeigt zum Richtertisch: "Bis dorthin. " Das sind gerade mal 20 Quadratmeter. Die Toilette war nicht abgetrennt, einmal am Tag durfte er sich mit den anderen für eine Stunde in einer Art Käfig die Beine vertreten: fünf Schritte vorwärts, fünf Schritte zurück. Duschen konnte er einmal die Woche. Und nur einmal habe er mit seiner Frau Kontakt aufnehmen dürfen: Ich lebe, ich bin gesund, ich vermisse dich - für mehr reichten die zugewiesenen drei Minuten nicht.

Jetzt sitzt er seit zwei Monaten in Augsburg ein, zwei Polizisten haben ihn in den Sitzungssaal geführt, den Juris P. jetzt als freier Mann verlassen darf. Das Gericht hob den Haftbefehl auf und berücksichtigte in seinem Urteil die erlittene Haft.

Die Aussetzung der Strafe zur Bewährung begründete das Gericht neben der positiven Sozialprognose und seinem Geständnis so: "Jeder", erklärte die Amtsrichterin, "der die Verhandlung verfolgt hat, erkennt, dass es einer Vollstreckung nicht bedarf. " Das Schöffengericht ist sich sicher, dass sich Juris P. die Geschichte bis zu seinem Lebensende zu Herzen nimmt.

 

Albert Herchenbach