Bedrohliche Normalität

08.09.2008 | Stand 03.12.2020, 5:37 Uhr

Der Potsdamer Bahnhof bei Nacht. Hier wurde 2006 ein schwarzer Deutscher zusammengeschlagen. Eva Leitold hat den Ort als "Tatort" fotografiert. - Foto: Leitolf/Pinakothek der Moderne

München (DK) Bilder von erschreckender Harmlosigkeit empfangen die Besucher der Schau "Eva Leitolf. Deutsche Bilder – eine Spurensuche". Im Wechselausstellungsraum im Erdgeschoss der Pinakothek der Moderne in München geben sich Szenen deutscher Unscheinbarkeit ein geheimnisvolles Stelldichein.

Irgendein bedrohliches Moment integriert Eva Leitolf immer in ihre Bilder, unter denen sich auch Küchenräume, Bahnhofshallen, Natur-Idyllen oder ländliche und urbane Straßenräume befinden. Das vielleicht augenscheinlichste Foto zeigt einen Wachturm, der aus dem Dickicht des umliegenden Waldes heraus aufgenommen wurde. Gerade so, als ob Eva Leitolf etwas im Schilde führt, die Anlage ausspähen wollte. Das haben aber zuvor andere gemacht – und um die geht es auch.

Denn die 1966 in Würzburg geborene Eva Leitolf, die in Essen Kommunikationsdesign mit Schwerpunkt Fotografie studierte, fotografierte nicht irgendwelche deutsche Orte, sondern deutsche Tatorte, an denen fremdenfeindlich motivierte Gewalttaten geschahen. Orte. Keine Taten, keine Täter, keine Opfer. Überhaupt fast keine Menschen, und wenn, dann sind sie in weiter Entfernung und ohne Bezug zum Ort. Oder gar zur Tat.

Aber die Aufnahmen sind trotz ihrer Stille nicht schweigsam, eher beklemmend. Und lassen gerade durch die unbeteiligt erscheinende Position des Fotografen dem Betrachter Spielräume für eigene Gedanken, für Assoziationen, für tiefergehende Beschäftigung. Leitolfs Fotografien sind nicht auf den lauten Knall, die plakative Botschaft aus, die man im Bruchteil einer Sekunde begriffen und zehn Minuten später wieder vergessen hat. Ihre Fotografien sind erzählerisch, sie versuchen die Atmosphäre der Untaten ebenso zu schildern wie vielleicht auch die Traurigkeit von Opfern oder das Unfassbare der Tat. Und es gibt sogar Aufnahmen, die sich viel mehr in die Erinnerung einprägen als Bilder von verkohlten Möbeln, Maschinen oder Menschen. Das was passierte, beschreibt die Fotografin in den am Eingang ausliegenden Bildtexten. Sie entstanden nach intensiven Recherchen am Ort, bei Staatsanwaltschaften und Gerichten.

Als Eva Leitolf Anfang der 90er Jahre mit der Serie begann, war sie noch mitten im Studium. Damals loteten die Studenten der Essener Professorin Angela Neuke aus, was Fotografie im Zeitalter der schnellen Bilderflut noch zu leisten imstande wäre. Schnell wurde Eva Leitolf klar, dass sie an ihren Themen nicht die Höhepunkte interessieren – die ja im speziellen Fall Tiefpunkte menschlicher Verhaltensweisen sind. Der Film ist da wesentlich geeigneter. Ihre Fotografien sollen, wie sie selber sagt, dem Betrachter "als Werkzeug dienen, um sich andere und zwar eigene Bilder" zu machen.

 

Pinakothek der Moderne, bis 19. Oktober, täglich außer Mo 10 bis 18 Uhr, Do 10 bis 20 Uhr.