Ingolstadt
Beliebtes Anlageobjekt

Neben dem Alt-OB haben auch weitere Stadtpolitiker in Wohnungen in den Kasernenblocks investiert

22.05.2019 | Stand 23.09.2023, 7:07 Uhr
In diesem Block in einem ehemaligen Kasernengebäude hat im Oktober 2011 ein ehemaliger Stadtrat ebenfalls 16 Appartements als Geldanlage gekauft. Ein weiterer, amtierender Stadtrat sowie eine leitende Mitarbeiterin der Verwaltung haben im selben Haus jeweils eine Wohnung erworben. Sie alle haben jedoch im Vergleich wesentlich mehr bezahlt als Alt-OB Lehmann. −Foto: Hauser

Ingolstadt (DK) Die Studentenappartements in den Kasernenblocks auf dem früheren Gelände der Pionierkaserne erfreuten sich als Anlageobjekte großer Beliebtheit - auch bei Ingolstädter Stadtpolitikern.

Nicht nur der wegen des Verdachts der Bestechlichkeit und Untreue vor Gericht stehende Altoberbürgermeister Alfred Lehmann (CSU) hat hier investiert, sondern auch ein ehemaliger und ein amtierender Stadtrat (beide CSU). Wie eine Eigentümerabfrage unserer Zeitung beim Grundbuchamt ergeben hat, hat der eine mit seiner Frau in der Hildegard-Knef-Straße in einem anderen Block als Lehmann Ende Oktober 2011 ebenfalls 16 Appartements erworben. Der andere hatte im selben Gebäude einen Monat später eine rund 30 Quadratmeter große Wohnung gekauft. Auch eine leitende Mitarbeiterin der Stadtverwaltung hat hier in eine kleine Wohnung investiert. Alle drei haben ihre Appartements in voll ausgebautem Zustand gekauft - und einen deutlich höheren Preis bezahlt als Lehmann für seine Wohnungen und den anschließenden Ausbau. Dies macht vor allem eines deutlich: wie günstig Lehmann tatsächlich an die Appartements gekommen ist.

Alfred Lehmann, von 2002 bis 2014 Rathauschef in Ingolstadt, muss sich unter anderem wegen umstrittener Immobiliengeschäfte derzeit vor der Großen Strafkammer des Landgerichts Ingolstadt verantworten. Im Fokus steht dabei auch der Kauf von 12 Wohnungen für sich und 4 weiteren durch seinen 2015 verstorbenen Vater in einem von 5 ehemaligen Kasernengebäude, die von der Stadttochter IFG, für die Lehmann als OB zum Zeitpunkt des Erwerbs Verwaltungsratsvorsitzender war, verkauft wurden. Zwei der in den 1960er-Jahren errichteten Backsteinblocks gingen ans Studentenwerk Erlangen, zwei an unterschiedliche Investoren, ein weiterer an ein Ehepaar aus dem Landkreis Eichstätt, das eine große Baufirma besitzt (der Mann ist bereits verstorben). Dass der Verkauf in letztgenanntem Fall nicht, wie vom IFG-Beirat beschlossen, an die Firma, sondern das Ehepaar als Privatpersonen ging, und unter welchen Umständen dies geschehen ist, ist unter anderem Gegenstand des Verfahrens.

In besagtem Gebäude, das wie die anderen früheren Kasernenblocks komplett umgebaut und aufgestockt wurde, hatte das Unternehmerehepaar zusammen mit Lehmann und dessen Vater eine Wohneigentümergemeinschaft gegründet. 16 Appartements - eine volle Etage - gehören Lehmann und seinem Vater (bzw. jetzt dessen Erben), die restlichen der insgesamt 62 Appartements hat das mit Lehmann befreundete Ehepaar behalten. Nach dem Tod des Unternehmers gehören sie seiner Frau und den Kindern. Für 12 der zwischen 16 und 24 Quadratmeter großen Wohneinheiten hatte Lehmann dem Paar laut Anklageschrift 172.500 Euro bezahlt, sein Vater für die restlichen 4 weitere 57.500. Der Kaufvertrag wurde am 9. Juni 2011 geschlossen. Für den Ausbau der insgesamt 16 Wohneinheiten durch die Firma des Ehepaares zahlte Lehmann, wie vereinbart, 420.000 Euro. Die tatsächlichen Kosten, die dem Ehepaar für die Sanierung der 16 Wohnungen entstanden waren, lagen höher - sie beliefen sich auf 556.508,94 Euro. Der Differenzbetrag wurde Lehmann nicht in Rechnung gestellt. "Dass die 420.000 Euro nicht gereicht haben, habe ich erst im Zuge der Ermittlungen erfahren", hatte Lehmann vor Gericht ausgesagt. Es sei nie die Rede davon gewesen, dass die vereinbarte Zahlung zu wenig gewesen sei. Die Anklageschrift rechnet den Verkehrswert der 16 Wohnungen zum Zeitpunkt des Erwerbs mit knapp 1,12 Millionen Euro, sodass Lehmann einen finanziellen Vorteil von 466.282 Euro gehabt habe.

