Eichstätt
Bedrohung, Hunger und Kälte

22.12.2017 | Stand 02.12.2020, 17:02 Uhr

Weil der Familienvater nicht heimkommen konnte, schickte er eine Postkarte (links). In der Zeit war nicht einmal ein Ei ohne Marke zu bekommen. Der Historische Verein bewahrt eine Reihe derartiger Lebensmittelbezugsscheine aus der Zeit des Ersten Weltkriegs auf (oben). Die Heimatzeitung nahm am 24. Dezember 1917 Bezug auf die vierte Kriegsweihnacht in Folge (unten). - Foto: Schneider - Archivfotos: Ettle/Sammlung Hager

Eichstätt (EK) "Unfriede herrscht auf der Erde": Kriege und Konflikte enden nicht zur Weihnachtszeit. Wie sich die Feier der Geburt Jesu, bei der "Friede auf Erden" verkündet wird, mitten im Krieg anfühlt, können viele von uns nicht mehr vollziehen. Vor 100 Jahren, mitten im Ersten Weltkrieg, war es ein Fest in großer Not.

Tränen, Trauer, Not und Verzweiflung herrschten in vielen Familien zur Kriegsweihnacht 1917. Der Erste Weltkrieg (1914 bis 1918) forderte auch an den Adventstagen und an Weihnachten, der Zeit, in der die Geburt Christi festlich gefeiert wird, gnadenlos unsäglich schwere Opfer.

Am Heiligen Abend vor 100 Jahren ist in der Heimatzeitung zu lesen: "Unser lieber, guter Hans, Unteroffizier und Offiziersaspirant des 14. bayerischen Infanterie-Regiments, starb am 16. Dezember im Alter von 20 Jahren infolge eines Lungensteckschusses. Um ihn trauern seine Mutter Anna Bauriedl, Lehrerwitwe, seine Geschwister und Verwandten." Eines der Beispiele aus der engeren Heimat. Zur ständigen Bedrohung von Leib und Leben kamen Hunger, Mangel an Heizmaterial und an allem, was alltäglich nötig war.

Lebensmittel waren knapp. Man kann es sich heute gar nicht mehr vorstellen, dass sogar das Versenden der Wurzeln und der Pflanzen des Löwenzahns aus Bayern streng geregelt war. Nur mit Genehmigung der Lebensmittelstelle durften sie etwa an Verwandte in einer fernen Stadt oder an Apotheken zur Medizinherstellung abgegeben werden. Zur Gewinnung von Speiseöl gingen die Schulklassen in den Wald zum Sammeln von Bucheckern. Die Bäckerinnung Eichstätt hatte bekanntgegeben, dass nur noch "Kriegsbrot" hergestellt wird und Weckerl, Hörnchen, Brezen und anderes nicht mehr zu haben sind.

Zum Brühen von "Kaffee" wurden Gerstenkörner geröstet. Damit das Getränk Farbe bekam, gab man die dunklen Wurzeln der Wegwarte ("Zichorie") dazu. Die Verteilung der Lebensmittel war durch ein ausgeklügeltes Markensystem geregelt. Nicht einmal ein Ei war ohne Marke zu bekommen. Die kalten Monate 1917 und 1918 gingen als "Steckrübenwinter" in die Geschichte ein.

Die Menschen atmeten wohl auf, als die Zeitungen am 19. Dezember 1917 von dem "Vertrag für einen Waffenstillstand mit Russland" kündeten: "Es wird zwischen den bevollmächtigten Vertretern der Obersten Heeresleitung Deutschlands, Österreich-Ungarns, Bulgarien und der Türkei einerseits und Russlands andererseits zur Herbeiführung eines dauerhaften, für alle Seiten ehrenhaften Friedens, ein Waffenstillstand geschlossen." Aber erst am 11. November 1918 schwiegen überall endgültig die Waffen.

Auch in der vierten Kriegsweihnacht war kurzzeitiges Vergessen der Not möglich: Das Lichtbildtheater im Baptistbräu an der Westenstraße ließ am Feiertag, 25. Dezember, "Die grüne Phiole" laufen. Laut Ankündigung "ein großes, fantastisches, prunkvolles Schauspiel". Am Stephanustag (zweiter Weihnachtsfeiertag) gab es zu sehen: "Satans Opfer". Bei dem "Prunkstummfilm mit seltener Schönheit" stand ein Schicksal im Mittelpunkt.

