Bergbahnen wichtiger als Medikamente?

04.09.2009 | Stand 03.12.2020, 4:41 Uhr

Podiumsdiskussion mit fünf Politikern: (v. l.) Publizist Prof. Friedrich Kraft moderierte das Gespräch mit Matthäus Strebl (CSU), Eva Bulling-Schröter (Linke), Thomas Gambke (Grüne), VdK-Präsidentin Ulrike Mascher und Ursula Engelen-Kefer (SPD). - Foto: Herbert

Ingolstadt (DK) Das Interesse an der VdK-Podiumsdiskussion zur Bundestagswahl am Donnerstagabend war eher gering. Dafür ging es in kleiner Runde ziemlich zur Sache: Mindestlohn, Mehrwertsteuer oder Rente mit 67 – die älteren Herrschaften aus dem Publikum nahmen die Politiker ganz schön in die Zange.

Es ist heiß und stickig im Dachgeschoss der Kurfürstlichen Reitschule. Ein Mann im Publikum knabbert Salzstangen, ein anderer zieht sich eine Prise Schnupftabak rein. "Gute Besserung", lautet das Motto der Podiumsdiskussion, zu der der VdK-Kreisverband Ingolstadt-Eichstätt eingeladen hat: "Wäre nur ein Prozent der 15 000 Mitglieder gekommen, wär’ hier alles voll", meint Kreisvorsitzender Achim Werner und blickt enttäuscht auf die vielen leeren Stühle im Rudolf-Koller-Saal.

Zunächst formuliert VdK-Präsidentin Ulrike Mascher die Kernforderung des Sozialverbands: "Die Finanzkrise darf nicht zu Sozialkürzungen führen." Statt dessen müsse ins Soziale investiert werden. Die Rente betrage im reichen Ingolstadt durchschnittlich gerade einmal 647 Euro. "Damit kann man keine großen Sprünge machen", so Mascher.

Bedauern äußert die Vdk-Funktionärin, dass FPD-Bundestagskandidat Franz Schmidt nicht gekommen ist. "Nachdem doch die FDP ihr Herz für die Hartz-IV-Empfänger entdeckt hat." CSU-Abgeordneter und Seehofer-Nachrücker Matthäus Strebl (der für den Kandidaten Reinhard Brandl eingesprungen ist) bekennt sich zu den VdK-Forderungen und konstatiert: "Es darf keinen Kahlschlag nach der Bundestagswahl geben." Moderator Prof. Friedrich Kraft hakt nach: "Mit der FDP wohl nicht realisierbar." Strebl: "Nein, ganz und gar nicht."

Wie elektrisiert reagiert da SPD-Kandidatin Ursula Engelen-Kefer: Herr Strebl möge verraten, wie er Kanzlerin Merkel bezüglich deren Wunsch-Koalition umzustimmen gedenke. "Wir kriegen alle das Fell über die Ohren gezogen, wenn Schwarz-Gelb kommt." Strebl bleibt dabei: Mit der CSU werde es keine von der FDP propagierte Privatisierung der Krankenkassen oder der Arbeitsagentur geben. "Wir haben das bessere soziale Gewissen." Hier nun meldet sich kopfschüttelnd Bundestagsabgeordnete Eva Bulling-Schröter zu Wort: "Ich hab’ das Gefühl, ich bin die ganze Zeit in einem anderen Bundestag gesessen." Die Linke zählt alle Anträge ihrer Partei auf, die von der Regierungsmehrheit abgelehnt wurden.

Dann kommt endlich auch mal Thomas Gambke von den Grünen zu Wort. "Wir sagen, dass der Spitzensteuersatz angehoben werden muss." Strebl schüttelt den Kopf: "Wenn wir zu hoch gehen, dann vertreiben wird auch Leute. Wir müssen die Leistungsträger im Land halten." An dem Punkt platzt einer Frau im Publikum der Kragen: "Wer sind denn Ihrer Meinung nach die Leistungsträger? Das sind wir doch alle." Zustimmendes Gemurmel im Saal.

Strebl wirkt betroffen über sein Eigentor und entschuldigt sich: Er habe natürlich die Reichen gemeint. Auch beim Thema Mindestlohn lenkt er ein: "Ich bin nicht prinzipiell dagegen, nur gegen einen gesetzlichen Mindestlohn von 7,50 Euro. In München würde das nämlich nicht reichen. Außerdem sind die Tarifpartner zur Lohnfindung aufgerufen." Engelen-Kefer höhnt, die christliche Gewerkschaft habe die niedrigsten Entgelte für Leiharbeiter ausgehandelt. "Hier in der Region werden Frauen zu Hungerlöhnen an Zulieferer verhökert."

Wieder geht ein Zuhörer dazwischen, die SPD habe auch die Wähler belogen: "Sie wollten die Mehrwertsteuererhöhung verhindern, sie haben die Hedgefonds erst ermöglicht und die Rente mit 67", wirft er der Kandidatin an den Kopf. "Unten kommt nichts mehr an. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik. Sie müssen halt auch mal mit der Linken stimmen und sich nicht nur mit der CDU ins Bett legen." Engelen-Kefer schnappt nach Luft: Wie eine Löwin habe sie in der SPD gekämpft: "Daher auch mein grenzwertiger Listenplatz."

Kein Mitleid im Publikum, statt dessen eine Frage: "Was ist eigentlich aus den vielen Unterschriften geworden, die wir vom VdK für eine Senkung der Mehrwertsteuer auf Medikamente gesammelt haben", will eine Frau wissen. Strebl betont, auch bei dem Thema stehe er auf Seiten des Sozialverbands. "Gut, dass es den VdK gibt." Der Beifall hält sich in Grenzen. Achim Werner ergänzt höhnisch, für die Bergbahnen habe die CSU ja schon die Mehrwertsteuer gesenkt. Sein Schlusswort: "Man kann nicht sagen, der Wahlkampf sei langweilig."