Bayerns Wirtschaft warnt: Harter Ausstieg nicht vom Tisch

29.01.2020 | Stand 23.09.2023, 10:15 Uhr
Für den Fall eines harten Brexit erwartet der Autobauer BMW sinkende Verkaufs- und Produktionszahlen. −Foto: Jan Woitas/dpa

Vom Joghurt bis zum Auto: Die Briten. Mit den Briten geht es abwärts. Zumindest aus bayerischer Sicht: 2015, im Jahr vor dem Brexit-Referendum, war Großbritannien für die bayerischen Unternehmen noch der wichtigste Exportmarkt innerhalb der EU und der zweitwichtigste Exportmarkt weltweit. Mittlerweile ist die Insel auf Platz drei innerhalb der EU abgerutscht, unter den weltweiten Exportmärkten auf Platz fünf - mit einem Volumen von 11,6 Milliarden Euro von Januar bis November 2019.


Dabei sind Bayern und Großbritannien wirtschaftlich wirklich eng verbandelt - vom Joghurt bis zum Auto. Bei BMW etwa überqueren dem Vernehmen nach manche Teile den Ärmelkanal sogar mehrmals, ehe am Ende ein Fahrzeug draus wird. Und nicht nur das Leder für die automobile Insel-Ikone Rolls-Royce kommt aus dem Freistaat. Umgekehrt gibt es im Voralpenland Molkereien, bei denen der wesentliche Teil der Produktion auf der Insel konsumiert wird. 461 weiß-blaue Betriebe beschäftigen auf der Insel rund 70000 Mitarbeiter.
Noch. Denn wie die weitere Zukunft genau aussieht, ist bis heute nicht wirklich klar. Denn was nun vor Europa und den Briten liegt, sind lange, womöglich zähe Verhandlungen. Bisher war es nur um die Scheidungsmodalitäten gegangen, und das war offensichtlich schon schwer genug. Nun soll innerhalb weniger Monate das zukünftige Verhältnis geklärt werden. "Uns wird sicherlich nicht langweilig, die Arbeit beginnt jetzt erst", stellt der Ober-Bayer in Brüssel, Manfred Weber, fest. Freilich, "die Grundmelodie ist klar: Wir bleiben Partner", sagt der CSU-Mann, der die stärkste Fraktion im Europaparlament führt, die europäischen Christdemokraten, um ein Haar EU-Kommissionspräsident geworden wäre. "Aber die Nachteile für die Briten müssen deutlich und spürbar werden."
Vor der CSU steht allerdings ein mächtiger Spagat. Denn Bayerns Wirtschaft hat längst ihre Forderungen aufgestellt, was den künftigen Umgang mit den Briten angeht: "Ein harter Brexit würde die Wirtschaftsleistung Bayerns langfristig um etwa 1,4 Milliarden Euro pro Jahr schmälern", ließ die IHK für München und Oberbayern jüngst wissen. Gäbe es hingegen ein "weitreichendes Freihandelsabkommen", so IHK-Präsident Eberhard Sasse, dann würden die negativen Folgen für die bayerische Wirtschaft deutlich geringer ausfallen. Die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) fordert "ein Partnerschafts-, Investitions- und Handelsabkommen, welches Großbritannien weiterhin möglichst eng an die EU-Standards bindet und einen weiteren Marktzugang ohne Zölle vorsieht", so vbw-Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt.
Ministerpräsident Markus Söder (CSU) seinerseits hat auf die Mahnungen aus der Wirtschaft reagiert und angekündigt, in London ein Bayern-Büro eröffnen zu wollen. Und unter den Mitgliedern seiner Staatsregierung hat längst ein reger London-Tourismus eingesetzt, von Wissenschaftsminister Bernd Sibler (CSU) bis Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler). "Wir brauchen jetzt ein gutes, umfassendes Freihandelsabkommen, um Ruhe in die Sache zu bekommen und den Schaden für die bayerische Wirtschaft möglichst gering zu halten", sagt Aiwanger. "Dieser Schaden geht aufgrund der Verunsicherung mittlerweile schon in die Milliarden. Über den britisch-bayerischen Wirtschaftsbeziehungen schwebt immer noch die Gefahr eines harten Brexits."
Ihm liege durchaus auch daran, die wirtschaftliche Lage zu stabilisieren, stellt derweil Weber klar, aber eine Rosinenpickerei dürfe für die Briten halt daraus nicht werden. "Wir müssen vielmehr klarstellen, dass es für ein Land besser ist, in der EU zu sein, als draußen", zieht Weber seine rote Linie. Angelika Nibler, Vorsitzende der Brüsseler CSU-Abgeordneten, pflichtet bei: Die Briten seien nun "nicht mehr Teil der Familie. Gute Freunde, vielleicht. Aber jeder kämpft ab jetzt für seine Interessen." Gleichwohl sei das Ziel, zwischen den unterschiedlichen, jeweils berechtigten Interessen auszugleichen, so Weber. "Wir müssen einen Mittelweg finden. Und das bedeutet, einen Spagat machen." Nibler pflichtet ihm bei: "Wir wollen eine enge und tiefe Partnerschaft." Aber ob das gelinge, hänge nun davon ab, wie sich die Briten nun verhalten, ob sie also, wie es bisweilen bereits zu vernehmen sei, einen Dumping-Wettbewerb gegen die EU eröffnen wollten. "Wir können nicht zulassen, dass ein kleines Singapur vor unserer Haustüre entsteht", stellt Nibler klar.
Vielleicht gelingt es ja, mit den Briten das perfekte Nachbarschaftsmodell auch für andere an die EU grenzende Länder zu finden, "das wäre der positive Fall", so Weber. Der negative Fall freilich sei, dass die EU am Ende so dumm sei, mit den Briten einen Vertrag zu schließen, der Länder wie Ungarn oder Polen regelrecht ermuntere, die EU verlassen - weil es ja offensichtlich gehe, gute Geschäfte mit der EU zu machen, ohne zu bezahlen oder die EU-Rechtsstandards einzuhalten.

Alexander Kain