Eine andere Meldung betraf die Kürzung der Fleischrationen in Bayern: In kleineren Städten standen danach jedem Einwohner wöchentlich 200 Gramm Fleisch zu, den Bürgern "auf dem flachen Land" gar nur 100 Gramm. Eine Weihnachtsgans aufzutreiben war kompliziert und durch die Verordnung zum Handel mit Gänsen geregelt. Sicher dankbar angenommen wurde eine neue Einrichtung im Städtischen Krankenhaus an der Ostenstraße, nämlich die Säuglingsmilchküche.

Josef Dörfler, das führende Bekleidungshaus in Eichstätt, empfahl praktische Weihnachtsgeschenke wie Unterröcke, Schürzen und Taschentücher, Socken oder Handschuhe. Der Juwelier Ludwig Brönner in der Westenstraße hoffte darauf, dass trotz aller Not noch Kunden den Weg in seinen Laden finden werden, die nicht jede Mark dreimal umdrehen mussten, ehe sie diese ausgaben. Er offerierte immerhin Broschen, Uhrketten und Ohrringe aber auch Spazierstöcke, Kunstglas, billige Nickelsachen und Gegenstände für den Haushalt. Im Hotel "Bären" in der heutigen Gabrielistraße gab es in den Tagen vor Weihnachten einen "Kriegsstrumpflehrvortrag". Dank einer leicht verständlichen Art sollte jede Frau aus alten wertlosen, neue gute Strümpfe herstellen können, so die Ankündigung. Den Kriegsberichten zufolge schwiegen auch an den Weihnachtsfeiertagen die Waffen an vielen Schauplätzen nicht. Mazedonische Front: Ein feindlicher Vorstoß gegen die bulgarischen Stellungen scheiterte. Italienische Front: Die Höhen des Col de Rosso wurden erstürmt und rund 9000 Gefangene eingebracht. Westlicher Kriegsschauplatz: Am Hartmannsweilerkopf im Elsass und im Thannertal (Kreis Sigmaringen) wurde das Feuer gesteigert.

Eine gute Nachricht in der Weihnachtszeit war die Erhöhung des Wehrsolds. Vizefeldwebel bekamen statt 63 nun 75 Mark, Sanitätssergeanten statt 57 nun 67,50 Mark. Für "Gemeine" (einfache Soldaten) stieg der Sold von 15,90 auf 21 Mark. In der Heimat bekamen die Frauen Familienunterstützung, mit der der Lohnausfall der an die Front einberufenen Männer zum Teil ausgeglichen wurde. Weihnachtsurlaub für die Männer, Väter und Söhne blieb meist ein Traum.

"Den göttlichen Frieden sende"

Man tat alles Mögliche, um den Kleinen die Härte der Kriegsverhältnisse nicht ganz fühlen zu lassen.“ So lautete es im Bericht über die Festtage in der Heimatzeitung im Jahr 1917. In Eichstätt habe es in herkömmlicher Weise beleuchtete Christbäume gegeben und feierliche Choralmusik vom Rathausturm. Die Christmetten und Festgottesdienste seien zahlreich besucht worden. Zur Kriegsweihnachtsfeier des Frauenvereins vom Roten Kreuz in der Aula war Bischof Dr. Leo Ritter von Mergel (1905 bis 1932) gekommen.

Aus der Schilderung: „Den Rand des Podiums bildete, ähnlich den Sandsackwällen vor den Schützengräben, eine Mauer von etwa einem halben Tausend Päckchen mit Liebensgaben für die Soldaten und Verwundeten, geschmückt mit dem roten Kreuz.“ Bürgermeister Eduard Mager (1897 bis 1918, Foto) verfasste ein Weihnachtsgedicht, das von Regina Emslander vorgetragen wurde. Darin hieß es zum Beispiel: „Wir, die heute unterm Christbaum steh’n – zum göttlichen Kinde voll Inbrunst fleh’n – dass es das grausige Morden beende – den göttlichen Frieden uns wieder sende!“

Auch der Katholische Dienstmädchenverein hielt seine Weihnachtsfeier im Stadttheater mit Gesängen und Harmonikamusik. Nach der Versteigerung des Chrisbaums wurde der Zweiakter „Schutzengel im Schützengraben“ dargeboten. Zugunsten der „kämpfenden und verwundeten Soldaten“ stieg in Kipfenberg eine Sammlung des Roten Kreuzes. Einige der Ergebnisse: Biberg 16 Mark, Schulkinder von Böhmfeld 50 Mark, Rapperszell 23,70 Mark. An Sachspenden gingen etwa ein: Eine Tabakspfeife, drei Romane, eine Mundharmonika, drei Bleistifte, eine Uhrkette und 50 Zigaretten. Die Königliche Lehrerbildungsanstalt Eichstätt veranstaltete ein Wohltätigkeitskonzert.