Der Preis, den Lehmann für die unausgebauten Appartements bezahlt hat, sei "absolut plausibel", hatte ein Sachverständiger für Immobilienbewertung zu Beginn des Prozesses vor Gericht ausgesagt. Genauso wie der Preis, den das Unternehmerpaar tatsächlich für den Ausbau der Lehmannschen Appartements gezahlt hatte. Dass dieser signifikant höher war als der, den Lehmann berappen musste, sei "für einen Nichtfachmann nicht überprüfbar", so die Worte des Gutachters im Prozess. Dass Lehmann nach seiner Amtszeit als Berater unter anderem für einen Neuburger Bauunternehmer Investitionsobjekte auf ihre Rentabilität hin geprüft hat, wie er selbst unlängst vor Gericht ausgesagt hat, sei nur am Rande vermerkt.

Zwei Kripobeamte hatten sich vor Gericht an Worte des Alt-OB im Rahmen der Hausdurchsuchung erinnert, bei der dieser gesagt haben soll, ein so günstiges Angebot könne man nicht ausschlagen. Wie günstig es war, zeigt der Preis, den der andere ehemalige CSU-Stadtrat für genau dieselbe Zahl von Appartements, komplett ausgebaut und möbliert, laut Kaufvertrag vom 25. Oktober 2011 in dem anderen Haus bezahlt hat: über 1,5 Millionen Euro.

Bei Lehmann dagegen kommt man für 16 Wohnungen einschließlich Ausbau auf zusammen 650.000 Euro. Auch, wenn man berücksichtigt, dass die Häuser möglicherweise nicht 1:1 vergleichbar sind, und dass der Bauunternehmer bei Lehmann den Ausbau über seine eigene Firma vermutlich kostengünstiger vornehmen konnte als der mittlerweile insolvente Investor aus München im anderen Haus. Da auch keine Vermarktungs- und Werbungskosten anfielen, erscheint der von Lehmann gezahlte Preis enorm günstig. Der andere CSU-Stadtrat, der ein Appartement über einen Makler gekauft hatte, musste laut Kaufvertrag für rund 30 Quadratmeter 101.870 Euro hinlegen, die leitende Mitarbeiterin der Verwaltung 105.540 Euro. Dass die von ihnen bezahlten Preise reell sind, bestätigt indirekt auch der im Fall Lehmann ermittelnde Staatsanwalt Gerhard Reicherl. Man habe die Verkäufe der Wohnungen in den umliegenden Kasernengebäuden überprüft und keine Auffälligkeiten bemerkt, sagte er auf Anfrage.

Der ehemalige Stadtrat, der wie Lehmann 16 Appartements erworben hat, spricht gegenüber dem DK von einer "ganz normalen Investition, die über einen längeren Zeitraum läuft". Überrascht wirkte gestern der amtierende CSU-Stadtrat, vom DK nach seiner Anlage in der Hildegard-Knef-Straße befragt. "Ich habe gerade etwas gesucht, nachdem ich eine andere Wohnung verkauft hatte", sagte er. Dass ihm von einem Makler ein Appartement in der Hildegard-Knef-Straße angeboten worden sei, "war reiner Zufall".

Nach einem Hinweis, dass in den früheren Kasernengebäuden weitere CSU-Stadträte zum Teil mehrere Wohnungen gekauft hätten, hatte der DK beim Amtsgericht Einsicht ins Grundbuch bzw. eine Eigentümerabfrage beantragt. Und diese Anfrage parteiübergreifend auf sämtliche Stadträte der Wahlperiode 2008 bis 2014, jene Zeit, in der die IFG die ehemaligen Kasernenblocks verkauft hatte, sowie die städtischen Referenten und führende Verwaltungsmitarbeiter ausgeweitet.
 

Kommentar

Darf ein ehrenamtlicher Politiker in der Stadt, für die er in den Stadtrat gewählt wurde, privat Immobilien kaufen?

Selbstverständlich. Darf er sein Geld in ein Objekt investieren, das zuvor von der Stadt oder einer ihrer Tochtergesellschaften verkauft worden ist? Diese Frage ist schon nicht mehr ganz so einfach zu beantworten. "Ja, aber", könnte die Antwort hier lauten. Will heißen: Wenn der Kauf sauber abgelaufen ist, der Politiker - wie in den jetzt bekannt gewordenen Fällen - einen reellen Preis bezahlt hat und nicht durch sein Mandat an das Objekt herangekommen ist zu einer Zeit, zu der ein anderer Interessent sich nicht hätte einkaufen können, dürfte nichts dagegen sprechen.

Ein Stadtrat darf durch sein Amt keine Vorteile haben - aber auch keine Nachteile. Für Berufspolitiker gelten strengere Kriterien. Hier ist besonders viel Augenmaß gefragt. Eine Sensibilität, die Alt-OB Lehmann offenbar gefehlt hat - und immer noch fehlt.
 

 

Ruth Stückle